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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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passiven Widerstand trefflich beschämt. Belagerungszustand und kriegsrechtliche Behand¬
lung -- Nichts konnte sie einschüchtern, sie standen noch auf dem Boden der Revolu¬
tion -- sie waren noch die alten vom 18. März und wie sie damals durch die Trup¬
pen schlüpften, um Pulver und Blei an die Barrikaden zu bringen, so irrten sie auch
noch lange nach den Novembcrtagen in den Straßen umher, unschuldigen Blicks,
aber Taschen, Stiefeln und Mützen voll verbotener Scharteken, wie ein unglückseliger
Primaner im Abiturientenexamen. So trieben sie's fort, bis irgend ein böser Dämon
in Gestalt eines Constablers oder Commissärs sie beim Kragen ergriff: spaßhaft genug
war's in der ersten Zeit, wenn Mein Heer auf dem Opernhausplatze sich mit den klei¬
nen Kobolden jagte, ohne sie erreichen zu können, und sich doch schämte, von der
Waffe Gebrauch zu machen. Freilich gibt's auch in ihren Reihen Apostaten, die jetzt
mit Hengstcnbergschen Traktätchcn Geschäfte machen -- doch sind es, zur Ehre deS
menschlichen Geschlechts, nur wenige. Neulich traf ich ein mir speciell bekanntes Bürsch-
chen, in stiller Zurückgezogenheit bitterlich heulend. Ich fragte nach seinem Verdienste.
"Ach nein!" war die Antwort, "aber ich bin fortgelaufen -- ich soll wieder in die
Schule!" Armer Junge! doch wem wäre in dieser Zeit nicht irgend eine Errungenschaft
abhanden gekommen? -- Dieselbe Hetzjagd treibt übrigens General Wrangel im Gro¬
ßen mit den Blättern selbst; in allen möglichen Proteusgcstalten entwinden sie sich
seinem Herkulesarme. Was er heute als "blauer Montag" verbietet, das erscheint
morgen als "gelber Dienstag" wieder. Aber was Mein Heer und die hohe Polizei
nicht vermögen -- der gesunde Sinn des Volkes und die Macht der Zeit thut es von
selber. Die ganze radikale Pamphletwirthschaft war ihrem Ende nahe, als die Gewalt-
maßregeln sie ans's Neue in Gang brachten. Taucht die Reform noch einmal auf, kom¬
men Müller und Konsorten noch einmal zu Bedeutung, sie haben sich einzig bei Wran¬
gel dafür zu bedanken. --

Neue Erscheinungen sind an die Stelle der alten getreten, statt des bunten Ge¬
wühles der vereinbarten Anarchie sind mit der octroyirten Ordnung die herrschaftlichen
Equipagen mit ihren stolzen Wappen wiedergekommen. Während zur Zeit des Terro-
rismus jede Spur von Eleganz unter den Linden verschwunden war und mir der ein¬
same Droschkcnklcpper mühseligen Schrittes einHerzog, rasseln jetzt dort wieder unauf¬
hörlich die königlichen Wagen, von trefflichen Braunen gezogen, die -- nach ihrem
fetten Aussehen zu schließen -- ebenfalls nichts von der Demokratie halten und ent¬
schieden reactionär sind. Kurz und gut -- bis auf die dampfenden Cigarren, eine
Masse der schlechtesten Bärte und die wundersame Gestaltung der Hüte und Mützen
sind die Errungenschaften des Frühlings mit dem Herbste sämmtlich zu Grabe getragen.
