Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nem zu thun hatte. Bei einem Schwarzenberg, Stadion, Schmerling u. s. w.
kann die Leidenschaft noch so weit gehn, zuletzt überwiegt doch die Vernunft, und mau
kann sich verständigen. Der Widerstreit egoistischer Interessen ist nicht unlöslich,
mit leeren Phraseurs dagegen, einem GiSkra, Wiesner, Berger u. s. w. ist in
alle Ewigkeit nichts anzufangen.

Die Sache schien nun ganz einfach zu steh". Den Ansprüchen des "Reichs",
sich in die Autonomie Oestreichs einzumischen -- wenn man den K. 2 und 3 des
Grundgesetzes ernstlich diesen Charakter beilegen wollte -- hatte mau deu ernsten
und lauten Protest der Windischgrätz'schen Kanonen entgegengestellt. Dieser Protest
hatte die Erklärung des Ministeriums: "erst uach Constituirung der beiderseitigen
Staaten könne über das nähere Verhältniß derselben zu einander in Unterhand¬
lung getreten werden," bestimmter formulirt. Das Programm des Ministeriums
Gagern acceptirte diese Erklärung, und forderte die Nationalversammlung auf,
zu deu demnach einzuleitenden Unterhandlungen die Vollmacht zu geben.

Da erfolgte die Reise des Herrn v. Schmerling nach Wien. Auf dieser Reise
hielt er die bekannte Rede vor seineu Wähler", worin er sich rühmte, auch in
seiner Stellung als Reichsmiuister nicht die Interessen des Reichs, sondern die
Interessen Oestreichs überall vorangestellt zu habe". Nun überbringt er, als Be¬
vollmächtigter der östreichischen Regierung bei der Centralgewalt, eine Note seines
Cabinets, in welcher dieses sein Programm gewissermaßen zurücknimmt, sich da¬
gegen verwahrt, den bisherigen Einfluß in Deutschland aufgebe" zu wollen, und
gegen das Ansinnen einer gesandtschaftlichen Unterhandlung, das doch zuerst von
Oestreich ausgegangen war, Protest einlegt. Herr v. Schmerling setzt hinzu, diese
"Umstimmung" des Cabinets sei vorzugsweise durch seine Darstellung der bisher
in Oestreich irrig aufgefaßte" Parlamentsverhandlungen erfolgt.

Worin mag diese irrige Auffassung eigentlich bestanden haben? Die Ver¬
handlungen selbst lagen ja klar und offen aller Welt vor Augen, und was
davon zwischen den Zeilen gelesen-werden mußte, war so einfach, daß ein alter
geschulter Staatsmann keiner Beihilfe bedürfte, um es zu verstehen. Herr v.
Schmerling wird also uicht neue Thatsachen beigebracht, sondern neue Rathschläge
ertheilt haben. Vielleicht so: "Die Autonomie Oestreichs ist gesichert, es fragt
sich nun, ob wir uicht außerdem noch die Herrschaft über Deutschland gewinnen
können. Unsere Abgeordneten sitzen einmal im deutschen Parlament. Sie sind
der größern Majorität nach radical. Rufen wir sie zurück, so haben wir von ih¬
nen keinen Gewinn; wir haben nur einen Haufen unnützer Randaleure mehr. In
Frankfurt dagegen sind sie uus von Vortheil, sie lieben uns nicht, aber sie hassen
Preußen mehr, und werden schon aus Eitelkeit dazu beitragen, uns die Hege¬
monie zu erstimmen. Und gelingt das nicht, so ist auf alle Fälle nichts verloren,
als einige Woche" Diäten, und was zu unterhaudel" ist, können wir dann eben
so gut vornehmen, als jetzt."


nem zu thun hatte. Bei einem Schwarzenberg, Stadion, Schmerling u. s. w.
kann die Leidenschaft noch so weit gehn, zuletzt überwiegt doch die Vernunft, und mau
kann sich verständigen. Der Widerstreit egoistischer Interessen ist nicht unlöslich,
mit leeren Phraseurs dagegen, einem GiSkra, Wiesner, Berger u. s. w. ist in
alle Ewigkeit nichts anzufangen.

Die Sache schien nun ganz einfach zu steh». Den Ansprüchen des „Reichs",
sich in die Autonomie Oestreichs einzumischen — wenn man den K. 2 und 3 des
Grundgesetzes ernstlich diesen Charakter beilegen wollte — hatte mau deu ernsten
und lauten Protest der Windischgrätz'schen Kanonen entgegengestellt. Dieser Protest
hatte die Erklärung des Ministeriums: „erst uach Constituirung der beiderseitigen
Staaten könne über das nähere Verhältniß derselben zu einander in Unterhand¬
lung getreten werden," bestimmter formulirt. Das Programm des Ministeriums
Gagern acceptirte diese Erklärung, und forderte die Nationalversammlung auf,
zu deu demnach einzuleitenden Unterhandlungen die Vollmacht zu geben.

