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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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trug und den gauzen Tag Violine spielte. Der Andere, ein kleines ungemein
sanftes Männchen, pflegte während des Vortrags dnrch seine patriotischen Abschwei-
fungen unser Lächeln zu erregen; er behauptete unter Anderem, die Slaven seien
die leibhaftigen Vettern der alten Griechen. Die böhmischen Bauern vor Augen
und die homerischen Ideale im Kopfe --- wie sollte man da nicht lachen! Ich
glaube sogar, daß der gute Professor S. deu meisten meiner Schulkameraden da¬
durch das Griechische verleidet hat. Von einer Anfeindung oder Herabsetzung des
Deutschthums war übrigens kein Gedanke; er suchte uns blos die geringschätzige
Meinung zu benehmen, welche wir von der Schönheit der Volkssprache und dem
geistigen Adel des Volkes selbst eingesogen hatten. Er stritt im Grnnde für ein
gutes Recht, seine Waffen waren nur weder scharf uoch glänzend. Auf mich mach¬
ten sie gar keinen Eindruck und ich muß dem guten Manne nachsagen, daß ich,
trotz meiner sichtlichen Kälte für den Gegenstand seiner Leidenschaft, doch zu seinen
Lieblingen gehörte. Deutsch erzogen, mitten in einer czechischen Landschaft, kannte
ich Deutschland nur aus seinen Dichtern und daher ward mir "deutsch" gleichbe¬
deutend mit ideal, edel und poetisch, "czechisch" bezeichnete in meiner Vorstellung
alles Traurige, Aermliche und Prosaische, was ich bis dahin von der Wirklichkeit
des Lebens keimen gelernt hatte.

Czechisch war die Sprache des Gesindes, der Bauernschenke und des rauhen
Tagelöhners. Ein Land, wo selbst Dörfler, Dienstboten und Gassenjungen das
Idiom meiner Bücher reden, erschien mir in der Einbildung als ein gelobtes Land;
ein Pöbel, der deutsch sprechen konnte, war schon dadurch in meinen Augen kein
Pöbel mehr. Gewiß, diese Pantasien hatten etwas kindisch Aristokratisches, aber
Jedem, der in ähnlichen Verhältnisse" ausgewachsen ist, werden sie begreiflich sein
rind natürlich vorkommen. Prag, wo ich die ersten dreißiger Jahre zubrachte,
zeigte dasselbe Verhältniß zwischen Deutsch- und Stockböhmisch. Von der czechifchen
Bewegung hörte mau wenig, anßer daß zwischen zwei slavischen Philologen, Jung¬
mann und Negedly, über den Gebrauch des y in der czechischen Rechtschreibung
eine heftige Fehde entbrannt war, die bereits mehrere Jahre dauerte. Auch ein
burlesker Vorläufer des spätern czcchomanischen Ingrimms ging in der Figur des
Professor Swatopluk P.....-l umher. P. lehrte Zoologie an der medizinischen Fa¬
kultät und vereinigte mit der Pedanterie eines geborenen Jnsektenjägers eine schlecht
verhehlte Antipathie gegen alle Hörer, die nicht böhmisch verstanden. Er war der
schrecken seines Auditoriums, mau schilderte ihn als einen wahren Mephistopheles;
^ne n"ße^ Erscheinung, -- er ist bucklig -- trug vielleicht dazu bei, die Ge>
kochten, die über seine Unerbittlichkeit umliefen, glaubhafter zu macheu. Die
^ubordination auf den altöstreichischeu Universitäten paßte aber mit wunderbarer
Genauigkeit in das ganze kaiserliche System der Unterthanenabrichtung; die jähr¬
lichen und halbjährliche" Prüfungen hatten nicht etwa auf den guten Ruf blos,^^>>>>


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trug und den gauzen Tag Violine spielte. Der Andere, ein kleines ungemein
sanftes Männchen, pflegte während des Vortrags dnrch seine patriotischen Abschwei-
fungen unser Lächeln zu erregen; er behauptete unter Anderem, die Slaven seien
die leibhaftigen Vettern der alten Griechen. Die böhmischen Bauern vor Augen
und die homerischen Ideale im Kopfe —- wie sollte man da nicht lachen! Ich
glaube sogar, daß der gute Professor S. deu meisten meiner Schulkameraden da¬
durch das Griechische verleidet hat. Von einer Anfeindung oder Herabsetzung des
Deutschthums war übrigens kein Gedanke; er suchte uns blos die geringschätzige
Meinung zu benehmen, welche wir von der Schönheit der Volkssprache und dem
geistigen Adel des Volkes selbst eingesogen hatten. Er stritt im Grnnde für ein
gutes Recht, seine Waffen waren nur weder scharf uoch glänzend. Auf mich mach¬
ten sie gar keinen Eindruck und ich muß dem guten Manne nachsagen, daß ich,
trotz meiner sichtlichen Kälte für den Gegenstand seiner Leidenschaft, doch zu seinen
Lieblingen gehörte. Deutsch erzogen, mitten in einer czechischen Landschaft, kannte
ich Deutschland nur aus seinen Dichtern und daher ward mir „deutsch" gleichbe¬
deutend mit ideal, edel und poetisch, „czechisch" bezeichnete in meiner Vorstellung
alles Traurige, Aermliche und Prosaische, was ich bis dahin von der Wirklichkeit
des Lebens keimen gelernt hatte.

Czechisch war die Sprache des Gesindes, der Bauernschenke und des rauhen
Tagelöhners. Ein Land, wo selbst Dörfler, Dienstboten und Gassenjungen das
Idiom meiner Bücher reden, erschien mir in der Einbildung als ein gelobtes Land;
ein Pöbel, der deutsch sprechen konnte, war schon dadurch in meinen Augen kein
Pöbel mehr. Gewiß, diese Pantasien hatten etwas kindisch Aristokratisches, aber
Jedem, der in ähnlichen Verhältnisse» ausgewachsen ist, werden sie begreiflich sein
rind natürlich vorkommen. Prag, wo ich die ersten dreißiger Jahre zubrachte,
zeigte dasselbe Verhältniß zwischen Deutsch- und Stockböhmisch. Von der czechifchen
Bewegung hörte mau wenig, anßer daß zwischen zwei slavischen Philologen, Jung¬
mann und Negedly, über den Gebrauch des y in der czechischen Rechtschreibung
eine heftige Fehde entbrannt war, die bereits mehrere Jahre dauerte. Auch ein
burlesker Vorläufer des spätern czcchomanischen Ingrimms ging in der Figur des
Professor Swatopluk P.....-l umher. P. lehrte Zoologie an der medizinischen Fa¬
kultät und vereinigte mit der Pedanterie eines geborenen Jnsektenjägers eine schlecht
verhehlte Antipathie gegen alle Hörer, die nicht böhmisch verstanden. Er war der
schrecken seines Auditoriums, mau schilderte ihn als einen wahren Mephistopheles;
^ne n„ße^ Erscheinung, — er ist bucklig — trug vielleicht dazu bei, die Ge>
kochten, die über seine Unerbittlichkeit umliefen, glaubhafter zu macheu. Die
^ubordination auf den altöstreichischeu Universitäten paßte aber mit wunderbarer
Genauigkeit in das ganze kaiserliche System der Unterthanenabrichtung; die jähr¬
lichen und halbjährliche» Prüfungen hatten nicht etwa auf den guten Ruf blos,^^>>>>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/53>, abgerufen am 28.09.2024.