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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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und Wien ist golden," war ein Sprichwort bei vns zu Hause, aber ich bevorzugte
nun die schwarze Stadt in meinem Herzen. Wien konnte, im Angesicht der knirschenden
Polen und blutenden Italiener, liebenswürdig und glücklich sein, -- das beleidigte
mich. Prag hatte aber eine Miene der Trauer und des Leidens; ein Anflug von
Schwermut!) lag auf seiner steinernen Physiognomie; seine düstere Architektur warf
einen Schatten von charaktervollem Ernst und nachdenkender Schweigsamkeit auf
das freudlosere Leben seiner Bewohner; mit einem Worte, Prag war unglücklich.
Wenn man aber recht jung ist und volle rothe Backen hat, pflegt ja die Phantasie
in melancholischen Genüssen ganz unersättlich zu sein; man stopft sich das Herz
voll Gram und Trotz und bleibt dabei frisch, gesund und bei gutem Appetit...

Im Frühling > 8!Z8 hatte ich den Wiener Staub von meinen Schuhen ge¬
schüttelt. In Böhmen aber war Vieles anders geworden. Ich erfuhr dies schon
auf der Reise zwischen Iglau und Stecken. An der Grenze nämlich stand ein
ungeheueres hölzernes Crucifix, gleich den meisten böhmischen Bildern auf Kreuz-
und Heerwegen so roh geschnitzt, daß es in der Abenddämmerung einem scheußlichen
Götzen ähnlicher sah als einem Erlöser; da wir einen Augenblick halten mußten,
bemerkte ich dies meinem Nachbar im Wagen, der bis dahin stumm in der Ecke
gelehnt hatte. Ja, erwiederte er, das Ding hat noch einen andern Fehler. Sehen
Sie nicht, daß es Böhmen den Rücken kehrt? -- Vielleicht, setzte er mit leiser
Stimme hinzu, ist seine Stellung nicht zufällig, denn Gott hat seit zwei hundert
Jahren sich von uns abgewendet! Der Mann, wie ich später sah, war ein junger
katholischer Geistlicher aus der Umgegend von Czaslau und ich hörte von ihm
Wunderdinge.. Sie staunen über meine religiösen Ansichten, sagte er lächelnd;
wenn Sie mich besuchten, würden Sie die Bildnisse von Huß und Rokyczana in
meinem Studirzimmer hängen sehen; und ich bin, gottlob, nicht der Einzige, der
im Stillen die alte verstockte Bigotterie bekämpft und die Kluft zwischen der böh¬
mischen Gegenwart und Vergangenheit im Gedächtniß der Leute auszufüllen sucht.
Aber dies muß ans czechisch geschehen; unserem Landvolk wird das vornehme
Deutsch immer fern und fremd bleiben, darum blieb es so lang verwildert. --
Der Grund leuchtete mir ein. --

Stockböhmische Poesie, hörte ich, kam Niemand mehr komisch vor. Im Gegen¬
theil. So oft sich irgendwo ein rührendes Unglück ereignet, wenn ein Liebster
seine Liebste aus Eifersucht umbringt oder aus hoffnungsloser Liebe in den Wald
°d°r auf den Heuboden geht und sich aufhängt, entsteht wenige Tage darnach
volksthümliches czechisches Lied, denn die ursprüngliche Sanglust war im
""de nie ausgestorben. Aber sonst fanden diese Volkslieder nur auf Jahrmärkten
^ "! Dorfschcnken einen Widerhall, jetzt wurden sie von "den schleiertragenden
6,raulein" in den Städten gesungen. In vielen Orten gab es ethische Theater,
die Stücke wurden aus dem Deutschen frei übersetzt oder völlig umgearbeitet.
Gemeinnützige Schriften über Bierbrauerei und Geographie, über Astronomie


und Wien ist golden," war ein Sprichwort bei vns zu Hause, aber ich bevorzugte
nun die schwarze Stadt in meinem Herzen. Wien konnte, im Angesicht der knirschenden
Polen und blutenden Italiener, liebenswürdig und glücklich sein, — das beleidigte
mich. Prag hatte aber eine Miene der Trauer und des Leidens; ein Anflug von
Schwermut!) lag auf seiner steinernen Physiognomie; seine düstere Architektur warf
einen Schatten von charaktervollem Ernst und nachdenkender Schweigsamkeit auf
das freudlosere Leben seiner Bewohner; mit einem Worte, Prag war unglücklich.
Wenn man aber recht jung ist und volle rothe Backen hat, pflegt ja die Phantasie
in melancholischen Genüssen ganz unersättlich zu sein; man stopft sich das Herz
voll Gram und Trotz und bleibt dabei frisch, gesund und bei gutem Appetit...

Im Frühling > 8!Z8 hatte ich den Wiener Staub von meinen Schuhen ge¬
schüttelt. In Böhmen aber war Vieles anders geworden. Ich erfuhr dies schon
auf der Reise zwischen Iglau und Stecken. An der Grenze nämlich stand ein
ungeheueres hölzernes Crucifix, gleich den meisten böhmischen Bildern auf Kreuz-
und Heerwegen so roh geschnitzt, daß es in der Abenddämmerung einem scheußlichen
Götzen ähnlicher sah als einem Erlöser; da wir einen Augenblick halten mußten,
bemerkte ich dies meinem Nachbar im Wagen, der bis dahin stumm in der Ecke
gelehnt hatte. Ja, erwiederte er, das Ding hat noch einen andern Fehler. Sehen
Sie nicht, daß es Böhmen den Rücken kehrt? — Vielleicht, setzte er mit leiser
Stimme hinzu, ist seine Stellung nicht zufällig, denn Gott hat seit zwei hundert
Jahren sich von uns abgewendet! Der Mann, wie ich später sah, war ein junger
katholischer Geistlicher aus der Umgegend von Czaslau und ich hörte von ihm
Wunderdinge.. Sie staunen über meine religiösen Ansichten, sagte er lächelnd;
wenn Sie mich besuchten, würden Sie die Bildnisse von Huß und Rokyczana in
meinem Studirzimmer hängen sehen; und ich bin, gottlob, nicht der Einzige, der
im Stillen die alte verstockte Bigotterie bekämpft und die Kluft zwischen der böh¬
mischen Gegenwart und Vergangenheit im Gedächtniß der Leute auszufüllen sucht.
Aber dies muß ans czechisch geschehen; unserem Landvolk wird das vornehme
Deutsch immer fern und fremd bleiben, darum blieb es so lang verwildert. —
Der Grund leuchtete mir ein. —

Stockböhmische Poesie, hörte ich, kam Niemand mehr komisch vor. Im Gegen¬
theil. So oft sich irgendwo ein rührendes Unglück ereignet, wenn ein Liebster
seine Liebste aus Eifersucht umbringt oder aus hoffnungsloser Liebe in den Wald
°d°r auf den Heuboden geht und sich aufhängt, entsteht wenige Tage darnach
volksthümliches czechisches Lied, denn die ursprüngliche Sanglust war im
""de nie ausgestorben. Aber sonst fanden diese Volkslieder nur auf Jahrmärkten
^ "! Dorfschcnken einen Widerhall, jetzt wurden sie von „den schleiertragenden
6,raulein" in den Städten gesungen. In vielen Orten gab es ethische Theater,
die Stücke wurden aus dem Deutschen frei übersetzt oder völlig umgearbeitet.
Gemeinnützige Schriften über Bierbrauerei und Geographie, über Astronomie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/55>, abgerufen am 29.06.2024.