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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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studirte Privatlehrer, Kotzenberg und Feldmann, standen, von der auf un¬
serm Domshof und Grasmarkt versammelten Bürgerschaft überbracht wurde. Auf
dem Domshofe nämlich steht das Stadthaus mit vielen amtlichen Gelassen für den
täglichen Geschäftsverkehr, insonderheit für die Polizei, auf dem Gras- oder Ge¬
müsemarkt aber das Rathhaus und das alte Sinnbild.der Bürgerfreiheit, die
Rolandssäule. Wir haben bereits angeführt, daß die Aufwallung der Stadt sich
augenblicklich legte, als der Senat die bündigsten Versicherungen gegeben hatte,
daß er die längst verheißene Repräsentativverfassung nach freier Wahl aller voll¬
jährigen und in Bremen wohnenden Bürger, nach den sieben Kirchspielen der
Alt- und Neustadt, so wie den Vorstädten Bremens, desgleichen nach den Flecken
Vegesack und Bremerhaven, so wie sämmtlichen Ortschaften des Gebietes,
unverzüglich in's Werk richten wolle. Diesmal ist Wort gehalten und die Sache
sofort angegriffen worden. Bereits haben wir schon in die fechte Woche hierin
unsere neugestaltete Bürgerversammlung von nicht mehr noch keinem ganzen Hun¬
dert, sondern von dreihundert gewählten Vertretern, lediglich nach Vertrauen
gewählt und ohne alles Aussehen eines Kastengeistes. Die je nach einer jeden
Wahl der einzelnen Kirchspiele veröffentlichten Resultate zeigten in der Mehrzahl eine
Masse im öffentlichen Wirken bis jetzt ganz unbekannter Namen. Absichtlich schienen
vorzugsweise die studirten Leute vermieden: von den Advokaten hatte bereits das
Gerücht vorausgesagt, daß sie geflohn würden. Ihrer Zehn etwa sind gleichwohl
dazwischen. Ein auch auswärts durch geschichtliche Nechtsstudien anerkannter Li-
terat, or. Donandt, ist in der That einer der Hebel des neuen Bürgerthums
geworden und thut sich mehr als Vermittler der Extreme verstandvoll wirkend
hervor. Pastoren, bisher wie gesagt ausgeschlossen, sind anch jetzt kein besonders
gesuchter Artikel; doch hat der vorjüngst Angestellte unserer bis vor einigen Jahren
vorzugsweise aus Rationalisten erkornen Domgeistlichkeit, der freisinnige und le¬
bensfrische nieder aus Halberstadt, ein allgemeines Vertrauen gefunden. Einem
andern Theologen hat es geschadet, daß er sich mit Geflissenheit in öffentlichen
Lokalen finden ließ, wo für die Wahlen geworben wurde.

Eine Menge der Gewählten hat bis jetzt keinen Mund aufgethan und ent¬
behrt unverkennbar des Geschicks für ihr Amt. Laßt das gut sein: das nächste
Mal wird schon mit mehr Umsicht gewählt werden. Ich behaupte geradezu, daß
die siebenzig bis achtzig Mitglieder des alten Bürgcrconvents, in so fern sie nicht
"und im neuen mit erscheinen, durchweg politisch gebildeter waren, als sämmtliche
Hundert des neuen. Die bei weitem zahlreichste Vertretung hat der Kaus¬
und Handwerksstand gefunden. Der Kaufmannsstand wird dem öffentlichen Leben
keine großen Sporen ansetzen, aber seine vielseitige Repräsentation ist so natürlich
als unausweichlich. Eine gewisse Liebhaberei scheint für unstudirte Schulleute
stattgefunden zu haben, deren sich über ein Dutzend gewählt findet. Von studirten
Schulleuten bemerkt mau deu Geschichtslehrer der hiesigen Gelehrtenschule Ruperti,


Gr-nzbot-n. III. i8j^ 11

studirte Privatlehrer, Kotzenberg und Feldmann, standen, von der auf un¬
serm Domshof und Grasmarkt versammelten Bürgerschaft überbracht wurde. Auf
dem Domshofe nämlich steht das Stadthaus mit vielen amtlichen Gelassen für den
täglichen Geschäftsverkehr, insonderheit für die Polizei, auf dem Gras- oder Ge¬
müsemarkt aber das Rathhaus und das alte Sinnbild.der Bürgerfreiheit, die
Rolandssäule. Wir haben bereits angeführt, daß die Aufwallung der Stadt sich
augenblicklich legte, als der Senat die bündigsten Versicherungen gegeben hatte,
daß er die längst verheißene Repräsentativverfassung nach freier Wahl aller voll¬
jährigen und in Bremen wohnenden Bürger, nach den sieben Kirchspielen der
Alt- und Neustadt, so wie den Vorstädten Bremens, desgleichen nach den Flecken
Vegesack und Bremerhaven, so wie sämmtlichen Ortschaften des Gebietes,
unverzüglich in's Werk richten wolle. Diesmal ist Wort gehalten und die Sache
sofort angegriffen worden. Bereits haben wir schon in die fechte Woche hierin
unsere neugestaltete Bürgerversammlung von nicht mehr noch keinem ganzen Hun¬
dert, sondern von dreihundert gewählten Vertretern, lediglich nach Vertrauen
gewählt und ohne alles Aussehen eines Kastengeistes. Die je nach einer jeden
Wahl der einzelnen Kirchspiele veröffentlichten Resultate zeigten in der Mehrzahl eine
Masse im öffentlichen Wirken bis jetzt ganz unbekannter Namen. Absichtlich schienen
vorzugsweise die studirten Leute vermieden: von den Advokaten hatte bereits das
Gerücht vorausgesagt, daß sie geflohn würden. Ihrer Zehn etwa sind gleichwohl
dazwischen. Ein auch auswärts durch geschichtliche Nechtsstudien anerkannter Li-
terat, or. Donandt, ist in der That einer der Hebel des neuen Bürgerthums
geworden und thut sich mehr als Vermittler der Extreme verstandvoll wirkend
hervor. Pastoren, bisher wie gesagt ausgeschlossen, sind anch jetzt kein besonders
gesuchter Artikel; doch hat der vorjüngst Angestellte unserer bis vor einigen Jahren
vorzugsweise aus Rationalisten erkornen Domgeistlichkeit, der freisinnige und le¬
bensfrische nieder aus Halberstadt, ein allgemeines Vertrauen gefunden. Einem
andern Theologen hat es geschadet, daß er sich mit Geflissenheit in öffentlichen
Lokalen finden ließ, wo für die Wahlen geworben wurde.

