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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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war das wohl auch die Absicht. Meine Glückseligkeit stieg auf den höchsten
Gipfel, als ich entdeckte, daß der Wein und die Köche des Hauses nicht streng
slavisch waren.

In dieser Stimmung stand ich unweit der Thür in der Nähe des Hausherrn,
als "der Vladika von Montenegro" in den Saal gerufen wurde. ?er dsce"!
auch der! der slavische Rinaldo Rinaldini, der souveräne Fürst eines ganzen Vol¬
kes von Flibustiern, Vormittags Slave, Abends Türke, ein Held aus Byron's
Novellen, ohne Zweifel die abenteuerlichste Gestalt in ganz Europa. Alle Blicke
flogen nach der Thür. Und die Spannung war gerechtfertigt. Ein junger sehr
schöner Mann trat herein, groß, mächtig an Schultern und Kraft. Er war in
reiche phantastische Kriegertracht gekleidet und es schadete ihrem Glänze nicht, wenn
man bedachte, daß er seine Erfindungskraft mit der seines Schneiders vereinigt
haben mochte, sie zu ersinnen, gerade wie jener Engländer, der unerhörte Ordens¬
sterne trug und vergnügt sagte: Alles meine eigene Erfindung. Der Held trat
mit dem Aplomb eines Fürsten in den Saal, jeder Zoll an ihm ein Häuptling.
Der Wirth begrüßte ihn in französischer Sprache, aber die Verständigung gelang
schwer, dann wurde englisch versucht, auch das hatte Schwierigkeiten, bis der
Vladika sich das Italienische erbat, welches er fließend zu sprechen wußte. Er
sagte, unser Hauptverkehr ist mit der italienischen Küste, der Handel hat zwischen
unseren Stämmen und den Italienern ein Patois erzeugt, welches aus beiden
Sprachen gemischt, für den Verkehr ausreicht und uns die Nachbarsprache nahe-
rückt. So hatte er sich eingeführt und wurde unbestritten der Lion des Abends,
auch in den Angen der schönen Czechinnen, denen sein prächtiges Aussehen sehr
imponirte. Meine Unterhaltung mit ihm war zu kurz, um ein scharfes Urtheil
zu rechtfertige". Er machte mir zwar weder deu Eindruck besonderer Bildung
noch irgend einer Genialität, indeß gestehe ich gern, daß mir das Theatralische
und Studirte seines Wesens ein ungünstiges Vorurtheil eingeflößt haben mag.
Später hörte ich, er liebe die Wissenschaften und habe selbst Etwas übersetzt,
woraus? und worin? habe ich nicht erfahren, oder vergessen. Als wir von ein¬
ander traten, sprach mein Nachbar, ein ehrlicher Handelsherr, kopfschüttelnd: Fast
hätte ich ihn nicht wieder erkannt. -- Sie kennen ihn? -- Ich komme so eben
von Petersburg, dort habe ich ihn oft gesehn, er war da, sich dem Kaiser vorzu-
stellen, dort aber trug er recht ehrbar das dunkle Kleid eines Popen, er ist näm¬
lich in seinem Land dasselbe, was der Kaiser in Rußland ist, der oberste Geist¬
liche der griechisch unirten Kirche, und er wußte, daß ihn dieses Gewand in Pe¬
tersburg am besten empfehlen würde. -- Ah, dachte ich, du verstehst zu spielen!
" Ihm gegenüber konnte ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß es mir leid
thue, ihn nicht in seinem Hohenpricsterrock zu sehen, den er in Petersburg getra¬
genhabe. Er war nicht cultivirt genng zu verbergen, daß ihn diese Frage belästige;
und ich sagte mir schadenfroh: er wird empfindlich, er hat "kein gutes Gewissen."


war das wohl auch die Absicht. Meine Glückseligkeit stieg auf den höchsten
Gipfel, als ich entdeckte, daß der Wein und die Köche des Hauses nicht streng
slavisch waren.

In dieser Stimmung stand ich unweit der Thür in der Nähe des Hausherrn,
als „der Vladika von Montenegro" in den Saal gerufen wurde. ?er dsce»!
auch der! der slavische Rinaldo Rinaldini, der souveräne Fürst eines ganzen Vol¬
kes von Flibustiern, Vormittags Slave, Abends Türke, ein Held aus Byron's
Novellen, ohne Zweifel die abenteuerlichste Gestalt in ganz Europa. Alle Blicke
flogen nach der Thür. Und die Spannung war gerechtfertigt. Ein junger sehr
schöner Mann trat herein, groß, mächtig an Schultern und Kraft. Er war in
reiche phantastische Kriegertracht gekleidet und es schadete ihrem Glänze nicht, wenn
man bedachte, daß er seine Erfindungskraft mit der seines Schneiders vereinigt
haben mochte, sie zu ersinnen, gerade wie jener Engländer, der unerhörte Ordens¬
sterne trug und vergnügt sagte: Alles meine eigene Erfindung. Der Held trat
mit dem Aplomb eines Fürsten in den Saal, jeder Zoll an ihm ein Häuptling.
Der Wirth begrüßte ihn in französischer Sprache, aber die Verständigung gelang
schwer, dann wurde englisch versucht, auch das hatte Schwierigkeiten, bis der
Vladika sich das Italienische erbat, welches er fließend zu sprechen wußte. Er
sagte, unser Hauptverkehr ist mit der italienischen Küste, der Handel hat zwischen
unseren Stämmen und den Italienern ein Patois erzeugt, welches aus beiden
Sprachen gemischt, für den Verkehr ausreicht und uns die Nachbarsprache nahe-
rückt. So hatte er sich eingeführt und wurde unbestritten der Lion des Abends,
auch in den Angen der schönen Czechinnen, denen sein prächtiges Aussehen sehr
imponirte. Meine Unterhaltung mit ihm war zu kurz, um ein scharfes Urtheil
zu rechtfertige«. Er machte mir zwar weder deu Eindruck besonderer Bildung
noch irgend einer Genialität, indeß gestehe ich gern, daß mir das Theatralische
und Studirte seines Wesens ein ungünstiges Vorurtheil eingeflößt haben mag.
Später hörte ich, er liebe die Wissenschaften und habe selbst Etwas übersetzt,
woraus? und worin? habe ich nicht erfahren, oder vergessen. Als wir von ein¬
ander traten, sprach mein Nachbar, ein ehrlicher Handelsherr, kopfschüttelnd: Fast
hätte ich ihn nicht wieder erkannt. — Sie kennen ihn? — Ich komme so eben
von Petersburg, dort habe ich ihn oft gesehn, er war da, sich dem Kaiser vorzu-
stellen, dort aber trug er recht ehrbar das dunkle Kleid eines Popen, er ist näm¬
lich in seinem Land dasselbe, was der Kaiser in Rußland ist, der oberste Geist¬
liche der griechisch unirten Kirche, und er wußte, daß ihn dieses Gewand in Pe¬
tersburg am besten empfehlen würde. — Ah, dachte ich, du verstehst zu spielen!
" Ihm gegenüber konnte ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß es mir leid
thue, ihn nicht in seinem Hohenpricsterrock zu sehen, den er in Petersburg getra¬
genhabe. Er war nicht cultivirt genng zu verbergen, daß ihn diese Frage belästige;
und ich sagte mir schadenfroh: er wird empfindlich, er hat „kein gutes Gewissen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/89>, abgerufen am 29.06.2024.