Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.einer der Bürger aufstand, mir auf die Schulter klopfte und "das ist eine Auf diese und andere kleine Abenteuer legte ich damals nicht das mindeste Die starken quadernen Seitenmauern, die doppelte Gallerie von hohen Sta¬ einer der Bürger aufstand, mir auf die Schulter klopfte und „das ist eine Auf diese und andere kleine Abenteuer legte ich damals nicht das mindeste Die starken quadernen Seitenmauern, die doppelte Gallerie von hohen Sta¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277487"/> <p xml:id="ID_153" prev="#ID_152"> einer der Bürger aufstand, mir auf die Schulter klopfte und „das ist eine<lb/> Schande, Gevatter," dem Wirthe zmief; „was plagst Du die armen Kinder?<lb/> Der junge Mann spricht ja wie Einer von uns. Kommen Sie mit an den<lb/> Tisch." Im Nu waren die beschämter Mädchen zum Saal hinaus, kaum daß ich<lb/> noch ihre drei Paar blonden Haarzöpfe flattern sah. Nun ward mir auf böhmisch<lb/> zugesprochen und zugetrunken. Alle verschollenen Lieder aus dem siebenjährigen<lb/> Kriege, wie das: „Wart' nur, wart' nur, Braudcburg," wurden zum Besten ge¬<lb/> geben, und Niemand war froher als ich, wie es an's Gute Nacht-Sagen kam,<lb/> denn das ging mir sehr geläufig vom Munde.</p><lb/> <p xml:id="ID_154"> Auf diese und andere kleine Abenteuer legte ich damals nicht das mindeste<lb/> Gewicht und hatte sie beinahe vergessen, als ich an einem Sonntagabend<lb/> im Mai 1838 Prag wieder sah. Die Stadt war still wie eine Kirche, nur hie<lb/> und da zogen geputzte Spaziergänger den Thoren zu; die dunkle Altstadt,<lb/> mit flammenrothen Fensterscheiben und einem rosigen Schimmer ans dem Rath¬<lb/> hausthurm und den Giebeln der Jesuitengasse, erinnerte mich an das Sprich¬<lb/> wort: Prag ist schwarz, -- aber schon, setzte ich in Gedanken hinzu. Aus der<lb/> Jesniteugafsc kommt man durch das Thor eines viereckigen WachtthurmS auf die<lb/> Brücke. Es gibt kunstvollere und zierlichere Brücken als die Prager, aber diese<lb/> macht durch ihren riesenhaften Ban und ihre pittoreske Lage einen unvergleich¬<lb/> lichen Eindruck.</p><lb/> <p xml:id="ID_155" next="#ID_156"> Die starken quadernen Seitenmauern, die doppelte Gallerie von hohen Sta¬<lb/> tuen und die beiden Thnrmeinfassnngcn geben ihr das Ansehen, als wäre sie<lb/> um ihrer selbst willen und nicht blos zu dem gewöhnlichen Zweck einer Brücke<lb/> da. Im Anschauen des tief nnter ihren Bogen hinrieselnden breiten Stromes,<lb/> der reizenden, mit schlanken Pappeln umkränzten Insel, der thurmreichen Alt¬<lb/> stadt und der kühn aufsteigenden palaststvlzen Kleinseite verloren, vergißt man<lb/> leicht, daß man mir auf das rechte oder linke Mer hinüber wollte. So ging es<lb/> diesmal auch mir, bis eine Hand plötzlich fest, aber sanft meine Augen zuhielt.<lb/> — Wer da? — Rathe, Freund oder Feind? — Holweg! rief ich, die Stimme<lb/> erkennend, und ein alter Schnlkamerade fiel mir enthusiastisch um den Hals. Nun<lb/> war der Abend doppelt schön und unter wechselseitigen Erzählungen, wie sie bei<lb/> Jugendfreunden, die nach fünfjähriger Trennung sich als Erwachsene wieder fin¬<lb/> den, gewöhnlich sind, kamen wir unversehens bis auf den Lorcnzobcrg, streckten<lb/> uns im Schatten einer rauschenden Baumgruppe hin und betrachteten eine Weile<lb/> Stadt und Landschaft zu unsern Füßen in stummer Bewegung. Zu unserer Lin-<lb/> ragte der Hradschin und am entgegengesetzten Ende Prags, jenseits der Mol¬<lb/> dau, war der graue Wyssehrad zu erkennen. Wie bedeutungsvoll ist dieses Ge¬<lb/> genüber', sag^ er. Vom Wyssehrad, wo die heidnischen Herzoge thronten, stehen<lb/> nur die gewaltigen Grundmauern, aber immer noch hebt er sich trotzig über</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
einer der Bürger aufstand, mir auf die Schulter klopfte und „das ist eine
Schande, Gevatter," dem Wirthe zmief; „was plagst Du die armen Kinder?