Wer an der wiederhergestellten Ordnung noch zweifelt, der mag unter die Linden gehen und sich
den Schwarm der Hofbedienten besehen, die uns jetzt mit ihrer Gegenwart aufs Neue
beehren, dort muß auch ein ungläubiger Thomas die Widerlegung seines Skepticismus
finden. Diese komfortablen Gestalten, die von der Noth der schweren Zeit sogar nichts
empfunden -- diese wandelnden Lvbgcdichtc auf die Ruhe, sie haben sich mit ihrem
Schifflein hieher, nicht auf den Ocean hinausgewagt, ohne seine Untiefen genau zu son-
diren -- sie sind die Todesvögel der hinsterbenden Revolution. Schade ist's nur, daß so
sehr wennig Leute die Herrlichkeiten der wiederhergestellten Ordnung genießen, die
Straßen sind öder als je lind die Serviscommission hat durch Zahlen den schlagenden
Beweis geliefert, daß seit dem Belagerungszustände beträchtlich mehr Wohnungen lecr-
stehen, als zu den Zeiten der Pöbelherrschaft. Auch läßt sich immerhin nicht leug¬
nen, daß die neue Ordnung eine etwas außerordentliche ist, auf die sich die gewöhn-


passiven Widerstand trefflich beschämt. Belagerungszustand und kriegsrechtliche Behand¬
lung — Nichts konnte sie einschüchtern, sie standen noch auf dem Boden der Revolu¬
tion — sie waren noch die alten vom 18. März und wie sie damals durch die Trup¬
pen schlüpften, um Pulver und Blei an die Barrikaden zu bringen, so irrten sie auch
noch lange nach den Novembcrtagen in den Straßen umher, unschuldigen Blicks,
aber Taschen, Stiefeln und Mützen voll verbotener Scharteken, wie ein unglückseliger
Primaner im Abiturientenexamen. So trieben sie's fort, bis irgend ein böser Dämon
in Gestalt eines Constablers oder Commissärs sie beim Kragen ergriff: spaßhaft genug
war's in der ersten Zeit, wenn Mein Heer auf dem Opernhausplatze sich mit den klei¬
nen Kobolden jagte, ohne sie erreichen zu können, und sich doch schämte, von der
Waffe Gebrauch zu machen. Freilich gibt's auch in ihren Reihen Apostaten, die jetzt
mit Hengstcnbergschen Traktätchcn Geschäfte machen — doch sind es, zur Ehre deS
menschlichen Geschlechts, nur wenige. Neulich traf ich ein mir speciell bekanntes Bürsch-
chen, in stiller Zurückgezogenheit bitterlich heulend. Ich fragte nach seinem Verdienste.
„Ach nein!" war die Antwort, „aber ich bin fortgelaufen — ich soll wieder in die
Schule!" Armer Junge! doch wem wäre in dieser Zeit nicht irgend eine Errungenschaft
abhanden gekommen? — Dieselbe Hetzjagd treibt übrigens General Wrangel im Gro¬
ßen mit den Blättern selbst; in allen möglichen Proteusgcstalten entwinden sie sich
seinem Herkulesarme. Was er heute als „blauer Montag" verbietet, das erscheint
morgen als „gelber Dienstag" wieder. Aber was Mein Heer und die hohe Polizei
nicht vermögen — der gesunde Sinn des Volkes und die Macht der Zeit thut es von
selber. Die ganze radikale Pamphletwirthschaft war ihrem Ende nahe, als die Gewalt-
maßregeln sie ans's Neue in Gang brachten. Taucht die Reform noch einmal auf, kom¬
men Müller und Konsorten noch einmal zu Bedeutung, sie haben sich einzig bei Wran¬
gel dafür zu bedanken. —

Neue Erscheinungen sind an die Stelle der alten getreten, statt des bunten Ge¬
wühles der vereinbarten Anarchie sind mit der octroyirten Ordnung die herrschaftlichen
Equipagen mit ihren stolzen Wappen wiedergekommen. Während zur Zeit des Terro-
rismus jede Spur von Eleganz unter den Linden verschwunden war und mir der ein¬
same Droschkcnklcpper mühseligen Schrittes einHerzog, rasseln jetzt dort wieder unauf¬
hörlich die königlichen Wagen, von trefflichen Braunen gezogen, die — nach ihrem
fetten Aussehen zu schließen — ebenfalls nichts von der Demokratie halten und ent¬
schieden reactionär sind. Kurz und gut — bis auf die dampfenden Cigarren, eine
Masse der schlechtesten Bärte und die wundersame Gestaltung der Hüte und Mützen
sind die Errungenschaften des Frühlings mit dem Herbste sämmtlich zu Grabe getragen.
