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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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rissen sah. "Was werden Sie thun?" fragte ich Berg beim Beginnen der FreitagS-
sitzung. "Wir lassen jedem Ministerium 4 Wochen fair pi-t^" war die Antwort. --

Ohne Scherz, die Lage war im höchsten Grade bedenklich -- sie war es beson¬
ders durch Wrangel'S unvorsichtigen Armeebefehl geworden. Man lese diesen, wie man
will, immer stellt sich hier ein General als vollkommen selbstständig hin, mit Zurück¬
setzung des Königs und des Ministeriums. Er belohnt die Truppen durch Entlassung
von Reserven, er scheidet die guten Bürger von den schlechte", er wird in Zukunft
beurtheilen, wann, wo und wie die Ordnung wieder herzustellen ist. Noch nie habe
ich Berlin in ähnlicher Aufregung gesehen: selbst der ruhigste Wcißbierphilistcr, selbst
der aristokratische Scharfschütze ballte krampfhaft die Hand, wenn er von diesem Ar¬
meebefehl sprach -- ja sogar der constitutionelle Club verließ für diesen Augenblick sein
langweiliges Schaukelsystem. Nicht gerade besonders ästhetisch, aber am richtigsten spricht
August Buddelmcyer die allgemeine Stimmung in einem Plakat aus, das mit den Wor¬
ten beginnt: "Als ich Ihren Armeebefehl las, ruhmreicher Holsteucr, da dacht ich der
Affe laust mir." Dieser Blitzstrahl ans heiterm Himmel, diese urplötzliche Abkühlung,
nachdem man vierzehn Tage blos von Skandal und Revolution gelebt, war denn doch
etwas zu stark. --

Ich gebe Ihnen die Eindrücke offen und frei, wie ich sie empfing: aber eben so
offen gestehe ick, auch, daß ich nach zwei Sitzungen voll der besten Hoffnung bin, viel
mehr, als nach jenem berühmten Tage, wo Hansemann durch die sogenannte Anerken¬
nung der Revolution rauschenden Beifall geerntet. Das Ministerium scheint seine Auf¬
gabe begriffen, es scheint erkannt zu haben, daß es eben nur den Radikalen die Herr¬
schaft entreißen darf, dem linken Centrum seinen Sieg dagegen nnverkümmert lassen,
ja sich auf dies besonders stützen muß. Es ist sogar die Aussicht ziemlich bestimmt,
daß es Pfuel gelingen wird, aus den Reihen desselben sein Kabinet zu verstärken:
wahrscheinlich wird Blom, vielleicht auch Nodbcrtus eintreten -- in diesem Augenblick
sind die Unterhandlungen dem Abschlüsse nahe. Meine Hoffnungen aber basiren sich
nicht auf das Programm des Ministeriums: dies konnte eben nicht mehr enthalten, als
die allgemeinen Redensarten, die heute jede Partei zum Motto nimmt: das Hinstreben
zum Absolutismus oder zur ron"KIi">no rnuxe gesteht wenigstens Niemand öffentlich zu.
