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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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den Ideen der Zeit den augenblicklichen Sieg zu sichern, so bricht der Zwiespalt
der Nationalitäten um so gewisser los und, indem er sich hinter den loyalen Ab¬
scheu vor den ultrademokratischcu Tendenzen der Deutschen steckt, kann er noch ein¬
mal hohe Protection und zahlreiche Bundesgenossen finden; die Tyroler verschwören
sich eher mit Jcllaczicz und den Kroaten, -- von den Bureaukraten nicht zu spre¬
chen, -- als sie die Glaubensfreiheit in ihre Berge dringen lassen.

Vom Reichstage hängt überdies das Schicksal und die Haltung der künstigen
Provinziallandtage ab; wenn die Deputirten nicht versöhnende Bürgschaften und die
Ueberzeugung von einer starken Wiener Centralgewalt uach Hause bringen, so entbrennt
in den Ländern gemischter Zunge der Nacenstrcit jeden Augenblick von Neuem.
In Böhmen wird bis zur Eröffnung des Provinziallandtages das Ultratschcchen-
thum schwerlich bekehrt sein und während Barus Jcllaczicz zu Jnspruck so rüh¬
rende Reden hielt, daß den erzherzoglichen Frauen und kaiserlichen Hoheiten die
Thränen in den Augen standen, während er in einem offenen Sendschreiben die
Serben und Kroaten ermahnte, ihre weltberühmte Sanftmuth und Friedlichkeit
ferner von Europa bewundern zu lassen, richteten seine Anhänger auf dem ganzen
Grenzstrich von Agram bis Carlowicz und Temesv-ir vorläufige Blutbäder unter
Deutschen und Magyaren an; der kaiserliche Commissär Hrabowsky, der dort die
Ordnung aufrechthalten und im Namen des Kaisers die Absetzung des Baums Jcllaczicz
zur Wahrheit macheu sollte, wäre sammt seinen Truppen schlimm gefahren, wenn er
sich nicht aufs Diplomatisiren gelegt und am rechten wie am unrechten Ort ein Auge
zugedrückt hätte. Jellaczicz's Name ist zwischen Sau und Drau mächtiger, als der
des Kaisers; eben so sind es die Namen Kossuth und Wesselenyi nnter den Ma¬
gyaren; und lächerlich wäre die Einbildung, daß Oestreich in jenen Gegenden als
Schirmherr des Schwachen gegen den Starken austreten könne. Oestreich muß sich
auf den Stärkern stützen und sich hüten, ihn allzustark werden zu lassen, daher
wird bald der Magyar, bald der Slave begünstigt. Die Presse freilich geht in
ihrer Parteinahme für oder wider Slaven und Magyaren von gemüthlichen Vor¬
aussetzungen aus und schreibt den feindlichen Nationalitäten größere oder geringere
Anhänglichkeit an die Monarchie zu. Diese blinde Anhänglichkeit ist nirgends zu
senden oder zu verlangen, als in Wien, welches begreiflicherweise Mittelpunkt der
größtmöglichen Peripherie bleiben will; der Magyar, wie der Croat, wie der
Pole, wie der Ultraczeche mochten sich am liebsten von Oestreich unabhängig machen.
Man appellire dagegen nicht an ihr Pflichtgefühl, sondern an ihren Verstand und
an ihr Interesse. Der Magyar hat im ersten Nevolutionsrausch seine Kraft über¬
schätzt und, den Feind an der Ferse übersehend, das ungarische Kriegs- und Finanz-
Nnnisterium den Händen des Wiener Cabinets entwunden; aber der Südslave, den
er für seinen gehorsamen Steigbügel hielt, fällt ihm jetzt ab und sein Sitz im
Sattel wird schwankend, er wird sich daher, nach einigen renommistischen Schwü¬
ren, dem Wiener Cabinet fügen müssen. Durch magyarischen Einfluß wurde


Grenjbotcn. in. ,2

den Ideen der Zeit den augenblicklichen Sieg zu sichern, so bricht der Zwiespalt
der Nationalitäten um so gewisser los und, indem er sich hinter den loyalen Ab¬
scheu vor den ultrademokratischcu Tendenzen der Deutschen steckt, kann er noch ein¬
mal hohe Protection und zahlreiche Bundesgenossen finden; die Tyroler verschwören
sich eher mit Jcllaczicz und den Kroaten, — von den Bureaukraten nicht zu spre¬
chen, — als sie die Glaubensfreiheit in ihre Berge dringen lassen.

