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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ten Leitartikel der Schwarzer'schen Zeitung überfliege, so mein ich Levitschnigg,
in politische Prosa aufgelöst und mit etwas unverdautem Hegel versetzt, zu genießen.


-- "Joseph schwamm, die Perle der Toleranz im Munde,
Hinüber an's Gestade der Unsterblichkeit!"

sang unter dem "..all-n I'og'in.k! ein censurflüchtigcs Gedicht jenes poetisirenden
Ritters und die politistrenden Ritter des neuen i-Lximö Paraphrasiren Shakespeare's
Antoninsrede zu einem lo-ulor über die Reaction und erzählen der Welt mit ernst¬
hafter Miene, daß unser "Cäsar (der Freiheit)" vom "Brutus (des Preßgesetzcö)"
erdolcht wird. Das ist, wo möglich, noch haarsträubender.

Doch gönnen wir den liebenswürdigen Wienern die Lust an den Flittermo¬
naten der Freiheit, wenn auch der lang verhaltene Sturm und Drang sich an¬
fangs in maßloser Ueberschwenglichkeit Lust macht. Die Tage der Ernüchterung
werden nur zu bald eintreten. Der Reichstag steht vor der Thüre, die Provinzen
kommen nach Wien. Die polnische, böhmische und slavisch-magyarische Frage
rücken uns in Fleisch und Bein auf den Hals und man kann sich der bösen Ah¬
nung nicht erwehren, daß unsere Constituante nichts als der leibhaftige Ausdruck
jener babylonischen Verwirrung sein wird, in welche eine Reihe abscheulicher Re¬
gierungen das große Oestreich gestürzt hat.

Soll der Reichstag eine einige, für sämmtliche Erdtaube unbedingt giltige,
soll er eine allgemeine k. k. östreichische Verfassung feststellen? Oder soll er nur
die Verhältnisse der Provinzen zu einander und zur künftigen Centralgewalt in
Wien regeln, so daß die Verfassungen in ihrem Detail den Provinziallandtagen
der einzelnen Erdtaube überlassen blieben? Das ist die Frage, über welche vor
der Hand noch Niemand, von Tuvora bis vielleicht zu Pillersdors hinauf, eine
klare Antwort zu geben vermag. Es ist die alte, früher auf Gcsammtdeutschland
angewandte Frage: Ob Bundesstaat, ob Staatenbund? Hier hat man über dieses
Parteistichwort ein Meer von Dinte vergossen, ohne zu einem Verständniß zu kom¬
men. Ich glaube, so weit man bis jetzt Gesammtdeutschland ein Horoskop stellen
kann, so wird es in seiner auswärtigen Politik und in Bezug auf die allgemein¬
sten Zeitanfordernngen (Gerichtsverfahren, Freiheit der Person, Gleichheit aller
Culte u. s. w.) die Centralisation eines Bundesstaates einführen, in untergeord¬
neten Angelegenheiten aber Staatenbund bleiben. Es wird den Herren in Frank¬
furt niemals einfallen, von der Paulskirche aus über die preußische Städteordnung,
das sächsische Elementarschulweseu oder über die Civilliste zu beschließen, welche
die weimarische Kammer ihrem Großherzog geben will, denn dies wäre eben so
undemokratisch als unersprießlich. Einen unbedingten Centralzwang, welcher dem
Grundsatz der Selbstregierung in's Gesicht schlägt, kennen nur die Franzosen und
bei diesen führt er zu der faulen Wirthschaft, daß die Regierung, welche ihre
Nase in Alles stecken und Alles thun soll, gar Nichts recht thut und in den Pro¬
vinzen tausenderlei gehen läßt wies Gott gefällt oder dem Herrn Unterpräsecten...


ten Leitartikel der Schwarzer'schen Zeitung überfliege, so mein ich Levitschnigg,
in politische Prosa aufgelöst und mit etwas unverdautem Hegel versetzt, zu genießen.


— „Joseph schwamm, die Perle der Toleranz im Munde,
Hinüber an's Gestade der Unsterblichkeit!"

sang unter dem »..all-n I'og'in.k! ein censurflüchtigcs Gedicht jenes poetisirenden
Ritters und die politistrenden Ritter des neuen i-Lximö Paraphrasiren Shakespeare's
Antoninsrede zu einem lo-ulor über die Reaction und erzählen der Welt mit ernst¬
hafter Miene, daß unser „Cäsar (der Freiheit)" vom „Brutus (des Preßgesetzcö)"
erdolcht wird. Das ist, wo möglich, noch haarsträubender.

Doch gönnen wir den liebenswürdigen Wienern die Lust an den Flittermo¬
naten der Freiheit, wenn auch der lang verhaltene Sturm und Drang sich an¬
fangs in maßloser Ueberschwenglichkeit Lust macht. Die Tage der Ernüchterung
werden nur zu bald eintreten. Der Reichstag steht vor der Thüre, die Provinzen
kommen nach Wien. Die polnische, böhmische und slavisch-magyarische Frage
rücken uns in Fleisch und Bein auf den Hals und man kann sich der bösen Ah¬
nung nicht erwehren, daß unsere Constituante nichts als der leibhaftige Ausdruck
jener babylonischen Verwirrung sein wird, in welche eine Reihe abscheulicher Re¬
gierungen das große Oestreich gestürzt hat.

Soll der Reichstag eine einige, für sämmtliche Erdtaube unbedingt giltige,
soll er eine allgemeine k. k. östreichische Verfassung feststellen? Oder soll er nur
die Verhältnisse der Provinzen zu einander und zur künftigen Centralgewalt in
Wien regeln, so daß die Verfassungen in ihrem Detail den Provinziallandtagen
der einzelnen Erdtaube überlassen blieben? Das ist die Frage, über welche vor
der Hand noch Niemand, von Tuvora bis vielleicht zu Pillersdors hinauf, eine
klare Antwort zu geben vermag. Es ist die alte, früher auf Gcsammtdeutschland
angewandte Frage: Ob Bundesstaat, ob Staatenbund? Hier hat man über dieses
Parteistichwort ein Meer von Dinte vergossen, ohne zu einem Verständniß zu kom¬
men. Ich glaube, so weit man bis jetzt Gesammtdeutschland ein Horoskop stellen
kann, so wird es in seiner auswärtigen Politik und in Bezug auf die allgemein¬
sten Zeitanfordernngen (Gerichtsverfahren, Freiheit der Person, Gleichheit aller
Culte u. s. w.) die Centralisation eines Bundesstaates einführen, in untergeord¬
neten Angelegenheiten aber Staatenbund bleiben. Es wird den Herren in Frank¬
furt niemals einfallen, von der Paulskirche aus über die preußische Städteordnung,
das sächsische Elementarschulweseu oder über die Civilliste zu beschließen, welche
die weimarische Kammer ihrem Großherzog geben will, denn dies wäre eben so
undemokratisch als unersprießlich. Einen unbedingten Centralzwang, welcher dem
Grundsatz der Selbstregierung in's Gesicht schlägt, kennen nur die Franzosen und
bei diesen führt er zu der faulen Wirthschaft, daß die Regierung, welche ihre
Nase in Alles stecken und Alles thun soll, gar Nichts recht thut und in den Pro¬
vinzen tausenderlei gehen läßt wies Gott gefällt oder dem Herrn Unterpräsecten...


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/91>, abgerufen am 29.06.2024.