Eine Menge der Gewählten hat bis jetzt keinen Mund aufgethan und ent¬
behrt unverkennbar des Geschicks für ihr Amt. Laßt das gut sein: das nächste
Mal wird schon mit mehr Umsicht gewählt werden. Ich behaupte geradezu, daß
die siebenzig bis achtzig Mitglieder des alten Bürgcrconvents, in so fern sie nicht
"und im neuen mit erscheinen, durchweg politisch gebildeter waren, als sämmtliche
Hundert des neuen. Die bei weitem zahlreichste Vertretung hat der Kaus¬
und Handwerksstand gefunden. Der Kaufmannsstand wird dem öffentlichen Leben
keine großen Sporen ansetzen, aber seine vielseitige Repräsentation ist so natürlich
als unausweichlich. Eine gewisse Liebhaberei scheint für unstudirte Schulleute
stattgefunden zu haben, deren sich über ein Dutzend gewählt findet. Von studirten
Schulleuten bemerkt mau deu Geschichtslehrer der hiesigen Gelehrtenschule Ruperti,


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[0085] studirte Privatlehrer, Kotzenberg und Feldmann, standen, von der auf un¬ serm Domshof und Grasmarkt versammelten Bürgerschaft überbracht wurde. Auf dem Domshofe nämlich steht das Stadthaus mit vielen amtlichen Gelassen für den täglichen Geschäftsverkehr, insonderheit für die Polizei, auf dem Gras- oder Ge¬ müsemarkt aber das Rathhaus und das alte Sinnbild.der Bürgerfreiheit, die Rolandssäule. Wir haben bereits angeführt, daß die Aufwallung der Stadt sich augenblicklich legte, als der Senat die bündigsten Versicherungen gegeben hatte, daß er die längst verheißene Repräsentativverfassung nach freier Wahl aller voll¬ jährigen und in Bremen wohnenden Bürger, nach den sieben Kirchspielen der Alt- und Neustadt, so wie den Vorstädten Bremens, desgleichen nach den Flecken Vegesack und Bremerhaven, so wie sämmtlichen Ortschaften des Gebietes, unverzüglich in's Werk richten wolle. Diesmal ist Wort gehalten und die Sache sofort angegriffen worden. Bereits haben wir schon in die fechte Woche hierin unsere neugestaltete Bürgerversammlung von nicht mehr noch keinem ganzen Hun¬ dert, sondern von dreihundert gewählten Vertretern, lediglich nach Vertrauen gewählt und ohne alles Aussehen eines Kastengeistes. Die je nach einer jeden Wahl der einzelnen Kirchspiele veröffentlichten Resultate zeigten in der Mehrzahl eine Masse im öffentlichen Wirken bis jetzt ganz unbekannter Namen. Absichtlich schienen vorzugsweise die studirten Leute vermieden: von den Advokaten hatte bereits das Gerücht vorausgesagt, daß sie geflohn würden. Ihrer Zehn etwa sind gleichwohl dazwischen. Ein auch auswärts durch geschichtliche Nechtsstudien anerkannter Li- terat, or. Donandt, ist in der That einer der Hebel des neuen Bürgerthums geworden und thut sich mehr als Vermittler der Extreme verstandvoll wirkend hervor. Pastoren, bisher wie gesagt ausgeschlossen, sind anch jetzt kein besonders gesuchter Artikel; doch hat der vorjüngst Angestellte unserer bis vor einigen Jahren vorzugsweise aus Rationalisten erkornen Domgeistlichkeit, der freisinnige und le¬ bensfrische nieder aus Halberstadt, ein allgemeines Vertrauen gefunden. Einem andern Theologen hat es geschadet, daß er sich mit Geflissenheit in öffentlichen Lokalen finden ließ, wo für die Wahlen geworben wurde. Eine Menge der Gewählten hat bis jetzt keinen Mund aufgethan und ent¬ behrt unverkennbar des Geschicks für ihr Amt. Laßt das gut sein: das nächste Mal wird schon mit mehr Umsicht gewählt werden. Ich behaupte geradezu, daß die siebenzig bis achtzig Mitglieder des alten Bürgcrconvents, in so fern sie nicht "und im neuen mit erscheinen, durchweg politisch gebildeter waren, als sämmtliche Hundert des neuen. Die bei weitem zahlreichste Vertretung hat der Kaus¬ und Handwerksstand gefunden. Der Kaufmannsstand wird dem öffentlichen Leben keine großen Sporen ansetzen, aber seine vielseitige Repräsentation ist so natürlich als unausweichlich. Eine gewisse Liebhaberei scheint für unstudirte Schulleute stattgefunden zu haben, deren sich über ein Dutzend gewählt findet. Von studirten Schulleuten bemerkt mau deu Geschichtslehrer der hiesigen Gelehrtenschule Ruperti, Gr-nzbot-n. III. i8j^ 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/85>, abgerufen am 29.06.2024.