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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Dieses Ausrufs sollten wir uns alle Tage erinnern, wenn wir uns in den
Zeitungen oder in den Clubs soviel politische Begeisterung holen, als wir zur
Verdauung bedürfen. Die Charlatanerie hat mehr Verwirrung in unseren Ver¬
hältnissen angerichtet, als der böse Wille. Nirgend ist das so augenscheinlich, als
in der polnischen Angelegenheit. Mit Wünschen, allgemeinen politischen Idealen
und persönlichen Sympathien glaubte man eine der am meisten verwickelten Fragen
unserer Politik abzumachen, und maß vorschnell dem bösen Willen bei, was zum
großen Theil in den Umständen lag. Die Abstraction hat es einfacher als das
Leben, sie kostet nichts und gibt eine gute Folie.

Die preußische Regierung hat in den Märztagen in Posen wie in Schleswig-
Holstein Fehler gemacht. Es lag in der Natur der Sache, deun sie handelte in
halbem Taumel. Wenn an dem eignen Schiff die Flamme leckt, hat man in der
Hitze des Augenblicks nicht Muße, die Lage der übrigen gehörig zu unterscheiden.

Der Major v. Voigts-Rhets vom preußischen Generalstabe hat eine akten¬
mäßige Darstellung der letzten polnischen Schilderhebnng geliefert, und darin vom
Standpunkt eines nüchternen Praktikers aus eine Kritik der Ereignisse zu liefern
versucht. Geueral Willisen hat ihm in einem offnen Briefe entgegnet, und ihn
dadurch zu einer Antwort veranlaßt, die so eben, als Manuscript gedruckt, er¬
schienen ist. Sie ist in dem Stil der militärischen Courtoisie geschrieben, der
einem höhern Ofstcier gegenüber angemessen ist, und geht so schonend als möglich
auf die Persönlichkeit des Gegners ein, verfehlt dabei aber nicht, eine Reihe von
Vorwürfen gegen denselben festzustellen. Diese Vorwürfe sind folgende:

General Willisen ist seinem Auftrag, die Reorganisation Posens zu leiten,
nicht mit der Schnelligkeit nachgekommen, welche die Umstände erforderten. Er
hat gleich bei seiner Ankunft durch enges Zusammenhalten mit der polnischen Par¬
tei und durch etwas leichtfertige Abfertigung der Deutschen den Letztern gerechtes
Mißtrauen eingeflößt, um so mehr, da es von früher her bekannt war, sein Ideal
sei die Wiederherstellung Polens. Er hat dnrch den Abschluß der Convention von
Jaroölawiec der gute" Sache geschadet, da der Zusammenstoß der feindlichen Kräfte,
welcher durch dieselbe verzögert wurde, aber nimmermehr hätte verhindert werden
können, als er später dennoch erfolgte, erschütternder und blutiger wurde, weil
die Polen, die früher nur über ungeregelte Haufen geboten, jetzt eine organisirte
Truppe entgegenstellen konnten. Er hat durch eben diese Convention die Grenzen
seiner Befugniß überschritten; er hat sich selber in eine schiefe Stellung zu den
Behörden gebracht, und sich endlich durch die feindseligen Demonstrationen der
Deutschen verleiten lassen, die freie und unbefangene Stellung über den Parteien
aufzugeben.

Wir halten alle diese Vorwürfe für begründet, wollen sie aber dem General
nicht zur Last legen. Er hat gehandelt, wie es bei. seinen Ansichten nicht anders
zu erwarten war; der Fehler fällt der Negierung zur Last, die ihn wählte, ob-


Dieses Ausrufs sollten wir uns alle Tage erinnern, wenn wir uns in den
Zeitungen oder in den Clubs soviel politische Begeisterung holen, als wir zur
Verdauung bedürfen. Die Charlatanerie hat mehr Verwirrung in unseren Ver¬
hältnissen angerichtet, als der böse Wille. Nirgend ist das so augenscheinlich, als
in der polnischen Angelegenheit. Mit Wünschen, allgemeinen politischen Idealen
und persönlichen Sympathien glaubte man eine der am meisten verwickelten Fragen
unserer Politik abzumachen, und maß vorschnell dem bösen Willen bei, was zum
großen Theil in den Umständen lag. Die Abstraction hat es einfacher als das
Leben, sie kostet nichts und gibt eine gute Folie.

Die preußische Regierung hat in den Märztagen in Posen wie in Schleswig-
Holstein Fehler gemacht. Es lag in der Natur der Sache, deun sie handelte in
halbem Taumel. Wenn an dem eignen Schiff die Flamme leckt, hat man in der
Hitze des Augenblicks nicht Muße, die Lage der übrigen gehörig zu unterscheiden.

