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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Fragt man nun also, was diesem Reichstag gegenüber die Negierung hätte thun
sollen, so stehn wir mit der Autwort keinen Augenblick an. Ihr erster Act müßte sein,
ihn aufzulösen und gleichzeitig die östreichischen Deputirten aus der Paulskirche
abzuberufen. Davon später. Ob sie das positive Recht dazu hatte, ist in un¬
serer revolutionären Zeit eine müssige Frage. Das moralische Recht hatte sie,
unter folgenden Bedingungen. Sie mußte in kürzester Frist die aus demokratischen
Urwcchlcn hervorgegangenen Landtage der verschiednen Provinzen einberufe". Diese
hätten beiläufig an einem Ort zusammenkommen können, um theils unmittelbar
mit der Negierung, theils dnrch gemeinsame Ausschüsse unter einander in Rapport
treten zu können.

Sie mußte ferner, gleichzeitig mit dem Auflösnngsdecret -- nicht die Ver-
fassung, denn das hat sein Gehässiges, wohl aber die staatsbürgerlichen Grund¬
rechte octroyiren. Der Inhalt derselben macht keine Schwierigkeiten, über die all¬
gemeinen Principien ist ja alle Welt einig. Sie mußte ferner durch Thaten zeigen,
daß es ihr mit der Ausführung derselben Ernst war; sie mußte durch eine allge¬
meine Amnestie, vou welcher nur die noch im Krieg begriffenen Provinzen aus¬
geschlossen werden durften, mit der Vergangenheit tabula rusa machen; sie mußte
den Belagerungszustand in Wien, weder sie ihn nicht sogleich aufheben konnte,
wenigstens in so milde Formen kleiden, als es in Berlin geschieht, was bei der
eingebornen Gutmüthigkeit des östreichischen Volks und seiner im Ganzen uner¬
schütterlichen monarchischen Gesinnung keine Schwierigkeiten gehabt hätte; sie mußte
deu Ausdruck liberaler Ansichten eher befördern als hemmen, denn nur die Exi¬
stenz einer gemäßigten Opposition sichert vor dem schleichenden Gift des inhalt¬
losen Radicalismus; sie mußte endlich -- und das ist die Hauptsache -- durch
eine Reihe organischer Gesetze die öffentliche Meinung für sich gewinnen. Darin
hat das Ministerium Brandenburg einen großen Vorzug; mit einem Fleiß und
einer Sicherheit im Arbeiten, wie sie sich nur bei der preußischen Bureaukratie
finden, hat die Regierung fast Tag für Tag ein neues organisches Gesetz veröffent¬
licht, das im Einzelnen seine Mängel haben mag, im Allgemeinen aber die erfreu¬
liche Grundlage des neuen Rechtszustandes bildet.

Von alledem hat das Ministerium Stadion nichts gethan. Man weiß nicht
einmal, wie weit die Tragweite seines Einflusses sich erstreckt, wie weit Radetzky,
Windischgrätz, Jellachich, Melden n. s. w. ihm gehorchen. Man läßt deu Reichs¬
tag zu Kremsier ruhig in der bisherigen Zusammensetzung fortarbeiten, aber zu¬
gleich verspricht mau den Sachsen in Siebenbürgen, den Kroaten, den Serben,
ja Montccuculi verspricht auch den Italienern eine Theilnahme an den allgemei¬
nen Reichsständen, ohne über die Modalität dieser Theilnahme irgend etwas ver¬
lauten zu lassen. Von Reformen in der Justiz, der Administration, den Schul-
anstalten, von einem bestimmten Verhältniß zu dem Ultramontanismus, der mit
der alten Dreistigkeit wieder sein Haupt erhebt, ist keine Rede, in den Finanzen,


Fragt man nun also, was diesem Reichstag gegenüber die Negierung hätte thun
sollen, so stehn wir mit der Autwort keinen Augenblick an. Ihr erster Act müßte sein,
ihn aufzulösen und gleichzeitig die östreichischen Deputirten aus der Paulskirche
abzuberufen. Davon später. Ob sie das positive Recht dazu hatte, ist in un¬
serer revolutionären Zeit eine müssige Frage. Das moralische Recht hatte sie,
unter folgenden Bedingungen. Sie mußte in kürzester Frist die aus demokratischen
Urwcchlcn hervorgegangenen Landtage der verschiednen Provinzen einberufe». Diese
hätten beiläufig an einem Ort zusammenkommen können, um theils unmittelbar
mit der Negierung, theils dnrch gemeinsame Ausschüsse unter einander in Rapport
treten zu können.

Sie mußte ferner, gleichzeitig mit dem Auflösnngsdecret — nicht die Ver-
fassung, denn das hat sein Gehässiges, wohl aber die staatsbürgerlichen Grund¬
rechte octroyiren. Der Inhalt derselben macht keine Schwierigkeiten, über die all¬
gemeinen Principien ist ja alle Welt einig. Sie mußte ferner durch Thaten zeigen,
daß es ihr mit der Ausführung derselben Ernst war; sie mußte durch eine allge¬
meine Amnestie, vou welcher nur die noch im Krieg begriffenen Provinzen aus¬
geschlossen werden durften, mit der Vergangenheit tabula rusa machen; sie mußte
den Belagerungszustand in Wien, weder sie ihn nicht sogleich aufheben konnte,
wenigstens in so milde Formen kleiden, als es in Berlin geschieht, was bei der
eingebornen Gutmüthigkeit des östreichischen Volks und seiner im Ganzen uner¬
schütterlichen monarchischen Gesinnung keine Schwierigkeiten gehabt hätte; sie mußte
deu Ausdruck liberaler Ansichten eher befördern als hemmen, denn nur die Exi¬
stenz einer gemäßigten Opposition sichert vor dem schleichenden Gift des inhalt¬
losen Radicalismus; sie mußte endlich — und das ist die Hauptsache — durch
eine Reihe organischer Gesetze die öffentliche Meinung für sich gewinnen. Darin
hat das Ministerium Brandenburg einen großen Vorzug; mit einem Fleiß und
einer Sicherheit im Arbeiten, wie sie sich nur bei der preußischen Bureaukratie
finden, hat die Regierung fast Tag für Tag ein neues organisches Gesetz veröffent¬
licht, das im Einzelnen seine Mängel haben mag, im Allgemeinen aber die erfreu¬
liche Grundlage des neuen Rechtszustandes bildet.

Von alledem hat das Ministerium Stadion nichts gethan. Man weiß nicht
einmal, wie weit die Tragweite seines Einflusses sich erstreckt, wie weit Radetzky,
Windischgrätz, Jellachich, Melden n. s. w. ihm gehorchen. Man läßt deu Reichs¬
tag zu Kremsier ruhig in der bisherigen Zusammensetzung fortarbeiten, aber zu¬
gleich verspricht mau den Sachsen in Siebenbürgen, den Kroaten, den Serben,
ja Montccuculi verspricht auch den Italienern eine Theilnahme an den allgemei¬
nen Reichsständen, ohne über die Modalität dieser Theilnahme irgend etwas ver¬
lauten zu lassen. Von Reformen in der Justiz, der Administration, den Schul-
anstalten, von einem bestimmten Verhältniß zu dem Ultramontanismus, der mit
der alten Dreistigkeit wieder sein Haupt erhebt, ist keine Rede, in den Finanzen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/132>, abgerufen am 03.07.2024.