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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ganz Oestreich als Staatsreligion erklärt wurde. Damals siel jener prinzipielle
Unterschied weg; aber Ungarn wollte sich auch fernerhin von dem freien Oestreich
unterscheiden und verharrte nicht nur in seiner frühern isolirten Stellung, sondern
potenzirte dieselbe sogar. Es forderte ein eigenes Ministerium, weigerte sich, den
auf es entfallenden Antheil an der Staatsschuld zu übernehmen, zog seine Truppen
zurück, erklärte das übrige Oestreich als Ausland, knüpfte mit Uebergehung Wiens
eine gesandtschaftliche Verbindung mit Frankfurt an und entschloß sich, in stolzer
Abgeschlossenheit, ganz und gar seinen eigenen Weg zu gehen. Es wollte das
Verhältniß der Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nach Außen hin den übrigen
Völkern Oestreichs gegenüber anerkennen und that auch nicht Schritte, um nach
Innen an die Stelle der magyarischen Vornehmheit ein brüderliches Verhältniß
zu den übrigen an demselben Staatsverbande betheiligten Stämmen treten zu lassen.
Die Magyaren haben von jeher den historischen Weltgeist mit dem rationellen
Hausgott verwechselt -- und machten daher auch jetzt die Weltfrage der Zeit zu
einer Hansfrage, die nur in dem Familienrathe eines privilegirten Volkes, gleich¬
sam bei verschlossenen Thüren zur Sprache kommen darf. Ihre aparte Freiheit
war eigentlich von jeher eine Summe von Freiheiten, ein Inbegriff von Privile¬
gien gewesen, ihre Charte -- ein Adelsbrief, ausgefertigt an eine ganze Nation.

Die scharfe, rücksichtslose Kritik, mit der unsere Zeit durch ihren ideellen
Gehalt und durch die Dialectik der Thatsachen alle Romantik zersetzt, fällt auch
mit ihrer ganzen Wucht auf die Romantik des Magyarismus, der die sonderbare,
in unserer Zeit wildfremde Identität des Adelsstolzes und der Nationaleitelkeit ist.
Kossuth -- von dem man mit Recht sagen kann: jeder Zoll ein Magyar -- ist
auch der vorzüglichste Träger dieser Romantik, immer hoch nud ritterlich zu Rosse,
als Minister und Journalist die Turnirlanze einlegend gegen den strengen, uner¬
bittlichen Geist der Gegenwart. Nicht lange ist es her, so hat er in seinem Or¬
gan, "Kossuth Hirlapje," das hochtrabende Wort gesprochen: "Das regierende
Haus habe außer Ofen keinen Ort, von wo es mächtig werden könnte. Von Ofen
aus könne auch Wien regiert werden, von sonst irgendwo weder Wien noch Ofen."
Das ist romantisch. Jetzt rückt Jellaczicz, an der Spitze einer mächtigen Armee,
dem Herzen Ungarns immer näher, und Kossuth sagt: "Noch ist Ungarn nicht
verloren, und käme der Feind auch nach der Hauptstadt, was liegt daran? Auch
die Türken waren in Ofen, und Ungarn lebt noch." Das ist wieder romantisch
-- aber auch verzweifelt. Es sind Phrasen, vom Kothurn herabgesprochen, Worte,
wie sie beiläufig Könige in einer Tragödie, namentlich im fünften Acte, im Munde
zu führen pflegen.

Jetzt ist der Moment gekommen, wo der Magyarismus auf die empfindlichste.
Weise auf seinen Widerspruch mit der Zeit aufmerksam gemacht werden soll. Diese
Lection konnte ihm nicht erspart werden, aber allzu tragisch wäre es, wenn diesem
ritterlichen Volke, das sich seines Adelstolzes nicht aus freien Stücken begeben will,


ganz Oestreich als Staatsreligion erklärt wurde. Damals siel jener prinzipielle
Unterschied weg; aber Ungarn wollte sich auch fernerhin von dem freien Oestreich
unterscheiden und verharrte nicht nur in seiner frühern isolirten Stellung, sondern
potenzirte dieselbe sogar. Es forderte ein eigenes Ministerium, weigerte sich, den
auf es entfallenden Antheil an der Staatsschuld zu übernehmen, zog seine Truppen
zurück, erklärte das übrige Oestreich als Ausland, knüpfte mit Uebergehung Wiens
eine gesandtschaftliche Verbindung mit Frankfurt an und entschloß sich, in stolzer
Abgeschlossenheit, ganz und gar seinen eigenen Weg zu gehen. Es wollte das
Verhältniß der Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nach Außen hin den übrigen
Völkern Oestreichs gegenüber anerkennen und that auch nicht Schritte, um nach
Innen an die Stelle der magyarischen Vornehmheit ein brüderliches Verhältniß
zu den übrigen an demselben Staatsverbande betheiligten Stämmen treten zu lassen.
Die Magyaren haben von jeher den historischen Weltgeist mit dem rationellen
Hausgott verwechselt — und machten daher auch jetzt die Weltfrage der Zeit zu
einer Hansfrage, die nur in dem Familienrathe eines privilegirten Volkes, gleich¬
sam bei verschlossenen Thüren zur Sprache kommen darf. Ihre aparte Freiheit
war eigentlich von jeher eine Summe von Freiheiten, ein Inbegriff von Privile¬
gien gewesen, ihre Charte — ein Adelsbrief, ausgefertigt an eine ganze Nation.

Die scharfe, rücksichtslose Kritik, mit der unsere Zeit durch ihren ideellen
Gehalt und durch die Dialectik der Thatsachen alle Romantik zersetzt, fällt auch
mit ihrer ganzen Wucht auf die Romantik des Magyarismus, der die sonderbare,
in unserer Zeit wildfremde Identität des Adelsstolzes und der Nationaleitelkeit ist.
Kossuth — von dem man mit Recht sagen kann: jeder Zoll ein Magyar — ist
auch der vorzüglichste Träger dieser Romantik, immer hoch nud ritterlich zu Rosse,
als Minister und Journalist die Turnirlanze einlegend gegen den strengen, uner¬
bittlichen Geist der Gegenwart. Nicht lange ist es her, so hat er in seinem Or¬
gan, „Kossuth Hirlapje," das hochtrabende Wort gesprochen: „Das regierende
Haus habe außer Ofen keinen Ort, von wo es mächtig werden könnte. Von Ofen
aus könne auch Wien regiert werden, von sonst irgendwo weder Wien noch Ofen."
Das ist romantisch. Jetzt rückt Jellaczicz, an der Spitze einer mächtigen Armee,
dem Herzen Ungarns immer näher, und Kossuth sagt: „Noch ist Ungarn nicht
verloren, und käme der Feind auch nach der Hauptstadt, was liegt daran? Auch
die Türken waren in Ofen, und Ungarn lebt noch." Das ist wieder romantisch
— aber auch verzweifelt. Es sind Phrasen, vom Kothurn herabgesprochen, Worte,
wie sie beiläufig Könige in einer Tragödie, namentlich im fünften Acte, im Munde
zu führen pflegen.

Jetzt ist der Moment gekommen, wo der Magyarismus auf die empfindlichste.
Weise auf seinen Widerspruch mit der Zeit aufmerksam gemacht werden soll. Diese
Lection konnte ihm nicht erspart werden, aber allzu tragisch wäre es, wenn diesem
ritterlichen Volke, das sich seines Adelstolzes nicht aus freien Stücken begeben will,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/536>, abgerufen am 29.06.2024.