Die Stellung zu Deutschland tritt in dieser Antrittsrede ebenfalls ganz in den Hin¬
tergrund; und gewiß mit Recht. Wozu jetzt Wortgefechte erregen, da die Wirklichkeit
uns Gott sei Dank! durch die Genehmigung des Waffenstillstandes für den Augen¬
blick wenigstens dieser Schwierigkeiten überhebt. Die offene, ehrliche und geschickte Ant¬
wort Pfuels auf die Jnterpellation von Kirchmann bewies mir zuerst die Aufrichtigkeit
des Kabinets: der heute verlesene Armeebefehl, dnrch den endlich jener Stein des An¬
stoßes hinweggeräumt wird, hat diese Ansicht bestätigt. Schon das Aeußere des Mi¬
nisterpräsidenten macht einen ungemein wohlthuenden Eindruck. Eine lange Gestalt
mit eisgrauen Haare und einem freien Gesichte, dem jeder .4mer"-s>";n8ok fremd zu
sein scheint. Mit etwas schwacher Stimme liest er seine gründlich 'durchdachten Er¬
widerungen ab: der Rede ist er leider so wenig mächtig, daß er heute mitten im Vor¬
trage stockte und einige Minuten mit Dvhnhoff tonferirtc, als er genöthigt war, ex
teinnorv zu sprechen. Seine Antecedentien nehmen ebenfalls für ihn ein. Wenn nie¬
derträchtige Journale -- zum Theil dieselben, die früher das Gegentheil behaupteten,
um alle Schuld auf den Prinzen von Preußen zu werfen -- wenn diese ihn jetzt auch
den Kartätscheugeueral vom 18. März nennen: so ist es doch allgemein bekannt, daß
man gerade im entscheidenden Augenblicke für gerathen hielt, ihm das Kommando zu
nehmen und es an Prittwitz zu übertragen. Noch verdienter hat er sich in Posen ge¬
macht: trotz seiner schwierigen Stellung hat er sich die Achtung der Polen wie der
Deutschen zu erwerben gewußt. In der Deklaration des Armeebefehls von Wrangel
desavouirt er diesen, rücksichtsvoll aber vollständig, in allen Punkten, wo man dem
General Uebergriffe vorwerfen konnte, während er sonst dessen Absicht, Disciplin und


rissen sah. „Was werden Sie thun?" fragte ich Berg beim Beginnen der FreitagS-
sitzung. „Wir lassen jedem Ministerium 4 Wochen fair pi-t^" war die Antwort. —

Ohne Scherz, die Lage war im höchsten Grade bedenklich — sie war es beson¬
ders durch Wrangel'S unvorsichtigen Armeebefehl geworden. Man lese diesen, wie man
will, immer stellt sich hier ein General als vollkommen selbstständig hin, mit Zurück¬
setzung des Königs und des Ministeriums. Er belohnt die Truppen durch Entlassung
von Reserven, er scheidet die guten Bürger von den schlechte», er wird in Zukunft
beurtheilen, wann, wo und wie die Ordnung wieder herzustellen ist. Noch nie habe
ich Berlin in ähnlicher Aufregung gesehen: selbst der ruhigste Wcißbierphilistcr, selbst
der aristokratische Scharfschütze ballte krampfhaft die Hand, wenn er von diesem Ar¬
meebefehl sprach — ja sogar der constitutionelle Club verließ für diesen Augenblick sein
langweiliges Schaukelsystem. Nicht gerade besonders ästhetisch, aber am richtigsten spricht
August Buddelmcyer die allgemeine Stimmung in einem Plakat aus, das mit den Wor¬
ten beginnt: „Als ich Ihren Armeebefehl las, ruhmreicher Holsteucr, da dacht ich der
Affe laust mir." Dieser Blitzstrahl ans heiterm Himmel, diese urplötzliche Abkühlung,
nachdem man vierzehn Tage blos von Skandal und Revolution gelebt, war denn doch
etwas zu stark. —

Ich gebe Ihnen die Eindrücke offen und frei, wie ich sie empfing: aber eben so
offen gestehe ick, auch, daß ich nach zwei Sitzungen voll der besten Hoffnung bin, viel
mehr, als nach jenem berühmten Tage, wo Hansemann durch die sogenannte Anerken¬
nung der Revolution rauschenden Beifall geerntet. Das Ministerium scheint seine Auf¬
gabe begriffen, es scheint erkannt zu haben, daß es eben nur den Radikalen die Herr¬
schaft entreißen darf, dem linken Centrum seinen Sieg dagegen nnverkümmert lassen,
ja sich auf dies besonders stützen muß. Es ist sogar die Aussicht ziemlich bestimmt,
daß es Pfuel gelingen wird, aus den Reihen desselben sein Kabinet zu verstärken:
wahrscheinlich wird Blom, vielleicht auch Nodbcrtus eintreten — in diesem Augenblick
sind die Unterhandlungen dem Abschlüsse nahe. Meine Hoffnungen aber basiren sich
nicht auf das Programm des Ministeriums: dies konnte eben nicht mehr enthalten, als
die allgemeinen Redensarten, die heute jede Partei zum Motto nimmt: das Hinstreben
zum Absolutismus oder zur ron»KIi«>no rnuxe gesteht wenigstens Niemand öffentlich zu.
