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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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auf die Idee der Republik, es kommt auch auf die Republikaner an. Hier
z. B. in Leipzig haben wir auch Republikaner, sie tragen blutrothe Bänder über
den schmutzigen Westen und in der Cocarde ein kleines R. Der Frühlingsfaltcr
Hermann Rottet, wenn er in seinem weißen Hütchen und zimmetfarbigen
Bärtchen durch die Straßen säuselt, zwitschert von deu Guillotinen, die man gegen
die Tyrannen und Aristokraten aufrichten müsse. Es ist ihm aber dabei nnr um
den Reim zu thun, denn es ist ein guter, lieber Junge und die andern Republi¬
kaner sind auch brave Bursche; es ist ihnen nichts vorzuwerfen, als daß sie fort¬
während Adressen erlassen und anonyme Briefe schreiben. Aber ohne das kann
der Sachse nicht leben. Am Rhein, wo Sie sich früher aushielten, waren die re¬
publikanischen Bestrebungen zwar nicht so unschuldsvvll lyrisch, aber um so roman¬
tischer; dieser Hecker mit seiner edlen Gestalt und seinem untadelhafter Bart, wie
er, in bloßen: Hals und feinem weißen Hemdkragen, Pistolen im Gürtel, in einer
blauen Blouse und schneeweißem Hütlein mit der Reiherfeder, durch Nacht und
Nebel auf den Bergen herumzog, -- ein jeder Kosinski hätte ihm mit mehr oder
weniger Pathos zugerufen: Ich wünschte immer den Mann zu sehen, wie er saß
mit dem vernichtenden Blick ans den Ruinen von Karthago, jetzt wünsche ich es nicht
mehr! dann auf der andern Seite der gefeierte Poet, der schon vor Jahren die
Communisten durch seine gelben Stiefelchen scandalisirt hatte und der das Recht
zu haben glaubte, mit den Königen zu grollen, weil er früher mit seinem Gotte
gegrollt. Dann die Hanauer, frische, fröhliche Gesellen mit derben Fäusten und echt
französischer Frivolität, die Abend für Abend in den Kneipen liegen und sich einen
Spaß daraus machen, der ganzen Welt ein Schnippchen zu schlagen. Das Alles
ist zwar kein normales, aber ein buntes, mannigfaltiges Leben, das Ihnen, der
Sie nur an die spießbürgerlichen Verhältnisse der Schweiz gewöhnt waren, bei
Ihren romantischen Anlagen nothwendig imponiren mußte. War auch Ihre Partei
am Rhein nicht arm an abgefeimten Gaunern, so war doch in all den Leuten
eine gewisse naive Impertinenz, die wenigstens amüsirt, wenn sie auch nicht
begeistert.

Aber jetzt werden Sie unsere Berliner Republikaner kennen lernen. Sie
werden diese widerliche Mischung von unreifer Frivolität und greisenhafter, siecher
Abgespanntheit, diese Rcflexiouswirthschast, in der sich sittliche Impotenz mit dem
Hochmuth anticipirter Blasirtheit vereinigt, im Concretcn beobachten, Sie werden
im Kladderadatsch und im Krakehler die Mysterien des Berlincrthnms studiren,
das Ihnen von Weitem wahrscheinlich den Anschein einer schauerlichen Tragik ge¬
habt hat. Im Anfang wird man Ihnen huldigend entgegentreten, denn der Ber¬
liner ist überglücklich, daß man seine Stadt zum Centralpunkt der Demokratie
erhoben hat, aber die innere Natur wird sich bald genug Bahn brechen, wenn
Sie sich nur die Mühe geben werden, um sich zu sehn.

Denn das ist bei Ihrem Wesen allerdings zweifelhaft. Sie sind kein Schwär-


auf die Idee der Republik, es kommt auch auf die Republikaner an. Hier
z. B. in Leipzig haben wir auch Republikaner, sie tragen blutrothe Bänder über
den schmutzigen Westen und in der Cocarde ein kleines R. Der Frühlingsfaltcr
Hermann Rottet, wenn er in seinem weißen Hütchen und zimmetfarbigen
Bärtchen durch die Straßen säuselt, zwitschert von deu Guillotinen, die man gegen
die Tyrannen und Aristokraten aufrichten müsse. Es ist ihm aber dabei nnr um
den Reim zu thun, denn es ist ein guter, lieber Junge und die andern Republi¬
kaner sind auch brave Bursche; es ist ihnen nichts vorzuwerfen, als daß sie fort¬
während Adressen erlassen und anonyme Briefe schreiben. Aber ohne das kann
der Sachse nicht leben. Am Rhein, wo Sie sich früher aushielten, waren die re¬
publikanischen Bestrebungen zwar nicht so unschuldsvvll lyrisch, aber um so roman¬
tischer; dieser Hecker mit seiner edlen Gestalt und seinem untadelhafter Bart, wie
er, in bloßen: Hals und feinem weißen Hemdkragen, Pistolen im Gürtel, in einer
blauen Blouse und schneeweißem Hütlein mit der Reiherfeder, durch Nacht und
Nebel auf den Bergen herumzog, — ein jeder Kosinski hätte ihm mit mehr oder
weniger Pathos zugerufen: Ich wünschte immer den Mann zu sehen, wie er saß
mit dem vernichtenden Blick ans den Ruinen von Karthago, jetzt wünsche ich es nicht
mehr! dann auf der andern Seite der gefeierte Poet, der schon vor Jahren die
Communisten durch seine gelben Stiefelchen scandalisirt hatte und der das Recht
zu haben glaubte, mit den Königen zu grollen, weil er früher mit seinem Gotte
gegrollt. Dann die Hanauer, frische, fröhliche Gesellen mit derben Fäusten und echt
französischer Frivolität, die Abend für Abend in den Kneipen liegen und sich einen
Spaß daraus machen, der ganzen Welt ein Schnippchen zu schlagen. Das Alles
ist zwar kein normales, aber ein buntes, mannigfaltiges Leben, das Ihnen, der
Sie nur an die spießbürgerlichen Verhältnisse der Schweiz gewöhnt waren, bei
Ihren romantischen Anlagen nothwendig imponiren mußte. War auch Ihre Partei
am Rhein nicht arm an abgefeimten Gaunern, so war doch in all den Leuten
eine gewisse naive Impertinenz, die wenigstens amüsirt, wenn sie auch nicht
begeistert.

Aber jetzt werden Sie unsere Berliner Republikaner kennen lernen. Sie
werden diese widerliche Mischung von unreifer Frivolität und greisenhafter, siecher
Abgespanntheit, diese Rcflexiouswirthschast, in der sich sittliche Impotenz mit dem
Hochmuth anticipirter Blasirtheit vereinigt, im Concretcn beobachten, Sie werden
im Kladderadatsch und im Krakehler die Mysterien des Berlincrthnms studiren,
das Ihnen von Weitem wahrscheinlich den Anschein einer schauerlichen Tragik ge¬
habt hat. Im Anfang wird man Ihnen huldigend entgegentreten, denn der Ber¬
liner ist überglücklich, daß man seine Stadt zum Centralpunkt der Demokratie
erhoben hat, aber die innere Natur wird sich bald genug Bahn brechen, wenn
Sie sich nur die Mühe geben werden, um sich zu sehn.

Denn das ist bei Ihrem Wesen allerdings zweifelhaft. Sie sind kein Schwär-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/72>, abgerufen am 29.06.2024.