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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sondern auf das Schicksal des Studirenden Einfluß. Wer die Probe nicht bestand,
konnte in gewissen Fällen unter das Militär gesteckt oder wenigstens ein Jahr
länger an die Schulbank geschmiedet werden. Und bei diesen Verhören, die man
wissenschaftliche Prüfungen nannte, besaß der Professor absolute Gewalt; er ur¬
theilte meist ohne Beisitzer, er konnte seiner Laune oder Rachsucht, seiner Gutmü-
thigkeit oder Vorliebe nach Gefallen folgen"). P -- l nun galt in solchen Tagen
des Angstschweißes und der schlaflosen Nächte für den grausamsten Quälgeist; das
eisernste Jnsectengedächtniß konnte ihn kaum befriedigen. Nur ein Mittel gab es,
das Herz des Rhadamantus zu erweichen; wenn man ihn im Augenblick der höch¬
sten Noth auf gutböhmisch anredete, ließ er Gnade für Unrecht ergehen...

Aber eine völlige Umwälzung in meinen Gefühlen brachten fünf Jahre in
Wien hervor, obgleich hier selbst die Schusterjungen, die Höckerwcibcr und die
Hausmeister deutsch sprachen. So sehr ich das unverkünstelte, schnippisch mutter¬
witzige und gesund gutmüthige Volk der Wiener lieb gewann, so heftig stieß mich
die Wiener "Bildung" ab. Der Stutzerton und das Schönthuu mit der eige¬
nen Gemüthlichkeit, die weichliche Genußsucht und die schlaffe Gedankenlosigkeit
der gebildeten Residenzler forderte meine souveränste Verachtung heraus. Selbst
der an sich harmlose Uebermuth, mit welchem in Wiener Possentheatern, auf den
Gaukelbuden und Wirthshanstischdarstelluugen bald "der Böhm" und bald "der
Ungar" zum Sündenbock des plattesten Humors gemacht wurde, konnte mich ver¬
letzen. Denn ich war in jene Flegeljahre getreten, wo man für die Freiheit aller
Völker schwärmt und der leiseste Schatten eines Unrechts das Blut so zum Sie¬
den bringt, daß man stracks Brutus oder Don Quixote werden möchte. Ich
brauche nicht daran zu erinnern, daß Wien zu jener Zeit die rechte Schule für
junge Himmelsstürmer und Weltverbesserer war. Je weniger es in einem Staat
wie Altöstreich möglich ist, politische Einsicht zu gewinnen, desto sicherer wird die
Jugend, bei einiger Empfänglichkeit, hochroth revolutionär gestimmt.

Von hier aus erschien mir nun Böhmen in ganz anderem Lichte. Die Ferne
verklärt jeden Gegenstand, besonders die Heimath. Ich bekam plötzlich ein Auge
für die anziehenden Eigenthümlichkeiten des czechischcn Volkes und wurde geneigt,
die unheimlichen Seiten der Hussitenenkel lediglich ans Rechnung des Hanfes Habs¬
burg zu schreiben; nicht blos die gräulichen Ferdinande des 16. und 17. Jahr¬
hunderts hatten dem Czechen den Stempel der Sklaverei auf die Stirn gebrannt,
sondern schon der UrPhilister, Rudolph v. Habsburg, hatte diesen jesuitischen Pro¬
ceß eingeleitet. Und wie konnte ich früher so stumpf sein gegen die tragischen
Kapitel der böhmischen Vorzeit? Es war mir kaum erklärlich. Jetzt trat das
Bild von Prag täglich imposanter in meiner Erinnerung hervor. "Prag ist schwarz



*) Bei Manchen führte diese Gewalt auch zur Bestechung und wurde eine Quelle reich¬
licher Einnahmen.

sondern auf das Schicksal des Studirenden Einfluß. Wer die Probe nicht bestand,
konnte in gewissen Fällen unter das Militär gesteckt oder wenigstens ein Jahr
länger an die Schulbank geschmiedet werden. Und bei diesen Verhören, die man
wissenschaftliche Prüfungen nannte, besaß der Professor absolute Gewalt; er ur¬
theilte meist ohne Beisitzer, er konnte seiner Laune oder Rachsucht, seiner Gutmü-
thigkeit oder Vorliebe nach Gefallen folgen"). P — l nun galt in solchen Tagen
des Angstschweißes und der schlaflosen Nächte für den grausamsten Quälgeist; das
eisernste Jnsectengedächtniß konnte ihn kaum befriedigen. Nur ein Mittel gab es,
das Herz des Rhadamantus zu erweichen; wenn man ihn im Augenblick der höch¬
sten Noth auf gutböhmisch anredete, ließ er Gnade für Unrecht ergehen...

Aber eine völlige Umwälzung in meinen Gefühlen brachten fünf Jahre in
Wien hervor, obgleich hier selbst die Schusterjungen, die Höckerwcibcr und die
Hausmeister deutsch sprachen. So sehr ich das unverkünstelte, schnippisch mutter¬
witzige und gesund gutmüthige Volk der Wiener lieb gewann, so heftig stieß mich
die Wiener „Bildung" ab. Der Stutzerton und das Schönthuu mit der eige¬
nen Gemüthlichkeit, die weichliche Genußsucht und die schlaffe Gedankenlosigkeit
der gebildeten Residenzler forderte meine souveränste Verachtung heraus. Selbst
der an sich harmlose Uebermuth, mit welchem in Wiener Possentheatern, auf den
Gaukelbuden und Wirthshanstischdarstelluugen bald „der Böhm" und bald „der
Ungar" zum Sündenbock des plattesten Humors gemacht wurde, konnte mich ver¬
letzen. Denn ich war in jene Flegeljahre getreten, wo man für die Freiheit aller
Völker schwärmt und der leiseste Schatten eines Unrechts das Blut so zum Sie¬
den bringt, daß man stracks Brutus oder Don Quixote werden möchte. Ich
brauche nicht daran zu erinnern, daß Wien zu jener Zeit die rechte Schule für
junge Himmelsstürmer und Weltverbesserer war. Je weniger es in einem Staat
wie Altöstreich möglich ist, politische Einsicht zu gewinnen, desto sicherer wird die
Jugend, bei einiger Empfänglichkeit, hochroth revolutionär gestimmt.

Von hier aus erschien mir nun Böhmen in ganz anderem Lichte. Die Ferne
verklärt jeden Gegenstand, besonders die Heimath. Ich bekam plötzlich ein Auge
für die anziehenden Eigenthümlichkeiten des czechischcn Volkes und wurde geneigt,
die unheimlichen Seiten der Hussitenenkel lediglich ans Rechnung des Hanfes Habs¬
burg zu schreiben; nicht blos die gräulichen Ferdinande des 16. und 17. Jahr¬
hunderts hatten dem Czechen den Stempel der Sklaverei auf die Stirn gebrannt,
sondern schon der UrPhilister, Rudolph v. Habsburg, hatte diesen jesuitischen Pro¬
ceß eingeleitet. Und wie konnte ich früher so stumpf sein gegen die tragischen
Kapitel der böhmischen Vorzeit? Es war mir kaum erklärlich. Jetzt trat das
Bild von Prag täglich imposanter in meiner Erinnerung hervor. „Prag ist schwarz



*) Bei Manchen führte diese Gewalt auch zur Bestechung und wurde eine Quelle reich¬
licher Einnahmen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/54>, abgerufen am 29.06.2024.