Wer an der wiederhergestellten Ordnung noch zweifelt, der mag unter die Linden gehen und sich
den Schwarm der Hofbedienten besehen, die uns jetzt mit ihrer Gegenwart aufs Neue
beehren, dort muß auch ein ungläubiger Thomas die Widerlegung seines Skepticismus
finden. Diese komfortablen Gestalten, die von der Noth der schweren Zeit sogar nichts
empfunden — diese wandelnden Lvbgcdichtc auf die Ruhe, sie haben sich mit ihrem
Schifflein hieher, nicht auf den Ocean hinausgewagt, ohne seine Untiefen genau zu son-
diren — sie sind die Todesvögel der hinsterbenden Revolution. Schade ist's nur, daß so
sehr wennig Leute die Herrlichkeiten der wiederhergestellten Ordnung genießen, die
Straßen sind öder als je lind die Serviscommission hat durch Zahlen den schlagenden
Beweis geliefert, daß seit dem Belagerungszustände beträchtlich mehr Wohnungen lecr-
stehen, als zu den Zeiten der Pöbelherrschaft. Auch läßt sich immerhin nicht leug¬
nen, daß die neue Ordnung eine etwas außerordentliche ist, auf die sich die gewöhn-


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[0164] passiven Widerstand trefflich beschämt. Belagerungszustand und kriegsrechtliche Behand¬ lung — Nichts konnte sie einschüchtern, sie standen noch auf dem Boden der Revolu¬ tion — sie waren noch die alten vom 18. März und wie sie damals durch die Trup¬ pen schlüpften, um Pulver und Blei an die Barrikaden zu bringen, so irrten sie auch noch lange nach den Novembcrtagen in den Straßen umher, unschuldigen Blicks, aber Taschen, Stiefeln und Mützen voll verbotener Scharteken, wie ein unglückseliger Primaner im Abiturientenexamen. So trieben sie's fort, bis irgend ein böser Dämon in Gestalt eines Constablers oder Commissärs sie beim Kragen ergriff: spaßhaft genug war's in der ersten Zeit, wenn Mein Heer auf dem Opernhausplatze sich mit den klei¬ nen Kobolden jagte, ohne sie erreichen zu können, und sich doch schämte, von der Waffe Gebrauch zu machen. Freilich gibt's auch in ihren Reihen Apostaten, die jetzt mit Hengstcnbergschen Traktätchcn Geschäfte machen — doch sind es, zur Ehre deS menschlichen Geschlechts, nur wenige. Neulich traf ich ein mir speciell bekanntes Bürsch- chen, in stiller Zurückgezogenheit bitterlich heulend. Ich fragte nach seinem Verdienste. „Ach nein!" war die Antwort, „aber ich bin fortgelaufen — ich soll wieder in die Schule!" Armer Junge! doch wem wäre in dieser Zeit nicht irgend eine Errungenschaft abhanden gekommen? — Dieselbe Hetzjagd treibt übrigens General Wrangel im Gro¬ ßen mit den Blättern selbst; in allen möglichen Proteusgcstalten entwinden sie sich seinem Herkulesarme. Was er heute als „blauer Montag" verbietet, das erscheint morgen als „gelber Dienstag" wieder. Aber was Mein Heer und die hohe Polizei nicht vermögen — der gesunde Sinn des Volkes und die Macht der Zeit thut es von selber. Die ganze radikale Pamphletwirthschaft war ihrem Ende nahe, als die Gewalt- maßregeln sie ans's Neue in Gang brachten. Taucht die Reform noch einmal auf, kom¬ men Müller und Konsorten noch einmal zu Bedeutung, sie haben sich einzig bei Wran¬ gel dafür zu bedanken. — Neue Erscheinungen sind an die Stelle der alten getreten, statt des bunten Ge¬ wühles der vereinbarten Anarchie sind mit der octroyirten Ordnung die herrschaftlichen Equipagen mit ihren stolzen Wappen wiedergekommen. Während zur Zeit des Terro- rismus jede Spur von Eleganz unter den Linden verschwunden war und mir der ein¬ same Droschkcnklcpper mühseligen Schrittes einHerzog, rasseln jetzt dort wieder unauf¬ hörlich die königlichen Wagen, von trefflichen Braunen gezogen, die — nach ihrem fetten Aussehen zu schließen — ebenfalls nichts von der Demokratie halten und ent¬ schieden reactionär sind. Kurz und gut — bis auf die dampfenden Cigarren, eine Masse der schlechtesten Bärte und die wundersame Gestaltung der Hüte und Mützen sind die Errungenschaften des Frühlings mit dem Herbste sämmtlich zu Grabe getragen. Wer an der wiederhergestellten Ordnung noch zweifelt, der mag unter die Linden gehen und sich den Schwarm der Hofbedienten besehen, die uns jetzt mit ihrer Gegenwart aufs Neue beehren, dort muß auch ein ungläubiger Thomas die Widerlegung seines Skepticismus finden. Diese komfortablen Gestalten, die von der Noth der schweren Zeit sogar nichts empfunden — diese wandelnden Lvbgcdichtc auf die Ruhe, sie haben sich mit ihrem Schifflein hieher, nicht auf den Ocean hinausgewagt, ohne seine Untiefen genau zu son- diren — sie sind die Todesvögel der hinsterbenden Revolution. Schade ist's nur, daß so sehr wennig Leute die Herrlichkeiten der wiederhergestellten Ordnung genießen, die Straßen sind öder als je lind die Serviscommission hat durch Zahlen den schlagenden Beweis geliefert, daß seit dem Belagerungszustände beträchtlich mehr Wohnungen lecr- stehen, als zu den Zeiten der Pöbelherrschaft. Auch läßt sich immerhin nicht leug¬ nen, daß die neue Ordnung eine etwas außerordentliche ist, auf die sich die gewöhn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/164>, abgerufen am 23.12.2024.