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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Vom Reich.



Wenn man dem Glockengeläute trauen könnte und dem Wehen der schwarz¬
roth-goldnen Fahnen, so wäre der Tag für das Reich, der schöne Tag, mit wel¬
chem die Zersplitterung Deutschlands ein Ende haben soll, bereits ausgegangen.
"Kein Oestreich, kein Preußen mehr! ein einiges Deutschland!" Dieser Toast hat
den Erzherzog Johann von Oestreich zum deutschen Reichsverweser gemacht.
"Wir haben so lange gefragt, was des Deutschen Vaterland sei!" rief Herr Ra-
veaux aus Cöln, wahrscheinlich etwas berauscht über die Huldigungen, die ihm,
dem Deputirten der Linken, von den Wiener Studenten zu Theil wurden, "jetzt
werden wir es nicht mehr fragen, da wir den deutschen Johann an unserer
Spitze sehen!" Alle Fragen wären also anf's beste gelöst, die Schleswig-holsteinische,
die Tiroler, die Prager, die Posener und was sonst noch für Fragezeichen hinter
den Titel deö Einigen Deutschland gedruckt wurden -- so eben hat der König von
Hannover ein neues hinzugefügt.

Ich gebe nicht viel auf Zeichen und Wunder; mit Einem Schlage wird die
Verwirrung von Jahrtausenden nicht gelöst. Zwar ist ein höchst bedeutender Schritt
geschehn, die Ordnung wieder herzustellen -- besser als jene Freudenglocken und
Reichsbanner bezeugen es die Courszettel der Börse, die ein fortwährendes Stei¬
gen melden --, aber es hieße das Schicksal herausfordern, wenn man auch uur
einen Augenblick in ein vorzeitiges Triumphgeschrei ausbrechen und die ernsten
Bedenken verkennen wollte, die in jener Wahl selbst liegen. Betrachten wir zu¬
nächst diese Wahl an sich.

Vor Allem müssen wir der Entscheidung des Parlaments, die höchste Würde
des Reichs Einem zu übertragen, unbedingt den Vorzug geben vor der Idee der
Fürsten, einen dreiköpfigen unverantwortlichen Reichsverweser mit einem Ministe¬
rium -- wo möglich noch mit einer Fürstenkammer -- der Nationalversammlung
wie den einzelnen Staaten entgegenzustellen. Eine solche Monstrosität wäre schon
in diesem Augenblick schlechter gewesen als der alte Bundestag und wir dürfen
dabei nicht vergessen, daß die Aufstellung des Reichsverwesers zwar eine proviso¬
rische ist, daß sie aber auch zugleich ein Maß gibt für die Zukunft. Wenn für
den Augenblick die Regentschaft sich bewährt, so ist das Uebergewicht der Central-
gewalt über die einzelnen Staaten entschieden -- ein Uebergewicht, gegen welches
us sonst im Interesse der natürlichen politischen Entwickelung Protest einlegen
möchte, das ich aber, wie die Sachen jetzt stehen, bei der gänzlichen Auflösung
der beiden Hauptstaaten, als letzte Hoffnung für Deutschland nur freudig be¬
grüßen kann.


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Vom Reich.



Wenn man dem Glockengeläute trauen könnte und dem Wehen der schwarz¬
roth-goldnen Fahnen, so wäre der Tag für das Reich, der schöne Tag, mit wel¬
chem die Zersplitterung Deutschlands ein Ende haben soll, bereits ausgegangen.
„Kein Oestreich, kein Preußen mehr! ein einiges Deutschland!" Dieser Toast hat
den Erzherzog Johann von Oestreich zum deutschen Reichsverweser gemacht.
„Wir haben so lange gefragt, was des Deutschen Vaterland sei!" rief Herr Ra-
veaux aus Cöln, wahrscheinlich etwas berauscht über die Huldigungen, die ihm,
dem Deputirten der Linken, von den Wiener Studenten zu Theil wurden, „jetzt
werden wir es nicht mehr fragen, da wir den deutschen Johann an unserer
Spitze sehen!" Alle Fragen wären also anf's beste gelöst, die Schleswig-holsteinische,
die Tiroler, die Prager, die Posener und was sonst noch für Fragezeichen hinter
den Titel deö Einigen Deutschland gedruckt wurden — so eben hat der König von
Hannover ein neues hinzugefügt.

Ich gebe nicht viel auf Zeichen und Wunder; mit Einem Schlage wird die
Verwirrung von Jahrtausenden nicht gelöst. Zwar ist ein höchst bedeutender Schritt
geschehn, die Ordnung wieder herzustellen — besser als jene Freudenglocken und
Reichsbanner bezeugen es die Courszettel der Börse, die ein fortwährendes Stei¬
gen melden —, aber es hieße das Schicksal herausfordern, wenn man auch uur
einen Augenblick in ein vorzeitiges Triumphgeschrei ausbrechen und die ernsten
Bedenken verkennen wollte, die in jener Wahl selbst liegen. Betrachten wir zu¬
nächst diese Wahl an sich.

Vor Allem müssen wir der Entscheidung des Parlaments, die höchste Würde
des Reichs Einem zu übertragen, unbedingt den Vorzug geben vor der Idee der
Fürsten, einen dreiköpfigen unverantwortlichen Reichsverweser mit einem Ministe¬
rium — wo möglich noch mit einer Fürstenkammer — der Nationalversammlung
wie den einzelnen Staaten entgegenzustellen. Eine solche Monstrosität wäre schon
in diesem Augenblick schlechter gewesen als der alte Bundestag und wir dürfen
dabei nicht vergessen, daß die Aufstellung des Reichsverwesers zwar eine proviso¬
rische ist, daß sie aber auch zugleich ein Maß gibt für die Zukunft. Wenn für
den Augenblick die Regentschaft sich bewährt, so ist das Uebergewicht der Central-
gewalt über die einzelnen Staaten entschieden — ein Uebergewicht, gegen welches
us sonst im Interesse der natürlichen politischen Entwickelung Protest einlegen
möchte, das ich aber, wie die Sachen jetzt stehen, bei der gänzlichen Auflösung
der beiden Hauptstaaten, als letzte Hoffnung für Deutschland nur freudig be¬
grüßen kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/95>, abgerufen am 28.09.2024.