Vom Reichstage hängt überdies das Schicksal und die Haltung der künstigen
Provinziallandtage ab; wenn die Deputirten nicht versöhnende Bürgschaften und die
Ueberzeugung von einer starken Wiener Centralgewalt uach Hause bringen, so entbrennt
in den Ländern gemischter Zunge der Nacenstrcit jeden Augenblick von Neuem.
In Böhmen wird bis zur Eröffnung des Provinziallandtages das Ultratschcchen-
thum schwerlich bekehrt sein und während Barus Jcllaczicz zu Jnspruck so rüh¬
rende Reden hielt, daß den erzherzoglichen Frauen und kaiserlichen Hoheiten die
Thränen in den Augen standen, während er in einem offenen Sendschreiben die
Serben und Kroaten ermahnte, ihre weltberühmte Sanftmuth und Friedlichkeit
ferner von Europa bewundern zu lassen, richteten seine Anhänger auf dem ganzen
Grenzstrich von Agram bis Carlowicz und Temesv-ir vorläufige Blutbäder unter
Deutschen und Magyaren an; der kaiserliche Commissär Hrabowsky, der dort die
Ordnung aufrechthalten und im Namen des Kaisers die Absetzung des Baums Jcllaczicz
zur Wahrheit macheu sollte, wäre sammt seinen Truppen schlimm gefahren, wenn er
sich nicht aufs Diplomatisiren gelegt und am rechten wie am unrechten Ort ein Auge
zugedrückt hätte. Jellaczicz's Name ist zwischen Sau und Drau mächtiger, als der
des Kaisers; eben so sind es die Namen Kossuth und Wesselenyi nnter den Ma¬
gyaren; und lächerlich wäre die Einbildung, daß Oestreich in jenen Gegenden als
Schirmherr des Schwachen gegen den Starken austreten könne. Oestreich muß sich
auf den Stärkern stützen und sich hüten, ihn allzustark werden zu lassen, daher
wird bald der Magyar, bald der Slave begünstigt. Die Presse freilich geht in
ihrer Parteinahme für oder wider Slaven und Magyaren von gemüthlichen Vor¬
aussetzungen aus und schreibt den feindlichen Nationalitäten größere oder geringere
Anhänglichkeit an die Monarchie zu. Diese blinde Anhänglichkeit ist nirgends zu
senden oder zu verlangen, als in Wien, welches begreiflicherweise Mittelpunkt der
größtmöglichen Peripherie bleiben will; der Magyar, wie der Croat, wie der
Pole, wie der Ultraczeche mochten sich am liebsten von Oestreich unabhängig machen.
Man appellire dagegen nicht an ihr Pflichtgefühl, sondern an ihren Verstand und
an ihr Interesse. Der Magyar hat im ersten Nevolutionsrausch seine Kraft über¬
schätzt und, den Feind an der Ferse übersehend, das ungarische Kriegs- und Finanz-
Nnnisterium den Händen des Wiener Cabinets entwunden; aber der Südslave, den
er für seinen gehorsamen Steigbügel hielt, fällt ihm jetzt ab und sein Sitz im
Sattel wird schwankend, er wird sich daher, nach einigen renommistischen Schwü¬
ren, dem Wiener Cabinet fügen müssen. Durch magyarischen Einfluß wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/93>, abgerufen am 28.09.2024.