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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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neu Antheil zu kommen scheint, ungezählt und un aufgezeigt in die Staats-
trnhe wirst! Mau ist allgemein überzeugt, daß bei diesem Verfahren keiner einen
Betrug übt; und wenigstens steht sich Bremens Gemeinwesen bei seinen beträcht¬
lichen Ausgaben, welche neben dem Schoß lediglich durch Grund-Consumtionssteuer
und Accise gedeckt werden, bis daher stets vortrefflich und das Bremische Budget
ist eines der geordnetsten der Welt.

Die bisherige Einrichtung mußte nun aber nicht nur an sich alle, welche
einen Schoß von drei Thalern nicht ausbringen konnten (solcher hätte doch wohl
z. B. auch den jungen Advokaten und Aerzten, wenn sie nicht durch ihr Doctor-
diplom conventssähig gewesen wären, schwer fallen sollen); eben so die gänzlich
vom Schoß Befreiten, z. B. Lehrer, von dem Convente fern halten. Das Uebelste
war, daß die mehreren Hundert, welche der Senat einladen durfte, selten kamen
und diejenige Zahl Bremischer Bürger, welche gemeinschaftlich mit dem Senate
die allgemeinen Angelegenheiten eines so tüchtigen und regsamen Freistaates zu
berathen, namentlich aber über die Verwendungen des öffentlichen Einkommens
zu entscheiden hatte, sich in der Regel nicht höher als auf sieben zig bis acht¬
zig Personen belief. Rechnet man da die zwanzig Aeltermänner, die, mit
den Senatoren meist durch Familienbande oder sonstige Verhältnisse befreundet
sind, rechnet man hiernächst wenigstens zwanzig bis dreißig junge Advoka¬
ten, denen sämmtlich der künftige Senator in die Nase stach und die man deshalb
schon in ihrer augenblicklichen Stellung als halbe Senatoren betrachtete: dazu
ferner ungefähr eben so viele junge Aerzte, eben so gut wie die Juristen, fast alle
Söhne, Vettern und sonstige Verwandte des Senats: so ist begreiflich, daß auch
bei den Berathungen des regierten Standes der Einfluß des regierenden groß
erscheinen und in der Regel die Pläne und Tendenzen des Senats als solchen
für das gestimmte Gemeinwesen maßgebend sein mußten. DaS Gegengewicht einer
freien und unvoreingenommenen Bürgerschaft gegen die obere Staatsgewalt be¬
drückte daher den außerhalb jedes Antheils an jenen Berathungen Stehenden le¬
diglich scheinbar und der Senat schien unabhängiger, als es wirklich der Fall war,
da von Haus aus in dem einzelnen Bremer bei allem Familiengeiste ein gewisser
Unabhängigkeitssinn, ein Trotz auf die persönliche Ueberzeugung, ein iwint d'Ixiii-
uvur für das Gemeinwohl obwaltet. Es hätte daher jene Krisis vielleicht ganz
vermieden bleiben können, hätte man rechtzeitig eine Reform durchgeführt, welche
in verschiedenen Epochen des seit 18 l3 recoustituirten Freistaats und namentlich
seit den dreißiger Jahren zum Besten der vom Bürgerconvent Ausgeschlossenen
durch die öffentliche Stimme, ja im Schooße der fraglichen Versammlung selber
beantragt worden: nämlich eine Vertretung der Gesamiutbürgcrschaft durch freie
Wahl nach den Kirchspielen. Diese Maßregel war es, um welche eine Adresse
an den Sense, entworfen von etwa einem Dutzend schlichter Bürger, an deren
Spitze der ehrenhafte Tischlermeister Wisch manu, desgleichen ein Paar nicht-


neu Antheil zu kommen scheint, ungezählt und un aufgezeigt in die Staats-
trnhe wirst! Mau ist allgemein überzeugt, daß bei diesem Verfahren keiner einen
Betrug übt; und wenigstens steht sich Bremens Gemeinwesen bei seinen beträcht¬
lichen Ausgaben, welche neben dem Schoß lediglich durch Grund-Consumtionssteuer
und Accise gedeckt werden, bis daher stets vortrefflich und das Bremische Budget
ist eines der geordnetsten der Welt.

Die bisherige Einrichtung mußte nun aber nicht nur an sich alle, welche
einen Schoß von drei Thalern nicht ausbringen konnten (solcher hätte doch wohl
z. B. auch den jungen Advokaten und Aerzten, wenn sie nicht durch ihr Doctor-
diplom conventssähig gewesen wären, schwer fallen sollen); eben so die gänzlich
vom Schoß Befreiten, z. B. Lehrer, von dem Convente fern halten. Das Uebelste
war, daß die mehreren Hundert, welche der Senat einladen durfte, selten kamen
und diejenige Zahl Bremischer Bürger, welche gemeinschaftlich mit dem Senate
die allgemeinen Angelegenheiten eines so tüchtigen und regsamen Freistaates zu
berathen, namentlich aber über die Verwendungen des öffentlichen Einkommens
zu entscheiden hatte, sich in der Regel nicht höher als auf sieben zig bis acht¬
zig Personen belief. Rechnet man da die zwanzig Aeltermänner, die, mit
den Senatoren meist durch Familienbande oder sonstige Verhältnisse befreundet
sind, rechnet man hiernächst wenigstens zwanzig bis dreißig junge Advoka¬
ten, denen sämmtlich der künftige Senator in die Nase stach und die man deshalb
schon in ihrer augenblicklichen Stellung als halbe Senatoren betrachtete: dazu
ferner ungefähr eben so viele junge Aerzte, eben so gut wie die Juristen, fast alle
Söhne, Vettern und sonstige Verwandte des Senats: so ist begreiflich, daß auch
bei den Berathungen des regierten Standes der Einfluß des regierenden groß
erscheinen und in der Regel die Pläne und Tendenzen des Senats als solchen
für das gestimmte Gemeinwesen maßgebend sein mußten. DaS Gegengewicht einer
freien und unvoreingenommenen Bürgerschaft gegen die obere Staatsgewalt be¬
drückte daher den außerhalb jedes Antheils an jenen Berathungen Stehenden le¬
diglich scheinbar und der Senat schien unabhängiger, als es wirklich der Fall war,
da von Haus aus in dem einzelnen Bremer bei allem Familiengeiste ein gewisser
Unabhängigkeitssinn, ein Trotz auf die persönliche Ueberzeugung, ein iwint d'Ixiii-
uvur für das Gemeinwohl obwaltet. Es hätte daher jene Krisis vielleicht ganz
vermieden bleiben können, hätte man rechtzeitig eine Reform durchgeführt, welche
in verschiedenen Epochen des seit 18 l3 recoustituirten Freistaats und namentlich
seit den dreißiger Jahren zum Besten der vom Bürgerconvent Ausgeschlossenen
durch die öffentliche Stimme, ja im Schooße der fraglichen Versammlung selber
beantragt worden: nämlich eine Vertretung der Gesamiutbürgcrschaft durch freie
Wahl nach den Kirchspielen. Diese Maßregel war es, um welche eine Adresse
an den Sense, entworfen von etwa einem Dutzend schlichter Bürger, an deren
Spitze der ehrenhafte Tischlermeister Wisch manu, desgleichen ein Paar nicht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/84>, abgerufen am 29.06.2024.