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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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' Jetzt beim Slavencongreß hat man drei Tage auf ihn gewartet,', er ist nicht
gekommen. In diesen Tagen lies die Nachricht ein, er habe sich mit den Serben
zu einem Einfall in die Türkei verbunden, Osman Pascha rüstet gegen ihn.

Es ist ziemlich gleichgiltig, ob er gegenwärtig unter russischem Einfluß steht,
oder auf seine eigene Faust handelt. Jedenfalls wird er dem Schicksal nicht ent¬
geh", für Rußland zu arbeiten; und ob sein Traum ist, ein Hospodar der nörd¬
lichen Türkei unter Rußlands Protectorat zu werden, oder den freien Fürstenstuhl
eines südlichen Slaveureiches aufzustellen, immer bleibt er ein Feind Oestreichs,
ein Feind Deutschlands. Ob unsere Staatskunst die Mittel finden wird, ihn zu
gewinne", oder unschädlich zu macheu?


William


Ans Wie n.

Wien hat wieder einmal Jubeltage erlebt. Erst der Empfang "unseres Jo¬
hann," wie er als Stellvertreter des Kaisers von Innspruck kam, dann des grei¬
sen Wessenberg, des ältesten Liberalen in Oestreich, endlich der Frankfurter Depu¬
tation an den Erzherzog Reichsverweser; -- diese Fackelzüge, diese bewaffneten
Processionen, diese Musik, dies Glockengeläute und die begeisterten Stegreifreden --
das klingt und glänzt berauschend, wahrhaft besinnungraubend durcheinander. Und
Sie brauchen nur einem Theil unserer Presse in's Gesicht zu blicken, um zu er¬
kennen, wie viel Besonnenheit uus abhanden gekommen ist. Am verständigsten
und philosophischsten seben die Courszettel aus; auf die kleine Hauffe deutend,
scheinen sie blos im Stillen zu schmunzeln: Vivat Johann! Unsere leitenden Ar¬
tikel über die Al-i-r-ullo potiti^le dagegen zeigen, daß wir noch politische Säug¬
linge, daß wir erst vier Monat alte Staatsmänner sind. Bei dem geringsten
Erfolge wird unser Sanguinismus tollkühn und steigt unser Combinationsgeist
gleich in Siebenmeilenstiefeln über das Weltall. So schaut ein offizieller Visionär
bereits die östreichische Hegemonie und heilige, römische Reichskaiscrei fix und fer¬
tig, wie eine gebratene Taube, über der Kaiserstadt schweben; Johann braucht
nur den Mund aufzusperren. Aber das ist noch sehr bescheiden gegen den Vor¬
schlag eines andern Propheten,' dem das einige Deutschland schon ein zu abge¬
droschenes und schwieriges Ding scheint; leichter und neuer dünkt es ihm, ein
"mitteleuropäisches Reich" zu gründen, welches Holländer, Deutsche, Ita¬
liener, Polen, Magyaren, Slowaken, Naizen, Bosnier, Walachen u. s. w. um¬
fassen und von der Zuyder-See bis an's schwarze Meer reichen, als Nabclpunkt
aber Wien haben soll. Warum nicht lieber ein uuiversaleuropäisches Reich, --
das wäre noch viel einfacher! Man treibt sich die Natur mit keiner horazischen
lurca, und auch mit keiner Revolution aus und wenn ich die pathetisch blümeran-


' Jetzt beim Slavencongreß hat man drei Tage auf ihn gewartet,', er ist nicht
gekommen. In diesen Tagen lies die Nachricht ein, er habe sich mit den Serben
zu einem Einfall in die Türkei verbunden, Osman Pascha rüstet gegen ihn.

Es ist ziemlich gleichgiltig, ob er gegenwärtig unter russischem Einfluß steht,
oder auf seine eigene Faust handelt. Jedenfalls wird er dem Schicksal nicht ent¬
geh», für Rußland zu arbeiten; und ob sein Traum ist, ein Hospodar der nörd¬
lichen Türkei unter Rußlands Protectorat zu werden, oder den freien Fürstenstuhl
eines südlichen Slaveureiches aufzustellen, immer bleibt er ein Feind Oestreichs,
ein Feind Deutschlands. Ob unsere Staatskunst die Mittel finden wird, ihn zu
gewinne», oder unschädlich zu macheu?


William


Ans Wie n.

Wien hat wieder einmal Jubeltage erlebt. Erst der Empfang „unseres Jo¬
hann," wie er als Stellvertreter des Kaisers von Innspruck kam, dann des grei¬
sen Wessenberg, des ältesten Liberalen in Oestreich, endlich der Frankfurter Depu¬
tation an den Erzherzog Reichsverweser; — diese Fackelzüge, diese bewaffneten
Processionen, diese Musik, dies Glockengeläute und die begeisterten Stegreifreden —
das klingt und glänzt berauschend, wahrhaft besinnungraubend durcheinander. Und
Sie brauchen nur einem Theil unserer Presse in's Gesicht zu blicken, um zu er¬
kennen, wie viel Besonnenheit uus abhanden gekommen ist. Am verständigsten
und philosophischsten seben die Courszettel aus; auf die kleine Hauffe deutend,
scheinen sie blos im Stillen zu schmunzeln: Vivat Johann! Unsere leitenden Ar¬
tikel über die Al-i-r-ullo potiti^le dagegen zeigen, daß wir noch politische Säug¬
linge, daß wir erst vier Monat alte Staatsmänner sind. Bei dem geringsten
Erfolge wird unser Sanguinismus tollkühn und steigt unser Combinationsgeist
gleich in Siebenmeilenstiefeln über das Weltall. So schaut ein offizieller Visionär
bereits die östreichische Hegemonie und heilige, römische Reichskaiscrei fix und fer¬
tig, wie eine gebratene Taube, über der Kaiserstadt schweben; Johann braucht
nur den Mund aufzusperren. Aber das ist noch sehr bescheiden gegen den Vor¬
schlag eines andern Propheten,' dem das einige Deutschland schon ein zu abge¬
droschenes und schwieriges Ding scheint; leichter und neuer dünkt es ihm, ein
„mitteleuropäisches Reich" zu gründen, welches Holländer, Deutsche, Ita¬
liener, Polen, Magyaren, Slowaken, Naizen, Bosnier, Walachen u. s. w. um¬
fassen und von der Zuyder-See bis an's schwarze Meer reichen, als Nabclpunkt
aber Wien haben soll. Warum nicht lieber ein uuiversaleuropäisches Reich, —
das wäre noch viel einfacher! Man treibt sich die Natur mit keiner horazischen
lurca, und auch mit keiner Revolution aus und wenn ich die pathetisch blümeran-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/90>, abgerufen am 29.06.2024.