Da erfolgte die Reise des Herrn v. Schmerling nach Wien. Auf dieser Reise
hielt er die bekannte Rede vor seineu Wähler», worin er sich rühmte, auch in
seiner Stellung als Reichsmiuister nicht die Interessen des Reichs, sondern die
Interessen Oestreichs überall vorangestellt zu habe«. Nun überbringt er, als Be¬
vollmächtigter der östreichischen Regierung bei der Centralgewalt, eine Note seines
Cabinets, in welcher dieses sein Programm gewissermaßen zurücknimmt, sich da¬
gegen verwahrt, den bisherigen Einfluß in Deutschland aufgebe» zu wollen, und
gegen das Ansinnen einer gesandtschaftlichen Unterhandlung, das doch zuerst von
Oestreich ausgegangen war, Protest einlegt. Herr v. Schmerling setzt hinzu, diese
„Umstimmung" des Cabinets sei vorzugsweise durch seine Darstellung der bisher
in Oestreich irrig aufgefaßte» Parlamentsverhandlungen erfolgt.

Worin mag diese irrige Auffassung eigentlich bestanden haben? Die Ver¬
handlungen selbst lagen ja klar und offen aller Welt vor Augen, und was
davon zwischen den Zeilen gelesen-werden mußte, war so einfach, daß ein alter
geschulter Staatsmann keiner Beihilfe bedürfte, um es zu verstehen. Herr v.
Schmerling wird also uicht neue Thatsachen beigebracht, sondern neue Rathschläge
ertheilt haben. Vielleicht so: „Die Autonomie Oestreichs ist gesichert, es fragt
sich nun, ob wir uicht außerdem noch die Herrschaft über Deutschland gewinnen
können. Unsere Abgeordneten sitzen einmal im deutschen Parlament. Sie sind
der größern Majorität nach radical. Rufen wir sie zurück, so haben wir von ih¬
nen keinen Gewinn; wir haben nur einen Haufen unnützer Randaleure mehr. In
Frankfurt dagegen sind sie uus von Vortheil, sie lieben uns nicht, aber sie hassen
Preußen mehr, und werden schon aus Eitelkeit dazu beitragen, uns die Hege¬
monie zu erstimmen. Und gelingt das nicht, so ist auf alle Fälle nichts verloren,
als einige Woche» Diäten, und was zu unterhaudel» ist, können wir dann eben
so gut vornehmen, als jetzt."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278122"/>
          <p xml:id="ID_420" prev="#ID_419"> nem zu thun hatte. Bei einem Schwarzenberg, Stadion, Schmerling u. s. w.<lb/>
kann die Leidenschaft noch so weit gehn, zuletzt überwiegt doch die Vernunft, und mau<lb/>
kann sich verständigen. Der Widerstreit egoistischer Interessen ist nicht unlöslich,<lb/>
mit leeren Phraseurs dagegen, einem GiSkra, Wiesner, Berger u. s. w. ist in<lb/>
alle Ewigkeit nichts anzufangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421"> Die Sache schien nun ganz einfach zu steh». Den Ansprüchen des &#x201E;Reichs",<lb/>
sich in die Autonomie Oestreichs einzumischen &#x2014; wenn man den K. 2 und 3 des<lb/>
Grundgesetzes ernstlich diesen Charakter beilegen wollte &#x2014; hatte mau deu ernsten<lb/>
und lauten Protest der Windischgrätz'schen Kanonen entgegengestellt. Dieser Protest<lb/>
hatte die Erklärung des Ministeriums: &#x201E;erst uach Constituirung der beiderseitigen<lb/>
Staaten könne über das nähere Verhältniß derselben zu einander in Unterhand¬<lb/>
lung getreten werden," bestimmter formulirt. Das Programm des Ministeriums<lb/>
Gagern acceptirte diese Erklärung, und forderte die Nationalversammlung auf,<lb/>
zu deu demnach einzuleitenden Unterhandlungen die Vollmacht zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422"> Da erfolgte die Reise des Herrn v. Schmerling nach Wien. Auf dieser Reise<lb/>
hielt er die bekannte Rede vor seineu Wähler», worin er sich rühmte, auch in<lb/>
seiner Stellung als Reichsmiuister nicht die Interessen des Reichs, sondern die<lb/>
Interessen Oestreichs überall vorangestellt zu habe«. Nun überbringt er, als Be¬<lb/>
vollmächtigter der östreichischen Regierung bei der Centralgewalt, eine Note seines<lb/>
Cabinets, in welcher dieses sein Programm gewissermaßen zurücknimmt, sich da¬<lb/>
gegen verwahrt, den bisherigen Einfluß in Deutschland aufgebe» zu wollen, und<lb/>
gegen das Ansinnen einer gesandtschaftlichen Unterhandlung, das doch zuerst von<lb/>
Oestreich ausgegangen war, Protest einlegt. Herr v. Schmerling setzt hinzu, diese<lb/>
&#x201E;Umstimmung" des Cabinets sei vorzugsweise durch seine Darstellung der bisher<lb/>
in Oestreich irrig aufgefaßte» Parlamentsverhandlungen erfolgt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_423"> Worin mag diese irrige Auffassung eigentlich bestanden haben? Die Ver¬<lb/>
