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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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So viel vortheilhafter, ja behaglicher bremischer Lebensexistenz ungeachtet
läßt sich nicht in Abrede stellen, daß ein gewisses unheimliches Gefühl, ein Groll
wider die öffentlichen Zustände, ein Gedanke von Druck und Zurücksetzung, nnter
dem sogenannten "gemeinen Manne" Bremens bereits längere Zeit im Schwange
ging. Solche Zeichen der Zeit vernachlässigen Regierungen leicht.

Unsrem Senate gegenüber, der trotz der Anzahl seiner Glieder keinen Ueber-
fluß unthätiger Kräfte hat, da Justiz und Administration, ehemaliger Sitte gemäß,
beisammengeblieben und er die drei Instanzen des ordentlichen Nechtslaufes, außer¬
dem aber eine Unmasse örtlicher Specialgeschäste wahrzunehmen hat, stand bisher
als Gegengewicht, Kontrolle und Ncchenschaftsbehörde, der sogenannte Bürger-
kouvent, d. h. ungefähr sechshundert der angesehnsten, unbeamteten
Staatsbürger zur Seite; und dieser Konvent bildete, in Vereinigung mit dem Se¬
nate das, was sich eigentlich Rath und Bürgerschaft der freien Stadt
Bremen benannte. Er hatte das wichtige Amt den Beutel zu führen, d. h.
keine Ausgabe zuzulassen, die er uicht genehmigt hatte; allein er war keines¬
wegs eine bloße Aristokratie, noch weniger eine Plutvkratie, und am allerwenigsten
ein blindes Werkzeug des Senats. Seine Zusammensetzung war folgende. Ste¬
hende Mitglieder des Bürgerconvents waren die sogenannten Aelterleute, eine
sich unter sich selbst wählende Korporation von den zwanzig angesehensten und un¬
bescholtensten Kaufleuten, davon Einzelne lebenslänglich blieben, so lange nicht einer
Bankerott machte; in welchem Falle ein für allemal alle Ehrenämter für einen
solchen aufhörten. Sodann gehörten alle von der Universität heimkehrende <Ioc-
tores M-is und medicinae, sobald sie sich zur Praxis in der Vaterstadt nieder¬
ließen, ipso jure zum Konvent. Dagegen waren alle Pastoren, welche in
Bremen lediglich durch die Gemeinden bestellt werden und einen öffentlichen Ein¬
fluß oder Antheil am Staatsleben nicht haben sollen; eben so zugleich sämmt¬
liche vom Staat angestellte Lehrer; desgleichen die Offiziere, als überhaupt alle
in Besoldungen stehende Beamten, vom Konvent ausdrücklich ausgeschlossen. Ne¬
ben dieser zweifachen Rubrik stehender Konventsmitglieder aber, den Aelterlenten
und Doktoren, hatte der Senat die Befugniß, jeden achtbaren und ihm passend
scheinenden Bürger, Kaufleute wie Handwerker, insofern er nur in der eigentli¬
chen Stadt wohnte und schoßsähig war, d. h. seinen normalen Beitrag zu den
Staatslasten leistete, in diese politische Versammlung einzuladen. Hier muß aber
neuerdings eine ehrenwerthe Bremische Sitte berührt werden. Das ganze Ge¬
meinwohl Bremens beruhte bislang (und wir wollen hoffen, auch ferner) auf
^cuc und Glauben der Einzelnen. "Ans Bürgereid!" ist die höchste Versicherung,
tick ^" B'.'Mer ablegen kann; und so wird die directe Staatseinnahme herkömm-
ausae? ""^bracht, daß, wenn Rath und Bürgerschaft einen sogenannten Schoß
Tisch hat, jeder konvcutsfähige Bürger drei Thaler Gold offen auf den
Anlegt, einen Rest aber, der ihm nach seineu Vermögensumständen aus sei-


So viel vortheilhafter, ja behaglicher bremischer Lebensexistenz ungeachtet
läßt sich nicht in Abrede stellen, daß ein gewisses unheimliches Gefühl, ein Groll
wider die öffentlichen Zustände, ein Gedanke von Druck und Zurücksetzung, nnter
dem sogenannten „gemeinen Manne" Bremens bereits längere Zeit im Schwange
ging. Solche Zeichen der Zeit vernachlässigen Regierungen leicht.

Unsrem Senate gegenüber, der trotz der Anzahl seiner Glieder keinen Ueber-
fluß unthätiger Kräfte hat, da Justiz und Administration, ehemaliger Sitte gemäß,
beisammengeblieben und er die drei Instanzen des ordentlichen Nechtslaufes, außer¬
dem aber eine Unmasse örtlicher Specialgeschäste wahrzunehmen hat, stand bisher
als Gegengewicht, Kontrolle und Ncchenschaftsbehörde, der sogenannte Bürger-
kouvent, d. h. ungefähr sechshundert der angesehnsten, unbeamteten
Staatsbürger zur Seite; und dieser Konvent bildete, in Vereinigung mit dem Se¬
nate das, was sich eigentlich Rath und Bürgerschaft der freien Stadt
Bremen benannte. Er hatte das wichtige Amt den Beutel zu führen, d. h.
keine Ausgabe zuzulassen, die er uicht genehmigt hatte; allein er war keines¬
wegs eine bloße Aristokratie, noch weniger eine Plutvkratie, und am allerwenigsten
ein blindes Werkzeug des Senats. Seine Zusammensetzung war folgende. Ste¬
hende Mitglieder des Bürgerconvents waren die sogenannten Aelterleute, eine
sich unter sich selbst wählende Korporation von den zwanzig angesehensten und un¬
bescholtensten Kaufleuten, davon Einzelne lebenslänglich blieben, so lange nicht einer
Bankerott machte; in welchem Falle ein für allemal alle Ehrenämter für einen
solchen aufhörten. Sodann gehörten alle von der Universität heimkehrende <Ioc-
tores M-is und medicinae, sobald sie sich zur Praxis in der Vaterstadt nieder¬
ließen, ipso jure zum Konvent. Dagegen waren alle Pastoren, welche in
Bremen lediglich durch die Gemeinden bestellt werden und einen öffentlichen Ein¬
fluß oder Antheil am Staatsleben nicht haben sollen; eben so zugleich sämmt¬
liche vom Staat angestellte Lehrer; desgleichen die Offiziere, als überhaupt alle
in Besoldungen stehende Beamten, vom Konvent ausdrücklich ausgeschlossen. Ne¬
ben dieser zweifachen Rubrik stehender Konventsmitglieder aber, den Aelterlenten
und Doktoren, hatte der Senat die Befugniß, jeden achtbaren und ihm passend
scheinenden Bürger, Kaufleute wie Handwerker, insofern er nur in der eigentli¬
chen Stadt wohnte und schoßsähig war, d. h. seinen normalen Beitrag zu den
Staatslasten leistete, in diese politische Versammlung einzuladen. Hier muß aber
neuerdings eine ehrenwerthe Bremische Sitte berührt werden. Das ganze Ge¬
meinwohl Bremens beruhte bislang (und wir wollen hoffen, auch ferner) auf
^cuc und Glauben der Einzelnen. „Ans Bürgereid!" ist die höchste Versicherung,
tick ^" B'.'Mer ablegen kann; und so wird die directe Staatseinnahme herkömm-
ausae? ""^bracht, daß, wenn Rath und Bürgerschaft einen sogenannten Schoß
Tisch hat, jeder konvcutsfähige Bürger drei Thaler Gold offen auf den
Anlegt, einen Rest aber, der ihm nach seineu Vermögensumständen aus sei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/83>, abgerufen am 28.09.2024.