Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

begreifen. Ich führe das nur an, um Sie daran zu erinnern, daß man auch in
Republiken mit der Idee der Gleichheit zuweilen verschiedene Vorstellungen ver¬
bindet. --

In jenen Ideen liegt zunächst eine negative Bedeutung. Der Aberglaube an
die Monarchie von Gottes Gnaden wird dadurch aufgehoben. Wir wollen keinen
Herrn mehr haben, dem wir dienen, sondern wir wollen nur in dem Fall einen
König anerkennen, wo es für uns nützlich ist. So viel als möglich aber wollen
wir unsere Sachen selber betreiben.

Der Aberglaube an die Transcendenz des Staates, an das Königthum von
Gottes Gnaden fiel mit dem Aberglauben an das Unwesen, mit dessen Verstellung
man den Namen Gottes geschändet hatte, mit der monströsen Lehre von dem
Gnadenwohl. Aber die modernen Republikaner haben sich beeilt, an der Stelle dieser
mystischen Monarchie ein neues Unwesen zu erfinden, vor dessen Souveränität
wir uns in den Staub beugen sollen. Dieses mystische Unwesen ist das Volk.

Kennen Sie vielleicht Michelet's Geschichte der französischen Revolution?
Oder vielleicht die Rhapsodien über denselben Gegenstand ans der Bauer'schen
Schule? Der Erste weist nach, daß alle Helden der Revolution, vom König und
seinen Ministern herab bis zu den Konstitutionellen, Girondisten, Jacobinern --
d. h. Alle, die einen Namen haben in der Geschichte - Schufte und Spitzbuben
gewesen seien; die Bourgeoisie und der Adel natürlich gleichfalls. Heilig, un-
tadelhaft, groß und edel sei nur Einer gewesen: I" pvupl"!

Wer ist dieses Volk? Leichter ist zu sagen, wer ist es nicht.
Nicht zum Volk gehört der König mit seinen Accidentien, und der Adel.

Nicht zum Volk gehört jeder, dessen Individualität über das gemeine Maß
hervortritt, also alle Leute von Geist, Bildung, Talent, Energie u. s. w.

Nicht zum Volk gehört die Bourgeoisie, d. h. die Leute, die etwas besitzen.

Diese drei Kategorien bestehen aus Gaunern und Reaktionärs, was aber
übrig bleibt -- das Volk -- ist nicht nnr tugendhaft, sondern auch souverain.

Was bleibt also übrig! die Stürmer der Bastille, die Garde Maillard's auf
seinem Zuge nach Versailles, die Fischweiber z.B., die Kämpfer des 10. August, die
Septembriseurs. Diese waren tugendhaft, und wenn man nnter den Verräthern,
die den Hochverrath am Volke begingen, mehr Charakter, mehr Talent, mehr Geist
!u haben, ihre Individualität hervortreten zu lassen, einen ausnehmen will, so
wäre es Marat, weil dieser das Seinige dazu that, hochstrebende Köpfe zu nivelliren.

Für uns freilich, die einen Eugen Sue, die Humoristen und die Annalen
^ Rechtspflege kennen, geht auch von dieser Masse viel ab, was Individualität
Charakter für sich hat, und die eigentliche Masse des souverainen Volkes,
"schaftslose Menschheit, wird immer kleiner.

früher" aristokratischen Dichter, die Griechen und Shakespeare, haben diesen
Held der modernen Tragödie, le pvnplo, anch schon auf die Bühne gebracht.


begreifen. Ich führe das nur an, um Sie daran zu erinnern, daß man auch in
Republiken mit der Idee der Gleichheit zuweilen verschiedene Vorstellungen ver¬
bindet. —

In jenen Ideen liegt zunächst eine negative Bedeutung. Der Aberglaube an
die Monarchie von Gottes Gnaden wird dadurch aufgehoben. Wir wollen keinen
Herrn mehr haben, dem wir dienen, sondern wir wollen nur in dem Fall einen
König anerkennen, wo es für uns nützlich ist. So viel als möglich aber wollen
wir unsere Sachen selber betreiben.

Der Aberglaube an die Transcendenz des Staates, an das Königthum von
Gottes Gnaden fiel mit dem Aberglauben an das Unwesen, mit dessen Verstellung
man den Namen Gottes geschändet hatte, mit der monströsen Lehre von dem
Gnadenwohl. Aber die modernen Republikaner haben sich beeilt, an der Stelle dieser
mystischen Monarchie ein neues Unwesen zu erfinden, vor dessen Souveränität
wir uns in den Staub beugen sollen. Dieses mystische Unwesen ist das Volk.

