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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gleich sie ihn kennen mußte, und anch dieser Fehler wird dnrch den träumerischen
Anstrich der Zeitumstände entschuldigt. Es waltet ein böser Stern über Polens
Geschick. --

Eine andere Broschüre, die uns vorliegt (die Idee des Polenthums.
Zwei Bücher polnischer Leidensgeschichten von Dr. Ferdinand Gregorovius.
Königsberg. Sander) athmet diesen träumerisch romantischen Geist, der fast alle
Welt befängt, wenn von Polen die Rede ist. In diesem Polen liegt etwas My¬
thisch-Symbolisches; die Romantik der Natioualitäts-Doctrin, die man den deutschen
Burschenschafter nicht ganz mit Recht vorwirft, weil sie doch immer etwas Reelles
hatten, kommt in diesem Schatten, der ewig seinen Körper sucht, vollständig zur
Erscheinung. Herr Gregorovius gehört nicht zu den nichtsnutzigen Subjecten,
welche die polnische Frage nnr ausbeuten, um der Negierung Schwierigkeit in den
Weg zu legen; aber er hat zur Lösung derselben nichts als lyrische Ergüsse. Die
Poeten haben nun Polen genng angesungen, und die Sache liegt so prosaisch als
möglich vor Aller Augen. Es ist herzlos, einem an sich edlen Bestreben jede
Theilnahme zu versagen, aber bei dieser oberflächlichen Sympathie stehen zu blei¬
ben und beständig trauernde Juden an den Wassern von Babel zu malen, mit
Dnsseldvrfisch zierlichem Pinsel, das nutzt sich mit der Zeit gleichfalls ab. Wo
der praktische Verstand alle seine Kräfte zusammen nehmen muß, um nicht sich
selber zu verlieren, da sind dunkle Prophetensprüche nicht am Orte, wie der Schluß
jenes Buches: "Wir ringen in kleinen Kreisen, bis die Weltgeschichte das Be¬
stehende angreist und über seine Peripherien weit hinaus in unverhoffte Bahnen
schlendert. Also geschieht es nach einem tief verhüllten Gesetze der Vernunft und
nach dem ewigen Maße der Weltharmonie." -- In der mystischen Halle des Erd-
nabcls imvvmrt Pythia mit ihren dunkeln Sprüchen; ans dem Markt des Lebens
klingen ihre schlechten Hexameter abgeschmackt.




Die croatifch-ungarische Frage.



Vor den Märztagen war Ungarn das einzige Land von Oestreich, wo der
Monarch mit dem Volke die Majestät theilte, wo nicht nnr der König, sondern
auch das Volk seine Reichskleinode besaß. Damals gab es einen prinzipiel¬
len Unterschied zwischen ungarischen und nicht ungarischen Kronländer -- es war
der Unterschied der constitutionellen Freiheit und des Absolutismus. In den März¬
tagen, wo die feurigen Zeichen der Zeit vor allen Thronen erglänzten, erhoben
sich auch die übrigen Völker Oestreichs und setzten es durch, das die Freiheit in


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gleich sie ihn kennen mußte, und anch dieser Fehler wird dnrch den träumerischen
Anstrich der Zeitumstände entschuldigt. Es waltet ein böser Stern über Polens
Geschick. —

Eine andere Broschüre, die uns vorliegt (die Idee des Polenthums.
Zwei Bücher polnischer Leidensgeschichten von Dr. Ferdinand Gregorovius.
Königsberg. Sander) athmet diesen träumerisch romantischen Geist, der fast alle
Welt befängt, wenn von Polen die Rede ist. In diesem Polen liegt etwas My¬
thisch-Symbolisches; die Romantik der Natioualitäts-Doctrin, die man den deutschen
Burschenschafter nicht ganz mit Recht vorwirft, weil sie doch immer etwas Reelles
hatten, kommt in diesem Schatten, der ewig seinen Körper sucht, vollständig zur
Erscheinung. Herr Gregorovius gehört nicht zu den nichtsnutzigen Subjecten,
welche die polnische Frage nnr ausbeuten, um der Negierung Schwierigkeit in den
Weg zu legen; aber er hat zur Lösung derselben nichts als lyrische Ergüsse. Die
Poeten haben nun Polen genng angesungen, und die Sache liegt so prosaisch als
möglich vor Aller Augen. Es ist herzlos, einem an sich edlen Bestreben jede
Theilnahme zu versagen, aber bei dieser oberflächlichen Sympathie stehen zu blei¬
ben und beständig trauernde Juden an den Wassern von Babel zu malen, mit
Dnsseldvrfisch zierlichem Pinsel, das nutzt sich mit der Zeit gleichfalls ab. Wo
der praktische Verstand alle seine Kräfte zusammen nehmen muß, um nicht sich
selber zu verlieren, da sind dunkle Prophetensprüche nicht am Orte, wie der Schluß
jenes Buches: „Wir ringen in kleinen Kreisen, bis die Weltgeschichte das Be¬
stehende angreist und über seine Peripherien weit hinaus in unverhoffte Bahnen
schlendert. Also geschieht es nach einem tief verhüllten Gesetze der Vernunft und
nach dem ewigen Maße der Weltharmonie." — In der mystischen Halle des Erd-
nabcls imvvmrt Pythia mit ihren dunkeln Sprüchen; ans dem Markt des Lebens
klingen ihre schlechten Hexameter abgeschmackt.




Die croatifch-ungarische Frage.



Vor den Märztagen war Ungarn das einzige Land von Oestreich, wo der
Monarch mit dem Volke die Majestät theilte, wo nicht nnr der König, sondern
auch das Volk seine Reichskleinode besaß. Damals gab es einen prinzipiel¬
len Unterschied zwischen ungarischen und nicht ungarischen Kronländer — es war
der Unterschied der constitutionellen Freiheit und des Absolutismus. In den März¬
tagen, wo die feurigen Zeichen der Zeit vor allen Thronen erglänzten, erhoben
sich auch die übrigen Völker Oestreichs und setzten es durch, das die Freiheit in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/535>, abgerufen am 29.06.2024.