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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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mer, Sie sehen die Windmühlen nicht für Riesen an, aber Sie sind ein Träumer,
Sie führen ein innerliches Leben und bemerken die Wirklichkeit nicht, wenn man
Sie nicht gewaltsam darauf stößt. Sie sinnen so für sich hin und spinnen den
Faden ihrer Gedanken weiter und sind verstört, wenn man Sie darin unterbricht.
Sie haben keine Dialektik, man kaun mit Ihnen nicht disputiren, denn Ihre Ge¬
danken sind nur lyrische Ergüsse, geistreiche Einfälle, aber ohne Boden und Gesetz.
Wenn man Ihnen widerspricht, muß man Ihre Sprache reden, muß sich wenig¬
stens den Anschein geben, in Ihre Bewegungen einzugehen. Man hört Ihnen
gern zu, denn Sie sprechen schön und mit Geist, aber es kommt kein Resultat
heraus. Sie werden dnrch Ihre Reden dem Volk imponiren, aber in einer poli¬
tischen Versammlung werden Sie keinen Einfluß gewinnen, denn Sie sprechen nur
in sich hinein. Sie haben außerdem keine Kenntniß von Geschichte, von Politik,
von den deutschen Verhältnissen, Sie haben auch keinen Sinn dafür. Sie haben
im vorigen Jahr sich uicht die Mühe gegeben, die preußischen Landtagsvcrhand-
lungen zu verfolge", die doch so sehr geeignet waren, Ihnen über die fremden Ver¬
hältnisse Norddeutschlands und über seine politische Bildung eine Ansicht zu ver¬
schaffen. Sie unterließen eS, nicht ans dem Hochmuth der Bornirtheit, mit dem
Z- B. Ihr Freund Carl Hei Uzen jede Versammlung für reactionär ausgeben
würde, die nicht in jedem dritten Wort den Potentaten einen Spitzbuben, Hund, Schuft
und Verräther zu kosten gibt; Sie unterließen es, weil es Ihnen schwer wird, sich
in unbekannte Verhältnisse hereinzudenken. Das ist uicht die Eigenschaft eines
Politikers! Darum haben Sie anch kein Organisationstalent. Trotz Ihrer war¬
men Liebe für die Schweiz, trotz Ihrer würdigen Gesinnung, verdarben Sie es
mit Ihrer eigenen Partei, weil Sie sie nicht verstanden. Sie schrieben ein Werk
über sociale Politik, ohne irgend ein vorheriges Studium der großen politischen
Schriftsteller, ohne ein Studium der verschiedenen Verfassungen: eine Naivetät,
die bei der Innerlichkeit Ihres Lebens sehr wohl zu begreifen ist, ans der aber
höchstens eine, bunte Reihe geistreicher, aber bodenloser Aphorismen hervorgehen
kann. Sie schrieben ein Theaterstück, ohne von der Bühne etwas zu wissen, Sie
schrieben es aus einer Theorie heraus: die Poesie müsse sich gemein machen, um
eine Berechtigung zu haben, so wie die Individualität nivellirt werden müsse; eine
Theorie, die ein bloßer Einfall war und der Ihre eigne, höchst eigenthümliche Orga¬
nisation geradezu widerspricht. Sie begriffen damals unsere Ansicht nicht, von der
Nothwendigkeit, daß die Tragödie eine innere Krise des Charakters darstellen
müssx. Sie erklärten, Sie hätten eine solche Krise in sich selber nie erlebt und
^" tüchtiger Charakter müsse heute sein wie gestern. Sie sehen nicht, daß eben
tärke dazu gehört, in Einer gewaltigen Revolution zu erleben, was der schwä-
weibliche Charakter in unbemerkten Veränderungen in sich geschehen läßt.
^ us dieser Theorie heraus schrieben Sie ein kaltes, lebloses Stück, während Ihre
ganze Organisation eigentlich eine poetische ist.


mer, Sie sehen die Windmühlen nicht für Riesen an, aber Sie sind ein Träumer,
Sie führen ein innerliches Leben und bemerken die Wirklichkeit nicht, wenn man
Sie nicht gewaltsam darauf stößt. Sie sinnen so für sich hin und spinnen den
Faden ihrer Gedanken weiter und sind verstört, wenn man Sie darin unterbricht.
Sie haben keine Dialektik, man kaun mit Ihnen nicht disputiren, denn Ihre Ge¬
danken sind nur lyrische Ergüsse, geistreiche Einfälle, aber ohne Boden und Gesetz.
Wenn man Ihnen widerspricht, muß man Ihre Sprache reden, muß sich wenig¬
stens den Anschein geben, in Ihre Bewegungen einzugehen. Man hört Ihnen
gern zu, denn Sie sprechen schön und mit Geist, aber es kommt kein Resultat
heraus. Sie werden dnrch Ihre Reden dem Volk imponiren, aber in einer poli¬
tischen Versammlung werden Sie keinen Einfluß gewinnen, denn Sie sprechen nur
in sich hinein. Sie haben außerdem keine Kenntniß von Geschichte, von Politik,
von den deutschen Verhältnissen, Sie haben auch keinen Sinn dafür. Sie haben
im vorigen Jahr sich uicht die Mühe gegeben, die preußischen Landtagsvcrhand-
lungen zu verfolge», die doch so sehr geeignet waren, Ihnen über die fremden Ver¬
hältnisse Norddeutschlands und über seine politische Bildung eine Ansicht zu ver¬
schaffen. Sie unterließen eS, nicht ans dem Hochmuth der Bornirtheit, mit dem
Z- B. Ihr Freund Carl Hei Uzen jede Versammlung für reactionär ausgeben
würde, die nicht in jedem dritten Wort den Potentaten einen Spitzbuben, Hund, Schuft
und Verräther zu kosten gibt; Sie unterließen es, weil es Ihnen schwer wird, sich
in unbekannte Verhältnisse hereinzudenken. Das ist uicht die Eigenschaft eines
Politikers! Darum haben Sie anch kein Organisationstalent. Trotz Ihrer war¬
men Liebe für die Schweiz, trotz Ihrer würdigen Gesinnung, verdarben Sie es
mit Ihrer eigenen Partei, weil Sie sie nicht verstanden. Sie schrieben ein Werk
über sociale Politik, ohne irgend ein vorheriges Studium der großen politischen
Schriftsteller, ohne ein Studium der verschiedenen Verfassungen: eine Naivetät,
die bei der Innerlichkeit Ihres Lebens sehr wohl zu begreifen ist, ans der aber
höchstens eine, bunte Reihe geistreicher, aber bodenloser Aphorismen hervorgehen
kann. Sie schrieben ein Theaterstück, ohne von der Bühne etwas zu wissen, Sie
schrieben es aus einer Theorie heraus: die Poesie müsse sich gemein machen, um
eine Berechtigung zu haben, so wie die Individualität nivellirt werden müsse; eine
Theorie, die ein bloßer Einfall war und der Ihre eigne, höchst eigenthümliche Orga¬
nisation geradezu widerspricht. Sie begriffen damals unsere Ansicht nicht, von der
Nothwendigkeit, daß die Tragödie eine innere Krise des Charakters darstellen
müssx. Sie erklärten, Sie hätten eine solche Krise in sich selber nie erlebt und
^" tüchtiger Charakter müsse heute sein wie gestern. Sie sehen nicht, daß eben
tärke dazu gehört, in Einer gewaltigen Revolution zu erleben, was der schwä-
weibliche Charakter in unbemerkten Veränderungen in sich geschehen läßt.
^ us dieser Theorie heraus schrieben Sie ein kaltes, lebloses Stück, während Ihre
ganze Organisation eigentlich eine poetische ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/73>, abgerufen am 29.06.2024.