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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Ich kann mir nicht denken, daß unsere Centralisten, wenn's an die wirkliche Ar¬
beit geht, den Begriff: Bundesstaat auf die Spitze treiben werden. Das Beispiel
Gesammtdeutschlands muß für uns maßgebend sein. Wenn unsere Provinzen auch
seit Jahrhunderten nicht mehr die ausgebildete staatliche Form der deutschen König¬
reiche, Herzogthümer u. s. w. besitzen, so ist dafür der nationale und culturhisto¬
rische Unterschied zwischen ihnen um so höher anzuschlagen.

Allein angenommen, der Reichstag wäre in der Auffassung seiner Aufgabe
dieses Sinnes und beschränkte sich darauf, eine starke Vvllziehungsgewalt im Brenn¬
punkt der Monarchie zu gründen; die Grenze dieser Gewalt gegenüber den Ver¬
fassungen der einzelnen Erdtaube und die allgemeinen demokratischen Grundsätze,
auf denen diese Konstitutionen beruhen sollen, zu bestimmen, -- so zweifle ich
erstens an der Fähigkeit des Reichstages, diese Aufgabe zu lösen, dann aber be¬
fürchte ich, daß bei der Constituirung der Provinzen die Revolution noch einmal
die Runde durch Böhmen, Polen u. f. w. machen und die Vollziehuugsgewalt
gezwungen sein wird, bald da, bald dort einzuschreiten und windischgrätzen zu lassen.

Die Zusammensetzung des Reichstags ist geeignet, dem Muthigsten bange zu
machen. Am vernünftigsten sind bis jetzt die Wahlen in Wien und den deutsch¬
slavischen Ländern Böhmen und Mähren ausgefallen; ein Verzeichniß der wichtig¬
sten Namen und eine Classificiruug derselben sende ich Ihnen nach gänzlicher Voll¬
ziehung der Wahlen ein. In Böhmen ist, zum Leidwesen der Ultraczechen, der
Prager Provinziallandtag auf längere Zeit verschoben worden und die Deutsch-
seiude sperren sich eben so feindselig gegen den kaiserlichen Reichstag wie früher
gegen das Frankfurter Parlament, aber glücklicherweise fehlt ihnen jetzt der Spiel¬
raum für den leisesten Terrorismus. Mähren ist eifrigst zu den Wahlen geschritten
und hat bei dieser Gelegenheit von Neuem bewiesen, wie fremd seiner slavischen
Bevölkerung der Präger Fanatismus geblieben ist. Steiermark, Kärnthen, Krain,
Jstrien, Tirol und Galizien bescheren uns dagegen einen Haufen Beamte und
Pfaffensendlinge, außerdem aber eine furchtbare Ueberzahl von Stockslaven der ver¬
schiedensten Art, Nuthenen, Polen, Wenden, Croaten u. s. w. Es find stattliche
Gestalten darunter, die jedoch, wie ein bekannter serbischer Fürst, dessen Figur eben¬
falls ritterlich aussieht, mit der gemeinen Lese- und Lchreibekunst sich nie befaßt
haben; die Gebildeten schreiben und lesen zwar, aber "nix denses." Welche Rolle
diese stockslavischen Deputirten auf dem Reichstage spielen werden? Im besten
Falle mögen sie, gleich den Wasserpolacken in Berlin, die Rechte übermäßig ver¬
stärken und vom Führer derselben, Grafen Stadion, zum Stimmen sich am Ma¬
rionettendraht ziehen lassen. Wie aber, wenn sie ihre numerische Uebermacht geltend
machen und in Wien eine zweite Auflage des Slavencongresses herausgeben wollen?