Kennen Sie vielleicht Michelet's Geschichte der französischen Revolution?
Oder vielleicht die Rhapsodien über denselben Gegenstand ans der Bauer'schen
Schule? Der Erste weist nach, daß alle Helden der Revolution, vom König und
seinen Ministern herab bis zu den Konstitutionellen, Girondisten, Jacobinern —
d. h. Alle, die einen Namen haben in der Geschichte - Schufte und Spitzbuben
gewesen seien; die Bourgeoisie und der Adel natürlich gleichfalls. Heilig, un-
tadelhaft, groß und edel sei nur Einer gewesen: I« pvupl«!

Wer ist dieses Volk? Leichter ist zu sagen, wer ist es nicht.
Nicht zum Volk gehört der König mit seinen Accidentien, und der Adel.

Nicht zum Volk gehört jeder, dessen Individualität über das gemeine Maß
hervortritt, also alle Leute von Geist, Bildung, Talent, Energie u. s. w.

Nicht zum Volk gehört die Bourgeoisie, d. h. die Leute, die etwas besitzen.

Diese drei Kategorien bestehen aus Gaunern und Reaktionärs, was aber
übrig bleibt — das Volk — ist nicht nnr tugendhaft, sondern auch souverain.

Was bleibt also übrig! die Stürmer der Bastille, die Garde Maillard's auf
seinem Zuge nach Versailles, die Fischweiber z.B., die Kämpfer des 10. August, die
Septembriseurs. Diese waren tugendhaft, und wenn man nnter den Verräthern,
die den Hochverrath am Volke begingen, mehr Charakter, mehr Talent, mehr Geist
!u haben, ihre Individualität hervortreten zu lassen, einen ausnehmen will, so
wäre es Marat, weil dieser das Seinige dazu that, hochstrebende Köpfe zu nivelliren.

Für uns freilich, die einen Eugen Sue, die Humoristen und die Annalen
^ Rechtspflege kennen, geht auch von dieser Masse viel ab, was Individualität
Charakter für sich hat, und die eigentliche Masse des souverainen Volkes,
"schaftslose Menschheit, wird immer kleiner.

