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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Weltmacht zu erheben, aber vergeblich; im welthistorischen Sinne dasselbe,' was
die streitbaren Schwedcnkönige, Gustav Adolf, Carl X. und Carl X!I. nicht zu
vollbringen vermocht hatten, vollzog jetzt Preußen, aber auf eine andere Weise.
Jene würden den religiösen Begriff mit Strenge festgehalten haben; das Empor¬
kommen von Preußen, wie es in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erschien,
beruht darauf, daß das nicht geschah. Hier riß sich die Idee des Staates von
ihrer Verbindung mitOdem positiven Bekenntniß zum ersten Male los. Der Be¬
griff deö protestantischen Neichsfürstenthums mit dem Rechte der kirchlichen Refor¬
mation setzte sich in den des Staates um, der vor allen Dingen hierauf Verzicht
leistete. Um sich vor dem Uebergewicht anderer Weltelemente zu schützen, oder ihr
Recht gegen sie zu behaupten, mußte die protestantische Welt diese Umwandlung
vornehmen.

Was in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts eine Neuerung schien,
war nach zwanzig bis dreißig Jahren der allgemeine Sinn von Europa. Daß
Friedrich mit der geistigen Bewegung der Zeit verbündet war, machte ihn groß in
ihren Augen und förderte seine Unternehmungen. Er richtete einen Staat auf,
in welchem der Druck, der noch an vielen Stellen nicht vermieden werden konnte,
durch die Erwägung der Nothwendigkeit gemildert wurde, der Gehorsam ein Be¬
wußtsein von Freiheit nicht ausschloß. Da der Fürst sich den Bedingungen des
Bestehens vollkommen unterwarf, so that es auch ein jeder Andre ohne Beschämung.

Die Generation, welche Friedrich in dieser Zeit umgab, war eine der geistes¬
mächtigsten, die Norddeutschland jemals ans. seinem Schooße hervorgebracht hat.
Wie Vielleicht die besten Generale der Welt, Mummies, der Marschall von Sachsen,
der alte Dessau er und so viele andere Gefährten des Königs norddeutsche, so
waren es die, auf denen die Regeneration der deutschen Philosophie und Poesie,
die zinn ersten Mal hervorgehende Kritik und Alterthumskunde beruhte. Wie
Friedrich die Disciplin der Römer in seinem Heer wiederherstellte, so wetteiferte
der deutsche Geist in seiner eigenen Sprache in allen Zweigen der Literatur mit
dem Alterthum; eine gestnnnngsvolle, in ernster Arbeit emporstrebende Zeitgcnossen-
schast; Geister der verschiedensten Richtungen, weder unter einander einverstanden,
noch zu diesem Werke herbeigezogen, aber im hohem Sinne zusammenwirkend.

Im deutschen Reiche war es nun dahin gekommen, daß das Kaiserthum in
dem Kerne seines politischen Daseins mehr als je Territorialfürstenthum geworden
war: das Terntorialfürstenthnm dagegen war beinahe zum Kaiserthum entwickelt.
In Brandenburg-Preußen ward,weder in legislativer noch religiöser Beziehung,
weder in Gericht noch Verwaltung aus etwas anderes als das innere Bedürfniß
Rücksicht genommen. Deu Anspruch, darauf rechtfertigte es durch die Unabhängig¬
keit nach außen, die es behauptete. Selbst Oestreich arbeitete erst, sich dem ma߬
gebenden Uebergewicht der Seemächte zu entziehen; Sachsen hing von Nußland
ab; die Verbindung unt England knüpfte Hannover an die Politik dieses Landes.


Weltmacht zu erheben, aber vergeblich; im welthistorischen Sinne dasselbe,' was
die streitbaren Schwedcnkönige, Gustav Adolf, Carl X. und Carl X!I. nicht zu
vollbringen vermocht hatten, vollzog jetzt Preußen, aber auf eine andere Weise.
Jene würden den religiösen Begriff mit Strenge festgehalten haben; das Empor¬
kommen von Preußen, wie es in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erschien,
beruht darauf, daß das nicht geschah. Hier riß sich die Idee des Staates von
ihrer Verbindung mitOdem positiven Bekenntniß zum ersten Male los. Der Be¬
griff deö protestantischen Neichsfürstenthums mit dem Rechte der kirchlichen Refor¬
mation setzte sich in den des Staates um, der vor allen Dingen hierauf Verzicht
leistete. Um sich vor dem Uebergewicht anderer Weltelemente zu schützen, oder ihr
Recht gegen sie zu behaupten, mußte die protestantische Welt diese Umwandlung
vornehmen.

Was in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts eine Neuerung schien,
war nach zwanzig bis dreißig Jahren der allgemeine Sinn von Europa. Daß
Friedrich mit der geistigen Bewegung der Zeit verbündet war, machte ihn groß in
ihren Augen und förderte seine Unternehmungen. Er richtete einen Staat auf,
in welchem der Druck, der noch an vielen Stellen nicht vermieden werden konnte,
durch die Erwägung der Nothwendigkeit gemildert wurde, der Gehorsam ein Be¬
wußtsein von Freiheit nicht ausschloß. Da der Fürst sich den Bedingungen des
Bestehens vollkommen unterwarf, so that es auch ein jeder Andre ohne Beschämung.

