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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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einen ist eben so wenig gesagt, als mit dem andern, und so hat dann der Reichs¬
tag Recht gehabt, die ganze Sache zu vertagen; aber eben so ist er in seinem
Recht, wenn er in Harnisch gerä'es über die Zumuthung der Regierung, bei jedem
einzelnen Punkt im Voraus die Entscheidung der Debatten bestimmen zu wollen.
Nur ist in dieser gemeinsamen Erbitterung nichts Positives. Rieger und Lohn er
können als gute Demokraten sich zum Kampf gegen eine reactionäre Regierung
vereinigen, aber sie können niemals zusammen in eine neue, constituirende Regie"
rung eintreten. Anders stünde es freilich, wenn sie fertige Verhältnisse vorfänden.

Zur Ordnung unfertiger Verhältnisse ist dieser Reichstag nicht berufen. Er
hat nicht das Recht, Oestreich zu constituiren, denn er repräsentirt nicht das
ganze östreichische Volk, sondern nur einzelne Provinzen desselben; er hat aber
auch uicht die Kraft dazu, denn er dreht sich um verschiedene Centren. Es kann
ein Parlament aus den verschiedenartigsten Fractionen bestehen, je nach dem Grade
der Freiheit, den dieser oder jener begehrt, die Abstimmung wird immer zu einem
wenigstens relativ befriedigenden Resultat führen. Tories, Whigs, Radicale, selbst
Chartisten können bequem ueben einander sitzen, so viel Lärm sie auch gegen ein¬
ander aufschlagen mögen. Aber die Anwesenheit der Rcpealer ist ein Krebsschaden
sür die politische Entwicklung Englands, wie die der Polen im preußischen Land¬
tage, denn wo von einer Gemeinsamkeit der Interessen keine Rede ist, hört auch
das luir pi.l^ des Streites auf. Indeß in England, wie in Preußen ist das
fremdartige Element doch sehr unbedeutend, im östreichischen Reichstag dagegen
halten sich beide die Wage. Die in-ki-corn-Illo-IiKue sah gefährlich genug aus,
aber eS war doch immer ein Resultat abzusehen, die eine Partei mußte die andere
absorbiren; das ist aber bei den Parteien in Oestreich nicht möglich. So wenig
die Deutschen der "tuo-mskii, lipü beitreten werden, so wenig die Slaven den
deutschen Vereinen.

Es kommt noch dazu, daß der Reichstag eine große Menge seiner Capaci-
täten entbehrt, die das unglückselige Frankfurt absorbirt hat, und daß hier ein
drittes Centrum der politischen Bestrebungen gebildet ist, welches um so weniger
geeignet ist, die gesunde Entwickelung der östreichischen Politik an sich zu fesseln,
da es im Nebel liegt. Es kommt ferner dazu, daß der "constitnirende" Reichs¬
tag aus der Revolution hervorging -- einem durch die letzten Monate
überwundenen Standpunkt --, daß er also bei dem besten Willen und
der edelsten Gesinnung der einzelnen Mitglieder auf unwahren Voraussetzungen
basirte. Eine constituirende Versammlung ist an sich schon ohne Ausnahme
ein eitles und fruchtloses Unternehmen, weil sie ins Blaue operirt, noch weit mehr
aber in Oestreich, wo selbst die am höchsten gestellten Staatsmänner die Verhält¬
nisse nicht ganz übersehen, und wo die Verschiedenheit der Kulturstufe"! und selbst
der Localitäten jene Uniformität der Verfassung, welche der Erbfehler aller jun¬
gen Constitutipnen ist, ganz und gar unmöglich machen.


Is*

einen ist eben so wenig gesagt, als mit dem andern, und so hat dann der Reichs¬
tag Recht gehabt, die ganze Sache zu vertagen; aber eben so ist er in seinem
Recht, wenn er in Harnisch gerä'es über die Zumuthung der Regierung, bei jedem
einzelnen Punkt im Voraus die Entscheidung der Debatten bestimmen zu wollen.
Nur ist in dieser gemeinsamen Erbitterung nichts Positives. Rieger und Lohn er
können als gute Demokraten sich zum Kampf gegen eine reactionäre Regierung
vereinigen, aber sie können niemals zusammen in eine neue, constituirende Regie»
rung eintreten. Anders stünde es freilich, wenn sie fertige Verhältnisse vorfänden.

Zur Ordnung unfertiger Verhältnisse ist dieser Reichstag nicht berufen. Er
hat nicht das Recht, Oestreich zu constituiren, denn er repräsentirt nicht das
ganze östreichische Volk, sondern nur einzelne Provinzen desselben; er hat aber
auch uicht die Kraft dazu, denn er dreht sich um verschiedene Centren. Es kann
ein Parlament aus den verschiedenartigsten Fractionen bestehen, je nach dem Grade
der Freiheit, den dieser oder jener begehrt, die Abstimmung wird immer zu einem
wenigstens relativ befriedigenden Resultat führen. Tories, Whigs, Radicale, selbst
Chartisten können bequem ueben einander sitzen, so viel Lärm sie auch gegen ein¬
ander aufschlagen mögen. Aber die Anwesenheit der Rcpealer ist ein Krebsschaden
sür die politische Entwicklung Englands, wie die der Polen im preußischen Land¬
tage, denn wo von einer Gemeinsamkeit der Interessen keine Rede ist, hört auch
das luir pi.l^ des Streites auf. Indeß in England, wie in Preußen ist das
fremdartige Element doch sehr unbedeutend, im östreichischen Reichstag dagegen
halten sich beide die Wage. Die in-ki-corn-Illo-IiKue sah gefährlich genug aus,
aber eS war doch immer ein Resultat abzusehen, die eine Partei mußte die andere
absorbiren; das ist aber bei den Parteien in Oestreich nicht möglich. So wenig
die Deutschen der «tuo-mskii, lipü beitreten werden, so wenig die Slaven den
deutschen Vereinen.

Es kommt noch dazu, daß der Reichstag eine große Menge seiner Capaci-
täten entbehrt, die das unglückselige Frankfurt absorbirt hat, und daß hier ein
drittes Centrum der politischen Bestrebungen gebildet ist, welches um so weniger
geeignet ist, die gesunde Entwickelung der östreichischen Politik an sich zu fesseln,
da es im Nebel liegt. Es kommt ferner dazu, daß der „constitnirende" Reichs¬
tag aus der Revolution hervorging — einem durch die letzten Monate
überwundenen Standpunkt --, daß er also bei dem besten Willen und
der edelsten Gesinnung der einzelnen Mitglieder auf unwahren Voraussetzungen
basirte. Eine constituirende Versammlung ist an sich schon ohne Ausnahme
ein eitles und fruchtloses Unternehmen, weil sie ins Blaue operirt, noch weit mehr
aber in Oestreich, wo selbst die am höchsten gestellten Staatsmänner die Verhält¬
nisse nicht ganz übersehen, und wo die Verschiedenheit der Kulturstufe»! und selbst
der Localitäten jene Uniformität der Verfassung, welche der Erbfehler aller jun¬
gen Constitutipnen ist, ganz und gar unmöglich machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/131>, abgerufen am 04.07.2024.