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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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die sich von Tage zu Tage mehr verwickeln, geht man den alten Schlendrian fort,
obgleich die furchtbare Krisis allen vor Augen steht, und nicht zufrieden mit dem
Bürgerkrieg im eignen Lande, läßt man sich in ein politisches System ein, daS
auch von einer andern Seite die schwersten Folgen nach sich ziehen kann.

Diese auswärtige Politik ist das Bedenklichste, was man dem östreichischen
Cabinet vorwerfen kann. Wir sprechen znerst von Deutschland.

Mit Freuden begrüßten wir die erste Erklärung des Ministeriums, nach wel¬
cher es schien, als sei nnn das unselige Band, welches zwei an sich mächtige Staa¬
ten bisher aneinander geknüpft, um sie zu lähmen, endlich zerschnitten. Wir hät¬
ten auf dieses Wort um so sicherer rechnen können, da der Octobcranfstand im
Namen des Reichs gegen die Integrität der östreichischen Monarchie unternommen
war; da die politische Partei, ans welche sich die neue Regierung stützte, sich auf
das Entschiedenste gegen das Aufgehn in Deutschland ausgesprochen hatte, da
endlich die erste" Schritte der Gewalthaber in Wien auf alles übrige eher ver¬
muthen ließen, als ans eine Anerkennung der Reichsgewalt -- wir hätten darauf
rechnen können, wenn uns nicht die angestammte Habsucht der Alt-Habsburgischen
Politik bekannt gewesen wäre, die auch das Widersprechende mit einander zu
vereinigen versteht, wenn es den Schein des Erwerbes gilt. I'u lelix.4ustiiir
iride! Warum sollte das Haus Oestreich nicht auch Deutschland erheirathen!
warum sollte" seine Unterthauen nicht stolz sein auf diese Erheirathung, wenn sie
auch aus die Frage: "wozu nützt denn dies alles dir?" keine andere Antwort
gefunden hätten, als die der Fabel: "das weiß ich selbst nicht, sprach der Rabe,
ich nehm' es nur, damit ichs habe!"

Als Herr Welcker in der Nationalversammlung den hinreichend bekannten
Bericht über seine östreichische Mission abstattete, erzählte er, Oestreich sei viel
Deutscher gesinnt, als man gewöhnlich glaube; hochgestellte Personen hätten ihn
mit Thränen verhaltenen Grolls versichert, sie würden es nie zugeben, daß Preußen
sich eines Reiches bemächtige, in welchem ihrem Hanse die erste Stelle zukäme.

Wir täuschten uns also nicht. Mit der Bestegnng des Wiener Aufstandes
war der "Anspruch" Oestreichs auf Deutschland keineswegs abgethan. Wenn es
früher den östreichischen Radikalen nnr darauf anzukommen schien, mit Hilfe des
"Reichs" der bisherigen "Tyrannei" des Hauses Habsburg ein Ende zu machen,
so schlugen sie plötzlich um, als die kaiserlichen Armeen gesiegt hatten; sie traten
als Anwälde der Dynastie ans, und legten die früher mit Füßen getretene Bun-
desacte als Rechtstitel anf den Actentisch. Ihre Begeisterung galt nicht einer
Sache, sondern einem Namen; nicht dem östreichischen Staat, denn den hatten sie
zerstören wollen, nicht dem östreichischen Volk, dessen Willen in dieser Frage nach
verschiedenen Seiten siel, sondern dem Namen Oestreich. Die Leidenschaft ist aber
um so größer, je inhaltloser sie ist.

Der Unterschied war freilich der, daß man es jetzt mit gebildeten Man-


die sich von Tage zu Tage mehr verwickeln, geht man den alten Schlendrian fort,
obgleich die furchtbare Krisis allen vor Augen steht, und nicht zufrieden mit dem
Bürgerkrieg im eignen Lande, läßt man sich in ein politisches System ein, daS
auch von einer andern Seite die schwersten Folgen nach sich ziehen kann.

Diese auswärtige Politik ist das Bedenklichste, was man dem östreichischen
Cabinet vorwerfen kann. Wir sprechen znerst von Deutschland.

Mit Freuden begrüßten wir die erste Erklärung des Ministeriums, nach wel¬
cher es schien, als sei nnn das unselige Band, welches zwei an sich mächtige Staa¬
ten bisher aneinander geknüpft, um sie zu lähmen, endlich zerschnitten. Wir hät¬
ten auf dieses Wort um so sicherer rechnen können, da der Octobcranfstand im
Namen des Reichs gegen die Integrität der östreichischen Monarchie unternommen
war; da die politische Partei, ans welche sich die neue Regierung stützte, sich auf
das Entschiedenste gegen das Aufgehn in Deutschland ausgesprochen hatte, da
endlich die erste» Schritte der Gewalthaber in Wien auf alles übrige eher ver¬
muthen ließen, als ans eine Anerkennung der Reichsgewalt — wir hätten darauf
rechnen können, wenn uns nicht die angestammte Habsucht der Alt-Habsburgischen
Politik bekannt gewesen wäre, die auch das Widersprechende mit einander zu
vereinigen versteht, wenn es den Schein des Erwerbes gilt. I'u lelix.4ustiiir
iride! Warum sollte das Haus Oestreich nicht auch Deutschland erheirathen!
warum sollte» seine Unterthauen nicht stolz sein auf diese Erheirathung, wenn sie
auch aus die Frage: „wozu nützt denn dies alles dir?" keine andere Antwort
gefunden hätten, als die der Fabel: „das weiß ich selbst nicht, sprach der Rabe,
ich nehm' es nur, damit ichs habe!"

Als Herr Welcker in der Nationalversammlung den hinreichend bekannten
Bericht über seine östreichische Mission abstattete, erzählte er, Oestreich sei viel
Deutscher gesinnt, als man gewöhnlich glaube; hochgestellte Personen hätten ihn
mit Thränen verhaltenen Grolls versichert, sie würden es nie zugeben, daß Preußen
sich eines Reiches bemächtige, in welchem ihrem Hanse die erste Stelle zukäme.

Wir täuschten uns also nicht. Mit der Bestegnng des Wiener Aufstandes
war der „Anspruch" Oestreichs auf Deutschland keineswegs abgethan. Wenn es
früher den östreichischen Radikalen nnr darauf anzukommen schien, mit Hilfe des
„Reichs" der bisherigen „Tyrannei" des Hauses Habsburg ein Ende zu machen,
so schlugen sie plötzlich um, als die kaiserlichen Armeen gesiegt hatten; sie traten
als Anwälde der Dynastie ans, und legten die früher mit Füßen getretene Bun-
desacte als Rechtstitel anf den Actentisch. Ihre Begeisterung galt nicht einer
Sache, sondern einem Namen; nicht dem östreichischen Staat, denn den hatten sie
zerstören wollen, nicht dem östreichischen Volk, dessen Willen in dieser Frage nach
verschiedenen Seiten siel, sondern dem Namen Oestreich. Die Leidenschaft ist aber
um so größer, je inhaltloser sie ist.

Der Unterschied war freilich der, daß man es jetzt mit gebildeten Man-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/133>, abgerufen am 03.07.2024.