Der Major v. Voigts-Rhets vom preußischen Generalstabe hat eine akten¬
mäßige Darstellung der letzten polnischen Schilderhebnng geliefert, und darin vom
Standpunkt eines nüchternen Praktikers aus eine Kritik der Ereignisse zu liefern
versucht. Geueral Willisen hat ihm in einem offnen Briefe entgegnet, und ihn
dadurch zu einer Antwort veranlaßt, die so eben, als Manuscript gedruckt, er¬
schienen ist. Sie ist in dem Stil der militärischen Courtoisie geschrieben, der
einem höhern Ofstcier gegenüber angemessen ist, und geht so schonend als möglich
auf die Persönlichkeit des Gegners ein, verfehlt dabei aber nicht, eine Reihe von
Vorwürfen gegen denselben festzustellen. Diese Vorwürfe sind folgende:

General Willisen ist seinem Auftrag, die Reorganisation Posens zu leiten,
nicht mit der Schnelligkeit nachgekommen, welche die Umstände erforderten. Er
hat gleich bei seiner Ankunft durch enges Zusammenhalten mit der polnischen Par¬
tei und durch etwas leichtfertige Abfertigung der Deutschen den Letztern gerechtes
Mißtrauen eingeflößt, um so mehr, da es von früher her bekannt war, sein Ideal
sei die Wiederherstellung Polens. Er hat dnrch den Abschluß der Convention von
Jaroölawiec der gute» Sache geschadet, da der Zusammenstoß der feindlichen Kräfte,
welcher durch dieselbe verzögert wurde, aber nimmermehr hätte verhindert werden
können, als er später dennoch erfolgte, erschütternder und blutiger wurde, weil
die Polen, die früher nur über ungeregelte Haufen geboten, jetzt eine organisirte
Truppe entgegenstellen konnten. Er hat durch eben diese Convention die Grenzen
seiner Befugniß überschritten; er hat sich selber in eine schiefe Stellung zu den
Behörden gebracht, und sich endlich durch die feindseligen Demonstrationen der
Deutschen verleiten lassen, die freie und unbefangene Stellung über den Parteien
aufzugeben.

Wir halten alle diese Vorwürfe für begründet, wollen sie aber dem General
nicht zur Last legen. Er hat gehandelt, wie es bei. seinen Ansichten nicht anders
zu erwarten war; der Fehler fällt der Negierung zur Last, die ihn wählte, ob-


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[0534] Dieses Ausrufs sollten wir uns alle Tage erinnern, wenn wir uns in den Zeitungen oder in den Clubs soviel politische Begeisterung holen, als wir zur Verdauung bedürfen. Die Charlatanerie hat mehr Verwirrung in unseren Ver¬ hältnissen angerichtet, als der böse Wille. Nirgend ist das so augenscheinlich, als in der polnischen Angelegenheit. Mit Wünschen, allgemeinen politischen Idealen und persönlichen Sympathien glaubte man eine der am meisten verwickelten Fragen unserer Politik abzumachen, und maß vorschnell dem bösen Willen bei, was zum großen Theil in den Umständen lag. Die Abstraction hat es einfacher als das Leben, sie kostet nichts und gibt eine gute Folie. Die preußische Regierung hat in den Märztagen in Posen wie in Schleswig- Holstein Fehler gemacht. Es lag in der Natur der Sache, deun sie handelte in halbem Taumel. Wenn an dem eignen Schiff die Flamme leckt, hat man in der Hitze des Augenblicks nicht Muße, die Lage der übrigen gehörig zu unterscheiden. Der Major v. Voigts-Rhets vom preußischen Generalstabe hat eine akten¬ mäßige Darstellung der letzten polnischen Schilderhebnng geliefert, und darin vom Standpunkt eines nüchternen Praktikers aus eine Kritik der Ereignisse zu liefern versucht. Geueral Willisen hat ihm in einem offnen Briefe entgegnet, und ihn dadurch zu einer Antwort veranlaßt, die so eben, als Manuscript gedruckt, er¬ schienen ist. Sie ist in dem Stil der militärischen Courtoisie geschrieben, der einem höhern Ofstcier gegenüber angemessen ist, und geht so schonend als möglich auf die Persönlichkeit des Gegners ein, verfehlt dabei aber nicht, eine Reihe von Vorwürfen gegen denselben festzustellen. Diese Vorwürfe sind folgende: General Willisen ist seinem Auftrag, die Reorganisation Posens zu leiten, nicht mit der Schnelligkeit nachgekommen, welche die Umstände erforderten. Er hat gleich bei seiner Ankunft durch enges Zusammenhalten mit der polnischen Par¬ tei und durch etwas leichtfertige Abfertigung der Deutschen den Letztern gerechtes Mißtrauen eingeflößt, um so mehr, da es von früher her bekannt war, sein Ideal sei die Wiederherstellung Polens. Er hat dnrch den Abschluß der Convention von Jaroölawiec der gute» Sache geschadet, da der Zusammenstoß der feindlichen Kräfte, welcher durch dieselbe verzögert wurde, aber nimmermehr hätte verhindert werden können, als er später dennoch erfolgte, erschütternder und blutiger wurde, weil die Polen, die früher nur über ungeregelte Haufen geboten, jetzt eine organisirte Truppe entgegenstellen konnten. Er hat durch eben diese Convention die Grenzen seiner Befugniß überschritten; er hat sich selber in eine schiefe Stellung zu den Behörden gebracht, und sich endlich durch die feindseligen Demonstrationen der Deutschen verleiten lassen, die freie und unbefangene Stellung über den Parteien aufzugeben. Wir halten alle diese Vorwürfe für begründet, wollen sie aber dem General nicht zur Last legen. Er hat gehandelt, wie es bei. seinen Ansichten nicht anders zu erwarten war; der Fehler fällt der Negierung zur Last, die ihn wählte, ob-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/534>, abgerufen am 28.09.2024.