Der junge Mann spricht ja wie Einer von uns. Kommen Sie mit an den
Tisch." Im Nu waren die beschämter Mädchen zum Saal hinaus, kaum daß ich
noch ihre drei Paar blonden Haarzöpfe flattern sah. Nun ward mir auf böhmisch
zugesprochen und zugetrunken. Alle verschollenen Lieder aus dem siebenjährigen
Kriege, wie das: „Wart' nur, wart' nur, Braudcburg," wurden zum Besten ge¬
geben, und Niemand war froher als ich, wie es an's Gute Nacht-Sagen kam,
denn das ging mir sehr geläufig vom Munde.
Auf diese und andere kleine Abenteuer legte ich damals nicht das mindeste
Gewicht und hatte sie beinahe vergessen, als ich an einem Sonntagabend
im Mai 1838 Prag wieder sah. Die Stadt war still wie eine Kirche, nur hie
und da zogen geputzte Spaziergänger den Thoren zu; die dunkle Altstadt,
mit flammenrothen Fensterscheiben und einem rosigen Schimmer ans dem Rath¬
hausthurm und den Giebeln der Jesuitengasse, erinnerte mich an das Sprich¬
wort: Prag ist schwarz, -- aber schon, setzte ich in Gedanken hinzu. Aus der
Jesniteugafsc kommt man durch das Thor eines viereckigen WachtthurmS auf die
Brücke. Es gibt kunstvollere und zierlichere Brücken als die Prager, aber diese
macht durch ihren riesenhaften Ban und ihre pittoreske Lage einen unvergleich¬
lichen Eindruck.
Die starken quadernen Seitenmauern, die doppelte Gallerie von hohen Sta¬
tuen und die beiden Thnrmeinfassnngcn geben ihr das Ansehen, als wäre sie
um ihrer selbst willen und nicht blos zu dem gewöhnlichen Zweck einer Brücke
da. Im Anschauen des tief nnter ihren Bogen hinrieselnden breiten Stromes,
der reizenden, mit schlanken Pappeln umkränzten Insel, der thurmreichen Alt¬
stadt und der kühn aufsteigenden palaststvlzen Kleinseite verloren, vergißt man
leicht, daß man mir auf das rechte oder linke Mer hinüber wollte. So ging es
diesmal auch mir, bis eine Hand plötzlich fest, aber sanft meine Augen zuhielt.
— Wer da? — Rathe, Freund oder Feind? — Holweg! rief ich, die Stimme
erkennend, und ein alter Schnlkamerade fiel mir enthusiastisch um den Hals. Nun
war der Abend doppelt schön und unter wechselseitigen Erzählungen, wie sie bei
Jugendfreunden, die nach fünfjähriger Trennung sich als Erwachsene wieder fin¬
den, gewöhnlich sind, kamen wir unversehens bis auf den Lorcnzobcrg, streckten
uns im Schatten einer rauschenden Baumgruppe hin und betrachteten eine Weile
Stadt und Landschaft zu unsern Füßen in stummer Bewegung. Zu unserer Lin-
ragte der Hradschin und am entgegengesetzten Ende Prags, jenseits der Mol¬
dau, war der graue Wyssehrad zu erkennen. Wie bedeutungsvoll ist dieses Ge¬
genüber', sag^ er. Vom Wyssehrad, wo die heidnischen Herzoge thronten, stehen
nur die gewaltigen Grundmauern, aber immer noch hebt er sich trotzig über
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |