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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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die Giebel Prags und sieht der Hradschiner Burg keck in's Angesicht. Du
hast dich einst über mich erhoben, winkt er ihr zu; die Krone mir vom Haupt
gerissen, statt des fürstlichen Gewands trag ich den Bettlermantel, aber deine
glänzenden Scheiben und Zinnen, wen täuschen sie? Deine Säle sind wie meine
Trümmer seit Jahrhunderten verlassen und vor einer Spanne Zeit wird dein
Antlitz sein wie meines! . .

Wer weiß, ob ich dies Alles je wiedersehe, sagte ich. -- Mein Begleiter
blickte mich fragend an. -- Ja; ich kam nnr auf Besuch, nur um von Prag Ab¬
schied zu nehmen. Hast du nicht errathen, daß ich Oestreich verlasse? Lieber
Freund, wir sind in dem weiten Oestreich unter einer großen dicken Glasglocke
eingesperrt; was wir athmen, ist Stickluft, die Herz und Hirn austrocknet; wir
glauben, die Sonne zu sehen, aber es ist nnr ihr mattes Abbild. Das Tages¬
licht dringt nnr trübe durch die gläserne Kerkerwand. Bald wird Alles fliehen
und auswandern, was noch jung ist, nur die Altgeborenen werden bleiben. -
Und wann willst du wiederkommen? -- Wiederkommen? Wenn die große
Glasglocke springt, erwiederte ich lachend. Aber dazu gehört ein europäisches
Erdbeben; ein jüngster Tag, an dem die Völker auferstehen. Das bleibt nicht
aus, so wahr es eine Menschheit gibt, aber es kann fünfzig, es kann hundert
Jahre dauern. Im besten Falle werden wir's als Graulöpse erleben und wenig¬
stens mit Freude in die Grube fahren. -- Dn sprichst etwas dunkel, erwiederte
er. -- Ich erklärte mich deutlicher in den bekannten Kunstausdrücken von Frei¬
heit, Aufklärung, Tyrannei, Servilismus, Weltbürgerthum, Revolution n. s. w.
Er schüttelte den Kopf und reichte mir schweigend den Arm. Wir stiegen den
Berg hinunter und gingen noch lange auf der Brücke spazieren.

Du bist weitsichtig, hub er endlich an, und übersiehst, was in der Stille
rings um Dich keimt, Du baust aus einen Völkerbund in fabelhafter Ferne und
vergißt ein Volk, daß Deinem Herzen am nächsten sein sollte. Glaube mir,
Du. läufst hohlen Schatten nach und wirst Dein Leben umsonst verlieren. Und
wenn Du im Alter einst wiederkehrst, bist Dn nirgends zu Hause, die Heimath
wird Dir und Dn der Heimath fremde sein. -- Jetzt redest Du etwas dun¬
kel. ^_ Da begann er von dem neuen Leben in Böhmen zu erzählen, von dem
czechischen Sprachgeist, der so herrliche Blütheu treibe und wie alle Stände in
Liebe mit einander wetteiferten; der Adel selbst habe seine" Hochmuth abgelegt
und nehme sich brüderlich der heiligen Sache an. -- Alles sehr erfreulich, mich
dünkt es ebenfalls schön, daß die Czechen ihre Muttersprache wieder zu Ehren
bringen. Aber angenommen selbst , woran ich zweifle, es gelänge, ans böhmisch
eben so zierlich und rein zu sprechen und zu schreiben wie auf deutsch, so könnt
Ihr Böhmen dann Euern Jammer in zwei Sprachen winseln statt in einer. -- Du
urtheilst recht weltschmerzlich, aber die Sache hat einen tiefern Sinn. Mit der


die Giebel Prags und sieht der Hradschiner Burg keck in's Angesicht. Du
hast dich einst über mich erhoben, winkt er ihr zu; die Krone mir vom Haupt
gerissen, statt des fürstlichen Gewands trag ich den Bettlermantel, aber deine
glänzenden Scheiben und Zinnen, wen täuschen sie? Deine Säle sind wie meine
Trümmer seit Jahrhunderten verlassen und vor einer Spanne Zeit wird dein
Antlitz sein wie meines! . .

Wer weiß, ob ich dies Alles je wiedersehe, sagte ich. — Mein Begleiter
blickte mich fragend an. — Ja; ich kam nnr auf Besuch, nur um von Prag Ab¬
schied zu nehmen. Hast du nicht errathen, daß ich Oestreich verlasse? Lieber
Freund, wir sind in dem weiten Oestreich unter einer großen dicken Glasglocke
eingesperrt; was wir athmen, ist Stickluft, die Herz und Hirn austrocknet; wir
glauben, die Sonne zu sehen, aber es ist nnr ihr mattes Abbild. Das Tages¬
licht dringt nnr trübe durch die gläserne Kerkerwand. Bald wird Alles fliehen
und auswandern, was noch jung ist, nur die Altgeborenen werden bleiben. -
Und wann willst du wiederkommen? — Wiederkommen? Wenn die große
Glasglocke springt, erwiederte ich lachend. Aber dazu gehört ein europäisches
Erdbeben; ein jüngster Tag, an dem die Völker auferstehen. Das bleibt nicht
aus, so wahr es eine Menschheit gibt, aber es kann fünfzig, es kann hundert
Jahre dauern. Im besten Falle werden wir's als Graulöpse erleben und wenig¬
stens mit Freude in die Grube fahren. — Dn sprichst etwas dunkel, erwiederte
er. — Ich erklärte mich deutlicher in den bekannten Kunstausdrücken von Frei¬
heit, Aufklärung, Tyrannei, Servilismus, Weltbürgerthum, Revolution n. s. w.
Er schüttelte den Kopf und reichte mir schweigend den Arm. Wir stiegen den
Berg hinunter und gingen noch lange auf der Brücke spazieren.

Du bist weitsichtig, hub er endlich an, und übersiehst, was in der Stille
rings um Dich keimt, Du baust aus einen Völkerbund in fabelhafter Ferne und
vergißt ein Volk, daß Deinem Herzen am nächsten sein sollte. Glaube mir,
Du. läufst hohlen Schatten nach und wirst Dein Leben umsonst verlieren. Und
wenn Du im Alter einst wiederkehrst, bist Dn nirgends zu Hause, die Heimath
wird Dir und Dn der Heimath fremde sein. — Jetzt redest Du etwas dun¬
kel. ^_ Da begann er von dem neuen Leben in Böhmen zu erzählen, von dem
czechischen Sprachgeist, der so herrliche Blütheu treibe und wie alle Stände in
Liebe mit einander wetteiferten; der Adel selbst habe seine» Hochmuth abgelegt
und nehme sich brüderlich der heiligen Sache an. — Alles sehr erfreulich, mich
dünkt es ebenfalls schön, daß die Czechen ihre Muttersprache wieder zu Ehren
bringen. Aber angenommen selbst , woran ich zweifle, es gelänge, ans böhmisch
eben so zierlich und rein zu sprechen und zu schreiben wie auf deutsch, so könnt
Ihr Böhmen dann Euern Jammer in zwei Sprachen winseln statt in einer. — Du
urtheilst recht weltschmerzlich, aber die Sache hat einen tiefern Sinn. Mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/58>, abgerufen am 29.06.2024.