früher» aristokratischen Dichter, die Griechen und Shakespeare, haben diesen
Held der modernen Tragödie, le pvnplo, anch schon auf die Bühne gebracht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277505"/>
            <p xml:id="ID_233" prev="#ID_232"> begreifen. Ich führe das nur an, um Sie daran zu erinnern, daß man auch in<lb/>
Republiken mit der Idee der Gleichheit zuweilen verschiedene Vorstellungen ver¬<lb/>
bindet. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_234"> In jenen Ideen liegt zunächst eine negative Bedeutung. Der Aberglaube an<lb/>
die Monarchie von Gottes Gnaden wird dadurch aufgehoben. Wir wollen keinen<lb/>
Herrn mehr haben, dem wir dienen, sondern wir wollen nur in dem Fall einen<lb/>
König anerkennen, wo es für uns nützlich ist. So viel als möglich aber wollen<lb/>
wir unsere Sachen selber betreiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_235"> Der Aberglaube an die Transcendenz des Staates, an das Königthum von<lb/>
Gottes Gnaden fiel mit dem Aberglauben an das Unwesen, mit dessen Verstellung<lb/>
man den Namen Gottes geschändet hatte, mit der monströsen Lehre von dem<lb/>
Gnadenwohl. Aber die modernen Republikaner haben sich beeilt, an der Stelle dieser<lb/>
mystischen Monarchie ein neues Unwesen zu erfinden, vor dessen Souveränität<lb/>
wir uns in den Staub beugen sollen. Dieses mystische Unwesen ist das Volk.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_236"> Kennen Sie vielleicht Michelet's Geschichte der französischen Revolution?<lb/>
Oder vielleicht die Rhapsodien über denselben Gegenstand ans der Bauer'schen<lb/>
Schule? Der Erste weist nach, daß alle Helden der Revolution, vom König und<lb/>
seinen Ministern herab bis zu den Konstitutionellen, Girondisten, Jacobinern &#x2014;<lb/>
d. h. Alle, die einen Namen haben in der Geschichte - Schufte und Spitzbuben<lb/>
gewesen seien; die Bourgeoisie und der Adel natürlich gleichfalls. Heilig, un-<lb/>
tadelhaft, groß und edel sei nur Einer gewesen: I« pvupl«!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_237"> Wer ist dieses Volk? Leichter ist zu sagen, wer ist es nicht.<lb/>
Nicht zum Volk gehört der König mit seinen Accidentien, und der Adel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_238"> Nicht zum Volk gehört jeder, dessen Individualität über das gemeine Maß<lb/>
hervortritt, also alle Leute von Geist, Bildung, Talent, Energie u. s. w.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_239"> Nicht zum Volk gehört die Bourgeoisie, d. h. die Leute, die etwas besitzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_240"> Diese drei Kategorien bestehen aus Gaunern und Reaktionärs, was aber<lb/>
übrig bleibt &#x2014; das Volk &#x2014; ist nicht nnr tugendhaft, sondern auch souverain.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_241"> Was bleibt also übrig! die Stürmer der Bastille, die Garde Maillard's auf<lb/>
seinem Zuge nach Versailles, die Fischweiber z.B., die Kämpfer des 10. August, die<lb/>
Septembriseurs. Diese waren tugendhaft, und wenn man nnter den Verräthern,<lb/>
die den Hochverrath am Volke begingen, mehr Charakter, mehr Talent, mehr Geist<lb/>
!u haben, ihre Individualität hervortreten zu lassen, einen ausnehmen will, so<lb/>
wäre es Marat, weil dieser das Seinige dazu that, hochstrebende Köpfe zu nivelliren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_242"> Für uns freilich, die einen Eugen Sue, die Humoristen und die Annalen<lb/>
^ Rechtspflege kennen, geht auch von dieser Masse viel ab, was Individualität<lb/>
Charakter für sich hat, und die eigentliche Masse des souverainen Volkes,<lb/>
"schaftslose Menschheit, wird immer kleiner.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_243" next="#ID_244"> früher» aristokratischen Dichter, die Griechen und Shakespeare, haben diesen<lb/>
Held der modernen Tragödie, le pvnplo, anch schon auf die Bühne gebracht.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] begreifen. Ich führe das nur an, um Sie daran zu erinnern, daß man auch in Republiken mit der Idee der Gleichheit zuweilen verschiedene Vorstellungen ver¬ bindet. — In jenen Ideen liegt zunächst eine negative Bedeutung. Der Aberglaube an die Monarchie von Gottes Gnaden wird dadurch aufgehoben. Wir wollen keinen Herrn mehr haben, dem wir dienen, sondern wir wollen nur in dem Fall einen König anerkennen, wo es für uns nützlich ist. So viel als möglich aber wollen wir unsere Sachen selber betreiben. Der Aberglaube an die Transcendenz des Staates, an das Königthum von Gottes Gnaden fiel mit dem Aberglauben an das Unwesen, mit dessen Verstellung man den Namen Gottes geschändet hatte, mit der monströsen Lehre von dem Gnadenwohl. Aber die modernen Republikaner haben sich beeilt, an der Stelle dieser mystischen Monarchie ein neues Unwesen zu erfinden, vor dessen Souveränität wir uns in den Staub beugen sollen. Dieses mystische Unwesen ist das Volk. Kennen Sie vielleicht Michelet's Geschichte der französischen Revolution? Oder vielleicht die Rhapsodien über denselben Gegenstand ans der Bauer'schen Schule? Der Erste weist nach, daß alle Helden der Revolution, vom König und seinen Ministern herab bis zu den Konstitutionellen, Girondisten, Jacobinern — d. h. Alle, die einen Namen haben in der Geschichte - Schufte und Spitzbuben gewesen seien; die Bourgeoisie und der Adel natürlich gleichfalls. Heilig, un- tadelhaft, groß und edel sei nur Einer gewesen: I« pvupl«! Wer ist dieses Volk? Leichter ist zu sagen, wer ist es nicht. Nicht zum Volk gehört der König mit seinen Accidentien, und der Adel. Nicht zum Volk gehört jeder, dessen Individualität über das gemeine Maß hervortritt, also alle Leute von Geist, Bildung, Talent, Energie u. s. w. Nicht zum Volk gehört die Bourgeoisie, d. h. die Leute, die etwas besitzen. Diese drei Kategorien bestehen aus Gaunern und Reaktionärs, was aber übrig bleibt — das Volk — ist nicht nnr tugendhaft, sondern auch souverain. Was bleibt also übrig! die Stürmer der Bastille, die Garde Maillard's auf seinem Zuge nach Versailles, die Fischweiber z.B., die Kämpfer des 10. August, die Septembriseurs. Diese waren tugendhaft, und wenn man nnter den Verräthern, die den Hochverrath am Volke begingen, mehr Charakter, mehr Talent, mehr Geist !u haben, ihre Individualität hervortreten zu lassen, einen ausnehmen will, so wäre es Marat, weil dieser das Seinige dazu that, hochstrebende Köpfe zu nivelliren. Für uns freilich, die einen Eugen Sue, die Humoristen und die Annalen ^ Rechtspflege kennen, geht auch von dieser Masse viel ab, was Individualität Charakter für sich hat, und die eigentliche Masse des souverainen Volkes, "schaftslose Menschheit, wird immer kleiner. früher» aristokratischen Dichter, die Griechen und Shakespeare, haben diesen Held der modernen Tragödie, le pvnplo, anch schon auf die Bühne gebracht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/75>, abgerufen am 29.06.2024.