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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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mein Befremden nicht entging, mit einiger Dehnung hinzufügte: "Ich meine
überhaupt die Gelehrten, aus denen ja der Senat gewählt wird." Nämlich in
Bremen ist es Grundgesetz, keinen Adelstitel führen zu dürfen; obwohl sich die
einzelnen Familien, welche von Hans aus ein "von" vor ihrem eigentlichen Namen
haben, was mehrentheils nur das holländische bedeutungslose van ist, sobald sie
nur außerhalb ihrer Thore die erste hannoversche Station erreicht haben, sich
mit Umstchwerfeu adeliger Prätensionen, ja des Baroutitelö lächerlich machen.
In dieselbe Kategorie gehört, daß man alljährig einen "Senatswappenkalender
der vier freien Städte veröffentlicht," auf welchem der Namenszug manches bie¬
dern Bremischen Bürgersmannes, dessen hoffnungsvoller Sprößling zum lloctor
jm-is und somit zur ersten Staffel eines reichsstädtischen Senatorenamtes glücklich
emporgedrungen, eben so gut als das Rad des Mainzer Bischofs Willigis
mitten unter den kriegerischen Schilden einer Anzahl tnrnirsähiger altdeutscher
Raufbolde oder Schnapphähne prangt. Beispiele solches kleinstädtischen Dünkels
ließen sich gar mancherlei anführen und vielleicht treibt es keine der freien Städte
mit solchem unrepublikanischem Mummenschanz so weit, als diejenigen Bremischen
Kreise, welche sich vorzugsweise als die Auswahl des gesitteten Bremens betrachten.

Bremens Senat hat auf vier studirte Bürgermeister (Juristen), die mit dem
Vorsitz vierteljährig abwechseln, siebzehn gelehrte Senatoren (Juristen), sieben
kaufmännische und zwei Syndici (gelehrte Rechtsconsulenten). Das gelehrte Ele¬
ment dieser Korporation enthält also drei und zwanzig Juristen ans sieben
Kaufleute. Allein das kaufmännische Leben wird als die Seele des Ganzen an-
gesehn; auch die Wissenschaft beugt sich dem Merkurius mehr als andern Göttern
und die Aristokratie des Geldreichthums hat die höhere Aristokratie einer gro߬
artigen Weltbildung längst unter sich gebracht. Nicht daß man über Unge¬
rechtigkeiten, über Beeinträchtigungen der Freiheit zu klagen hätte. Das buch¬
stäbliche Recht wird mit Gewissenhaftigkeit vollzogen; diese Buchstäblichkeit ist an
sich niedersächsischer Natur. Im täglichen Verkehr, im oberflächlichen Umgange,
in Handhabung der gesellschaftlichen Verhältnisse wird man von obenher eine per¬
sönliche Popularität, ein Streben, sich liberal zu zeigen, nicht leicht vermissen;
den Ruf eines Rechthabers, eines Zänkers, hat Niemand gern: kann man mit
einem oder einem Paar LvuiSd'or einem Handel aus dem Wege gehn, so läßt es
bei dem allgemeinen Wohlstande darauf Niemand groß ankommen. Auch die Be¬
hörden entscheiden gern in diesem vermittelnden Sinne: der Dienstbote bekommt
eher recht als unrecht, an keinen Schein einer Bedrückung des Schwachen
durch den Starken auskommen zu lassen. Eine gewisse Patriarchalität war das
Prinzip des Bremische" Senats; und wenn dabei einzelne Starrköpse das häufige
1^. 8. (loco siAilli) auf öffentlichen Anschlägen als "laß schleichen!" auslegten,
so sollten wir Deutschen nie vergessen, daß dieses laß schleichen von Haus aus
die Grundnorm unsres nationalen Handelns ist.


mein Befremden nicht entging, mit einiger Dehnung hinzufügte: „Ich meine
überhaupt die Gelehrten, aus denen ja der Senat gewählt wird." Nämlich in
Bremen ist es Grundgesetz, keinen Adelstitel führen zu dürfen; obwohl sich die
einzelnen Familien, welche von Hans aus ein „von" vor ihrem eigentlichen Namen
haben, was mehrentheils nur das holländische bedeutungslose van ist, sobald sie
nur außerhalb ihrer Thore die erste hannoversche Station erreicht haben, sich
mit Umstchwerfeu adeliger Prätensionen, ja des Baroutitelö lächerlich machen.
In dieselbe Kategorie gehört, daß man alljährig einen „Senatswappenkalender
der vier freien Städte veröffentlicht," auf welchem der Namenszug manches bie¬
dern Bremischen Bürgersmannes, dessen hoffnungsvoller Sprößling zum lloctor
jm-is und somit zur ersten Staffel eines reichsstädtischen Senatorenamtes glücklich
emporgedrungen, eben so gut als das Rad des Mainzer Bischofs Willigis
mitten unter den kriegerischen Schilden einer Anzahl tnrnirsähiger altdeutscher
Raufbolde oder Schnapphähne prangt. Beispiele solches kleinstädtischen Dünkels
ließen sich gar mancherlei anführen und vielleicht treibt es keine der freien Städte
mit solchem unrepublikanischem Mummenschanz so weit, als diejenigen Bremischen
Kreise, welche sich vorzugsweise als die Auswahl des gesitteten Bremens betrachten.

Bremens Senat hat auf vier studirte Bürgermeister (Juristen), die mit dem
Vorsitz vierteljährig abwechseln, siebzehn gelehrte Senatoren (Juristen), sieben
kaufmännische und zwei Syndici (gelehrte Rechtsconsulenten). Das gelehrte Ele¬
ment dieser Korporation enthält also drei und zwanzig Juristen ans sieben
Kaufleute. Allein das kaufmännische Leben wird als die Seele des Ganzen an-
gesehn; auch die Wissenschaft beugt sich dem Merkurius mehr als andern Göttern
und die Aristokratie des Geldreichthums hat die höhere Aristokratie einer gro߬
artigen Weltbildung längst unter sich gebracht. Nicht daß man über Unge¬
rechtigkeiten, über Beeinträchtigungen der Freiheit zu klagen hätte. Das buch¬
stäbliche Recht wird mit Gewissenhaftigkeit vollzogen; diese Buchstäblichkeit ist an
sich niedersächsischer Natur. Im täglichen Verkehr, im oberflächlichen Umgange,
in Handhabung der gesellschaftlichen Verhältnisse wird man von obenher eine per¬
sönliche Popularität, ein Streben, sich liberal zu zeigen, nicht leicht vermissen;
den Ruf eines Rechthabers, eines Zänkers, hat Niemand gern: kann man mit
einem oder einem Paar LvuiSd'or einem Handel aus dem Wege gehn, so läßt es
bei dem allgemeinen Wohlstande darauf Niemand groß ankommen. Auch die Be¬
hörden entscheiden gern in diesem vermittelnden Sinne: der Dienstbote bekommt
eher recht als unrecht, an keinen Schein einer Bedrückung des Schwachen
durch den Starken auskommen zu lassen. Eine gewisse Patriarchalität war das
Prinzip des Bremische» Senats; und wenn dabei einzelne Starrköpse das häufige
1^. 8. (loco siAilli) auf öffentlichen Anschlägen als „laß schleichen!" auslegten,
so sollten wir Deutschen nie vergessen, daß dieses laß schleichen von Haus aus
die Grundnorm unsres nationalen Handelns ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/82>, abgerufen am 29.06.2024.