Die Stellung zu Deutschland tritt in dieser Antrittsrede ebenfalls ganz in den Hin¬
tergrund; und gewiß mit Recht. Wozu jetzt Wortgefechte erregen, da die Wirklichkeit
uns Gott sei Dank! durch die Genehmigung des Waffenstillstandes für den Augen¬
blick wenigstens dieser Schwierigkeiten überhebt. Die offene, ehrliche und geschickte Ant¬
wort Pfuels auf die Jnterpellation von Kirchmann bewies mir zuerst die Aufrichtigkeit
des Kabinets: der heute verlesene Armeebefehl, dnrch den endlich jener Stein des An¬
stoßes hinweggeräumt wird, hat diese Ansicht bestätigt. Schon das Aeußere des Mi¬
nisterpräsidenten macht einen ungemein wohlthuenden Eindruck. Eine lange Gestalt
mit eisgrauen Haare und einem freien Gesichte, dem jeder .4mer«-s>«;n8ok fremd zu
sein scheint. Mit etwas schwacher Stimme liest er seine gründlich 'durchdachten Er¬
widerungen ab: der Rede ist er leider so wenig mächtig, daß er heute mitten im Vor¬
trage stockte und einige Minuten mit Dvhnhoff tonferirtc, als er genöthigt war, ex
teinnorv zu sprechen. Seine Antecedentien nehmen ebenfalls für ihn ein. Wenn nie¬
derträchtige Journale — zum Theil dieselben, die früher das Gegentheil behaupteten,
um alle Schuld auf den Prinzen von Preußen zu werfen — wenn diese ihn jetzt auch
den Kartätscheugeueral vom 18. März nennen: so ist es doch allgemein bekannt, daß
man gerade im entscheidenden Augenblicke für gerathen hielt, ihm das Kommando zu
nehmen und es an Prittwitz zu übertragen. Noch verdienter hat er sich in Posen ge¬
macht: trotz seiner schwierigen Stellung hat er sich die Achtung der Polen wie der
Deutschen zu erwerben gewußt. In der Deklaration des Armeebefehls von Wrangel
desavouirt er diesen, rücksichtsvoll aber vollständig, in allen Punkten, wo man dem
General Uebergriffe vorwerfen konnte, während er sonst dessen Absicht, Disciplin und


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[0546] rissen sah. „Was werden Sie thun?" fragte ich Berg beim Beginnen der FreitagS- sitzung. „Wir lassen jedem Ministerium 4 Wochen fair pi-t^" war die Antwort. — Ohne Scherz, die Lage war im höchsten Grade bedenklich — sie war es beson¬ ders durch Wrangel'S unvorsichtigen Armeebefehl geworden. Man lese diesen, wie man will, immer stellt sich hier ein General als vollkommen selbstständig hin, mit Zurück¬ setzung des Königs und des Ministeriums. Er belohnt die Truppen durch Entlassung von Reserven, er scheidet die guten Bürger von den schlechte», er wird in Zukunft beurtheilen, wann, wo und wie die Ordnung wieder herzustellen ist. Noch nie habe ich Berlin in ähnlicher Aufregung gesehen: selbst der ruhigste Wcißbierphilistcr, selbst der aristokratische Scharfschütze ballte krampfhaft die Hand, wenn er von diesem Ar¬ meebefehl sprach — ja sogar der constitutionelle Club verließ für diesen Augenblick sein langweiliges Schaukelsystem. Nicht gerade besonders ästhetisch, aber am richtigsten spricht August Buddelmcyer die allgemeine Stimmung in einem Plakat aus, das mit den Wor¬ ten beginnt: „Als ich Ihren Armeebefehl las, ruhmreicher Holsteucr, da dacht ich der Affe laust mir." Dieser Blitzstrahl ans heiterm Himmel, diese