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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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und den Lehrer der Naturwissenschaften an der Gelehrten- und Handelsschule Dr.
Sonnen bürg. In den beiden Privatlehrern Kotzenberg und Feld manu
hat sich das ultrademokratische Prinzip der Versammlung versinnbildet, dem sich
unter andern auch ein kürzlich ans der Schweiz zurückgekehrter Advokat l)r. Karl
Meier angeschlossen hat. Man kann nicht sagen, daß diese Richtung mit besondrer
Intelligenz vertreten würde, obwohl für unsere gesammten deutschen Verhältnisse
gerade dies Element zur Aufstachelung des Prinzips wahrer Freiheit unentbehrlich
ist. Daß aber unsere radikale Opposition nicht das Zeug hat, feingesponnene
Operationen zu zersetzen, hat sie gleich bei der ersten und wichtigsten Frage der
neuen Staatsgestaltuug gezeigt.

Selbst der Reichstag zeigt manchen bedenklichen Namen auf; doch soll ein
leitender Geist, wie Gagern, und die Ermannung, welche die neuesten Tage
seit den Mainzer Ereignissen darlegen, unsere Erwartungen wohl endlich stär¬
ken. Um auf Bremen und das Prinzip der Volkssouveränität daselbst zurückzu¬
kommen, müßte man von vornherein nicht das Erste sein lassen, die Wahl einer
Bürgervertretung nach Kirchspielen, welche zugleich die Feststellung einer neuen
Staatsverfassung und die Gesammtwirkung aller Bürger zur Staatsverwaltung
vereinigen sollte und doch den Senat von diesen Kirchspielswahlen ausschloß, wäh¬
rend man ihm die Anordnung und Oberaufsicht dieser Wahlhandlungen von vorn¬
herein ohne den mindesten Einspruch überließ und ihn also als bestehende Obrig¬
keit auf das directeste ankerkannte. Man schloß den Senat, diese Masse staatlicher
Intelligenz, von jeder Mitwirkung zu einer Berathung der neuen Verfassung aus
und gedachte ihm diese zu octroyiren! Radikaler, aber auch unverständiger hätte man
es nicht anfangen können. Die einfachste Handlungsweise wäre unstreitig gewe¬
sen, daß man Senat und Bürgerschaft gemeinsam und wo möglich an demselben
Platze zusammengebracht und beiderseits eine bestimmte Anzahl ehrenfester Männer
zu einer gemischten Commission berufen hätte. Diesen mußte von vornherein ein
Eid auferlegt werden, daß sie das Prinzip der Volkssouveränität adoptiren und
gewissenhaft durchführen wollten, d. h. daß ihnen der Senat zwar als Obrigkeit,
als lenkendes und ausführendes Organ der Gesammtheit auch fernerhin gelten
werde, aber nicht als über und außer dieser Gesammtheit stehend, sondern ledig¬
lich unter deren Bevollmächtigung und Verantwortlichkeit. Dann hätte jeder Ein¬
zelne dieser Commission, gleichviel ob Senator, Kaufmann, Handwerker oder was
sonst, nach Treue und Glauben lediglich als Mann und Bürger die neue Beruf¬
ung gemeinschaftlich mit ausarbeiten und mit beschließen müssen. War die Verfas¬
sung fertig und angenommen, dann konnte Senat und Bürgerschaft jedes für sich
sein Geschäft verrichten und uun erst war es an der Zeit, zum Behuf eines fort¬
gehenden Verfassungslebens, die Volksvertretung nach Kirchspielen zu ordnen. Jetzt
hat man letztern Act vorangehen lassen und nun sollte, einigen Radikalen zusolge,
die Bürgerschaft als solche, ohne den Senat, die Verfassung berathen. Da dies


und den Lehrer der Naturwissenschaften an der Gelehrten- und Handelsschule Dr.
Sonnen bürg. In den beiden Privatlehrern Kotzenberg und Feld manu
hat sich das ultrademokratische Prinzip der Versammlung versinnbildet, dem sich
unter andern auch ein kürzlich ans der Schweiz zurückgekehrter Advokat l)r. Karl
Meier angeschlossen hat. Man kann nicht sagen, daß diese Richtung mit besondrer
Intelligenz vertreten würde, obwohl für unsere gesammten deutschen Verhältnisse
gerade dies Element zur Aufstachelung des Prinzips wahrer Freiheit unentbehrlich
ist. Daß aber unsere radikale Opposition nicht das Zeug hat, feingesponnene
Operationen zu zersetzen, hat sie gleich bei der ersten und wichtigsten Frage der
neuen Staatsgestaltuug gezeigt.

Selbst der Reichstag zeigt manchen bedenklichen Namen auf; doch soll ein
leitender Geist, wie Gagern, und die Ermannung, welche die neuesten Tage
seit den Mainzer Ereignissen darlegen, unsere Erwartungen wohl endlich stär¬
ken. Um auf Bremen und das Prinzip der Volkssouveränität daselbst zurückzu¬
kommen, müßte man von vornherein nicht das Erste sein lassen, die Wahl einer
Bürgervertretung nach Kirchspielen, welche zugleich die Feststellung einer neuen
Staatsverfassung und die Gesammtwirkung aller Bürger zur Staatsverwaltung
vereinigen sollte und doch den Senat von diesen Kirchspielswahlen ausschloß, wäh¬
rend man ihm die Anordnung und Oberaufsicht dieser Wahlhandlungen von vorn¬
herein ohne den mindesten Einspruch überließ und ihn also als bestehende Obrig¬
keit auf das directeste ankerkannte. Man schloß den Senat, diese Masse staatlicher
Intelligenz, von jeder Mitwirkung zu einer Berathung der neuen Verfassung aus
und gedachte ihm diese zu octroyiren! Radikaler, aber auch unverständiger hätte man
es nicht anfangen können. Die einfachste Handlungsweise wäre unstreitig gewe¬
sen, daß man Senat und Bürgerschaft gemeinsam und wo möglich an demselben
Platze zusammengebracht und beiderseits eine bestimmte Anzahl ehrenfester Männer
zu einer gemischten Commission berufen hätte. Diesen mußte von vornherein ein
Eid auferlegt werden, daß sie das Prinzip der Volkssouveränität adoptiren und
gewissenhaft durchführen wollten, d. h. daß ihnen der Senat zwar als Obrigkeit,
als lenkendes und ausführendes Organ der Gesammtheit auch fernerhin gelten
werde, aber nicht als über und außer dieser Gesammtheit stehend, sondern ledig¬
lich unter deren Bevollmächtigung und Verantwortlichkeit. Dann hätte jeder Ein¬
zelne dieser Commission, gleichviel ob Senator, Kaufmann, Handwerker oder was
sonst, nach Treue und Glauben lediglich als Mann und Bürger die neue Beruf¬
ung gemeinschaftlich mit ausarbeiten und mit beschließen müssen. War die Verfas¬
sung fertig und angenommen, dann konnte Senat und Bürgerschaft jedes für sich
sein Geschäft verrichten und uun erst war es an der Zeit, zum Behuf eines fort¬
gehenden Verfassungslebens, die Volksvertretung nach Kirchspielen zu ordnen. Jetzt
hat man letztern Act vorangehen lassen und nun sollte, einigen Radikalen zusolge,
die Bürgerschaft als solche, ohne den Senat, die Verfassung berathen. Da dies


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/86>, abgerufen am 29.06.2024.