handlungen selbst lagen ja klar und offen aller Welt vor Augen, und was<lb/>
davon zwischen den Zeilen gelesen-werden mußte, war so einfach, daß ein alter<lb/>
geschulter Staatsmann keiner Beihilfe bedürfte, um es zu verstehen. Herr v.<lb/>
Schmerling wird also uicht neue Thatsachen beigebracht, sondern neue Rathschläge<lb/>
ertheilt haben. Vielleicht so: &#x201E;Die Autonomie Oestreichs ist gesichert, es fragt<lb/>
sich nun, ob wir uicht außerdem noch die Herrschaft über Deutschland gewinnen<lb/>
können. Unsere Abgeordneten sitzen einmal im deutschen Parlament. Sie sind<lb/>
der größern Majorität nach radical. Rufen wir sie zurück, so haben wir von ih¬<lb/>
nen keinen Gewinn; wir haben nur einen Haufen unnützer Randaleure mehr. In<lb/>
Frankfurt dagegen sind sie uus von Vortheil, sie lieben uns nicht, aber sie hassen<lb/>
Preußen mehr, und werden schon aus Eitelkeit dazu beitragen, uns die Hege¬<lb/>
monie zu erstimmen. Und gelingt das nicht, so ist auf alle Fälle nichts verloren,<lb/>
als einige Woche» Diäten, und was zu unterhaudel» ist, können wir dann eben<lb/>
so gut vornehmen, als jetzt."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] nem zu thun hatte. Bei einem Schwarzenberg, Stadion, Schmerling u. s. w. kann die Leidenschaft noch so weit gehn, zuletzt überwiegt doch die Vernunft, und mau kann sich verständigen. Der Widerstreit egoistischer Interessen ist nicht unlöslich, mit leeren Phraseurs dagegen, einem GiSkra, Wiesner, Berger u. s. w. ist in alle Ewigkeit nichts anzufangen. Die Sache schien nun ganz einfach zu steh». Den Ansprüchen des „Reichs", sich in die Autonomie Oestreichs einzumischen — wenn man den K. 2 und 3 des Grundgesetzes ernstlich diesen Charakter beilegen wollte — hatte mau deu ernsten und lauten Protest der Windischgrätz'schen Kanonen entgegengestellt. Dieser Protest hatte die Erklärung des Ministeriums: „erst uach Constituirung der beiderseitigen Staaten könne über das nähere Verhältniß derselben zu einander in Unterhand¬ lung getreten werden," bestimmter formulirt. Das Programm des Ministeriums Gagern acceptirte diese Erklärung, und forderte die Nationalversammlung auf, zu deu demnach einzuleitenden Unterhandlungen die Vollmacht zu geben. Da erfolgte die Reise des Herrn v. Schmerling nach Wien. Auf dieser Reise hielt er die bekannte Rede vor seineu Wähler», worin er sich rühmte, auch in seiner Stellung als Reichsmiuister nicht die Interessen des Reichs, sondern die Interessen Oestreichs überall vorangestellt zu habe«. Nun überbringt er, als Be¬ vollmächtigter der östreichischen Regierung bei der Centralgewalt, eine Note seines Cabinets, in welcher dieses sein Programm gewissermaßen zurücknimmt, sich da¬ gegen verwahrt, den bisherigen Einfluß in Deutschland aufgebe» zu wollen, und gegen das Ansinnen einer gesandtschaftlichen Unterhandlung, das doch zuerst von Oestreich ausgegangen war, Protest einlegt. Herr v. Schmerling setzt hinzu, diese „Umstimmung" des Cabinets sei vorzugsweise durch seine Darstellung der bisher in Oestreich irrig aufgefaßte» Parlamentsverhandlungen erfolgt. Worin mag diese irrige Auffassung eigentlich bestanden haben? Die Ver¬ handlungen selbst lagen ja klar und offen aller Welt vor Augen, und was davon zwischen den Zeilen gelesen-werden mußte, war so einfach, daß ein alter geschulter Staatsmann keiner Beihilfe bedürfte, um es zu verstehen. Herr v. Schmerling wird also uicht neue Thatsachen beigebracht, sondern neue Rathschläge ertheilt haben. Vielleicht so: „Die Autonomie Oestreichs ist gesichert, es fragt sich nun, ob wir uicht außerdem noch die Herrschaft über Deutschland gewinnen können. Unsere Abgeordneten sitzen einmal im deutschen Parlament. Sie sind der größern Majorität nach radical. Rufen wir sie zurück, so haben wir von ih¬ nen keinen Gewinn; wir haben nur einen Haufen unnützer Randaleure mehr. In Frankfurt dagegen sind sie uus von Vortheil, sie lieben uns nicht, aber sie hassen Preußen mehr, und werden schon aus Eitelkeit dazu beitragen, uns die Hege¬ monie zu erstimmen. Und gelingt das nicht, so ist auf alle Fälle nichts verloren, als einige Woche» Diäten, und was zu unterhaudel» ist, können wir dann eben so gut vornehmen, als jetzt."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/134>, abgerufen am 03.07.2024.