urplötzliche Abkühlung, nachdem man vierzehn Tage blos von Skandal und Revolution gelebt, war denn doch etwas zu stark. — Ich gebe Ihnen die Eindrücke offen und frei, wie ich sie empfing: aber eben so offen gestehe ick, auch, daß ich nach zwei Sitzungen voll der besten Hoffnung bin, viel mehr, als nach jenem berühmten Tage, wo Hansemann durch die sogenannte Anerken¬ nung der Revolution rauschenden Beifall geerntet. Das Ministerium scheint seine Auf¬ gabe begriffen, es scheint erkannt zu haben, daß es eben nur den Radikalen die Herr¬ schaft entreißen darf, dem linken Centrum seinen Sieg dagegen nnverkümmert lassen, ja sich auf dies besonders stützen muß. Es ist sogar die Aussicht ziemlich bestimmt, daß es Pfuel gelingen wird, aus den Reihen desselben sein Kabinet zu verstärken: wahrscheinlich wird Blom, vielleicht auch Nodbcrtus eintreten — in diesem Augenblick sind die Unterhandlungen dem Abschlüsse nahe. Meine Hoffnungen aber basiren sich nicht auf das Programm des Ministeriums: dies konnte eben nicht mehr enthalten, als die allgemeinen Redensarten, die heute jede Partei zum Motto nimmt: das Hinstreben zum Absolutismus oder zur ron»KIi«>no rnuxe gesteht wenigstens Niemand öffentlich zu. Die Stellung zu Deutschland tritt in dieser Antrittsrede ebenfalls ganz in den Hin¬ tergrund; und gewiß mit Recht. Wozu jetzt Wortgefechte erregen, da die Wirklichkeit uns Gott sei Dank! durch die Genehmigung des Waffenstillstandes für den Augen¬ blick wenigstens dieser Schwierigkeiten überhebt. Die offene, ehrliche und geschickte Ant¬ wort Pfuels auf die Jnterpellation von Kirchmann bewies mir zuerst die Aufrichtigkeit des Kabinets: der heute verlesene Armeebefehl, dnrch den endlich jener Stein des An¬ stoßes hinweggeräumt wird, hat diese Ansicht bestätigt. Schon das Aeußere des Mi¬ nisterpräsidenten macht einen ungemein wohlthuenden Eindruck. Eine lange Gestalt mit eisgrauen Haare und einem freien Gesichte, dem jeder .4mer«-s>«;n8ok fremd zu sein scheint. Mit etwas schwacher Stimme liest er seine gründlich 'durchdachten Er¬ widerungen ab: der Rede ist er leider so wenig mächtig, daß er heute mitten im Vor¬ trage stockte und einige Minuten mit Dvhnhoff tonferirtc, als er genöthigt war, ex teinnorv zu sprechen. Seine Antecedentien nehmen ebenfalls für ihn ein. Wenn nie¬ derträchtige Journale — zum Theil dieselben, die früher das Gegentheil behaupteten, um alle Schuld auf den Prinzen von Preußen zu werfen — wenn diese ihn jetzt auch den Kartätscheugeueral vom 18. März nennen: so ist es doch allgemein bekannt, daß man gerade im entscheidenden Augenblicke für gerathen hielt, ihm das Kommando zu nehmen und es an Prittwitz zu übertragen. Noch verdienter hat er sich in Posen ge¬ macht: trotz seiner schwierigen Stellung hat er sich die Achtung der Polen wie der Deutschen zu erwerben gewußt. In der Deklaration des Armeebefehls von Wrangel desavouirt er diesen, rücksichtsvoll aber vollständig, in allen Punkten, wo man dem General Uebergriffe vorwerfen konnte, während er sonst dessen Absicht, Disciplin und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/546>, abgerufen am 29.06.2024.