Die Generation, welche Friedrich in dieser Zeit umgab, war eine der geistes¬
mächtigsten, die Norddeutschland jemals ans. seinem Schooße hervorgebracht hat.
Wie Vielleicht die besten Generale der Welt, Mummies, der Marschall von Sachsen,
der alte Dessau er und so viele andere Gefährten des Königs norddeutsche, so
waren es die, auf denen die Regeneration der deutschen Philosophie und Poesie,
die zinn ersten Mal hervorgehende Kritik und Alterthumskunde beruhte. Wie
Friedrich die Disciplin der Römer in seinem Heer wiederherstellte, so wetteiferte
der deutsche Geist in seiner eigenen Sprache in allen Zweigen der Literatur mit
dem Alterthum; eine gestnnnngsvolle, in ernster Arbeit emporstrebende Zeitgcnossen-
schast; Geister der verschiedensten Richtungen, weder unter einander einverstanden,
noch zu diesem Werke herbeigezogen, aber im hohem Sinne zusammenwirkend.

Im deutschen Reiche war es nun dahin gekommen, daß das Kaiserthum in
dem Kerne seines politischen Daseins mehr als je Territorialfürstenthum geworden
war: das Terntorialfürstenthnm dagegen war beinahe zum Kaiserthum entwickelt.
In Brandenburg-Preußen ward,weder in legislativer noch religiöser Beziehung,
weder in Gericht noch Verwaltung aus etwas anderes als das innere Bedürfniß
Rücksicht genommen. Deu Anspruch, darauf rechtfertigte es durch die Unabhängig¬
keit nach außen, die es behauptete. Selbst Oestreich arbeitete erst, sich dem ma߬
gebenden Uebergewicht der Seemächte zu entziehen; Sachsen hing von Nußland
ab; die Verbindung unt England knüpfte Hannover an die Politik dieses Landes.


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[0523] Weltmacht zu erheben, aber vergeblich; im welthistorischen Sinne dasselbe,' was die streitbaren Schwedcnkönige, Gustav Adolf, Carl X. und Carl X!I. nicht zu vollbringen vermocht hatten, vollzog jetzt Preußen, aber auf eine andere Weise. Jene würden den religiösen Begriff mit Strenge festgehalten haben; das Empor¬ kommen von Preußen, wie es in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erschien, beruht darauf, daß das nicht geschah. Hier riß sich die Idee des Staates von ihrer Verbindung mitOdem positiven Bekenntniß zum ersten Male los. Der Be¬ griff deö protestantischen Neichsfürstenthums mit dem Rechte der kirchlichen Refor¬ mation setzte sich in den des Staates um, der vor allen Dingen hierauf Verzicht leistete. Um sich vor dem Uebergewicht anderer Weltelemente zu schützen, oder ihr Recht gegen sie zu behaupten, mußte die protestantische Welt diese Umwandlung vornehmen. Was in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts eine Neuerung schien, war nach zwanzig bis dreißig Jahren der allgemeine Sinn von Europa. Daß Friedrich mit der geistigen Bewegung der Zeit verbündet war, machte ihn groß in ihren Augen und förderte seine Unternehmungen. Er richtete einen Staat auf, in welchem der Druck, der noch an vielen Stellen nicht vermieden werden konnte, durch die Erwägung der Nothwendigkeit gemildert wurde, der Gehorsam ein Be¬ wußtsein von Freiheit nicht ausschloß. Da der Fürst sich den Bedingungen des Bestehens vollkommen unterwarf, so that es auch ein jeder Andre ohne Beschämung. Die Generation, welche Friedrich in dieser Zeit umgab, war eine der geistes¬ mächtigsten, die Norddeutschland jemals ans. seinem Schooße hervorgebracht hat. Wie Vielleicht die besten Generale der Welt, Mummies, der Marschall von Sachsen, der alte Dessau er und so viele andere Gefährten des Königs norddeutsche, so waren es die, auf denen die Regeneration der deutschen Philosophie und Poesie, die zinn ersten Mal hervorgehende Kritik und Alterthumskunde beruhte. Wie Friedrich die Disciplin der Römer in seinem Heer wiederherstellte, so wetteiferte der deutsche Geist in seiner eigenen Sprache in allen Zweigen der Literatur mit dem Alterthum; eine gestnnnngsvolle, in ernster Arbeit emporstrebende Zeitgcnossen- schast; Geister der verschiedensten Richtungen, weder unter einander einverstanden, noch zu diesem Werke herbeigezogen, aber im hohem Sinne zusammenwirkend. Im deutschen Reiche war es nun dahin gekommen, daß das Kaiserthum in dem Kerne seines politischen Daseins mehr als je Territorialfürstenthum geworden war: das Terntorialfürstenthnm dagegen war beinahe zum Kaiserthum entwickelt. In Brandenburg-Preußen ward,weder in legislativer noch religiöser Beziehung, weder in Gericht noch Verwaltung aus etwas anderes als das innere Bedürfniß Rücksicht genommen. Deu Anspruch, darauf rechtfertigte es durch die Unabhängig¬ keit nach außen, die es behauptete. Selbst Oestreich arbeitete erst, sich dem ma߬ gebenden Uebergewicht der Seemächte zu entziehen; Sachsen hing von Nußland ab; die Verbindung unt England knüpfte Hannover an die Politik dieses Landes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/523>, abgerufen am 28.09.2024.