Faßt die deutsche Minderheit den Reichstag anders auf, will sie, aus Furcht
vor dem niedrigeren Bildungsstand der entfernter" Provinzen, gewissermaßen Jo¬
seph II. Rolle spielen und eine allgemein östreichische Verfassung durchsetzen, um


Ich kann mir nicht denken, daß unsere Centralisten, wenn's an die wirkliche Ar¬
beit geht, den Begriff: Bundesstaat auf die Spitze treiben werden. Das Beispiel
Gesammtdeutschlands muß für uns maßgebend sein. Wenn unsere Provinzen auch
seit Jahrhunderten nicht mehr die ausgebildete staatliche Form der deutschen König¬
reiche, Herzogthümer u. s. w. besitzen, so ist dafür der nationale und culturhisto¬
rische Unterschied zwischen ihnen um so höher anzuschlagen.

Allein angenommen, der Reichstag wäre in der Auffassung seiner Aufgabe
dieses Sinnes und beschränkte sich darauf, eine starke Vvllziehungsgewalt im Brenn¬
punkt der Monarchie zu gründen; die Grenze dieser Gewalt gegenüber den Ver¬
fassungen der einzelnen Erdtaube und die allgemeinen demokratischen Grundsätze,
auf denen diese Konstitutionen beruhen sollen, zu bestimmen, — so zweifle ich
erstens an der Fähigkeit des Reichstages, diese Aufgabe zu lösen, dann aber be¬
fürchte ich, daß bei der Constituirung der Provinzen die Revolution noch einmal
die Runde durch Böhmen, Polen u. f. w. machen und die Vollziehuugsgewalt
gezwungen sein wird, bald da, bald dort einzuschreiten und windischgrätzen zu lassen.

Die Zusammensetzung des Reichstags ist geeignet, dem Muthigsten bange zu
machen. Am vernünftigsten sind bis jetzt die Wahlen in Wien und den deutsch¬
slavischen Ländern Böhmen und Mähren ausgefallen; ein Verzeichniß der wichtig¬
sten Namen und eine Classificiruug derselben sende ich Ihnen nach gänzlicher Voll¬
ziehung der Wahlen ein. In Böhmen ist, zum Leidwesen der Ultraczechen, der
Prager Provinziallandtag auf längere Zeit verschoben worden und die Deutsch-
seiude sperren sich eben so feindselig gegen den kaiserlichen Reichstag wie früher
gegen das Frankfurter Parlament, aber glücklicherweise fehlt ihnen jetzt der Spiel¬
raum für den leisesten Terrorismus. Mähren ist eifrigst zu den Wahlen geschritten
und hat bei dieser Gelegenheit von Neuem bewiesen, wie fremd seiner slavischen
Bevölkerung der Präger Fanatismus geblieben ist. Steiermark, Kärnthen, Krain,
Jstrien, Tirol und Galizien bescheren uns dagegen einen Haufen Beamte und
Pfaffensendlinge, außerdem aber eine furchtbare Ueberzahl von Stockslaven der ver¬
schiedensten Art, Nuthenen, Polen, Wenden, Croaten u. s. w. Es find stattliche
Gestalten darunter, die jedoch, wie ein bekannter serbischer Fürst, dessen Figur eben¬
falls ritterlich aussieht, mit der gemeinen Lese- und Lchreibekunst sich nie befaßt
haben; die Gebildeten schreiben und lesen zwar, aber „nix denses." Welche Rolle
diese stockslavischen Deputirten auf dem Reichstage spielen werden? Im besten
Falle mögen sie, gleich den Wasserpolacken in Berlin, die Rechte übermäßig ver¬
stärken und vom Führer derselben, Grafen Stadion, zum Stimmen sich am Ma¬
rionettendraht ziehen lassen. Wie aber, wenn sie ihre numerische Uebermacht geltend
machen und in Wien eine zweite Auflage des Slavencongresses herausgeben wollen?

Faßt die deutsche Minderheit den Reichstag anders auf, will sie, aus Furcht
vor dem niedrigeren Bildungsstand der entfernter» Provinzen, gewissermaßen Jo¬
seph II. Rolle spielen und eine allgemein östreichische Verfassung durchsetzen, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/92>, abgerufen am 29.06.2024.