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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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wir hielten es für besser, von Unten anzufangen, erst Preußen nach der Idee der
Demokratie zu reorganisiren, um dann, wenn alle einzelnen deutschen Staaten
gleich frei wären, sie zu einem Bruderbunde zu vereinigen. Die Geschichte hat
es anders gemacht. Niemand, kann größere Ehrfurcht haben als ich vor dem
Geiste der deutschen Nation, wie er sich in ihrem ersten Reichstag ausspricht; aber
man kann auch nicht leugnen, daß trotz dieses schönen Anfangs vorläufig der
deutsche Staat noch immer erst in der Idee besteht, daß man nicht einmal über
seine Grenzen eine feste Vorstellung hat. So lange wäre es wohl bedenklich,
wenn Preußen die Hände in den Schooß legte, in der Erwartung, daß übers
Jahr Einer kommen würde, seine Rolle besser zu spielen. Der zweite Grund ist
wesentlicher. In ganz Süddentschland ergossen sich die unsinnigsten Schmähungen
über Preußen, noch dazu in einer Zeit, wo wir doch das Unsrige auch für die
Freiheit gethan zu haben glaubten -- nach dem 19. März. Wenn ich Süddentsch¬
land sage, so nehme ich Oestreich aus; zwischen Oestreich und Preußen besteht
zwar die natürliche Rivalität, die in der ganzen Geschichte begründet ist, aber der
Oestreicher weiß, daß er einem großen Staatsleben angehört, und sein Gefühl
gegen Preußen hat nichts kleinliches. Man darf aber nur ein beliebiges Blatt
z, B. der Mainzer Zeitung aufschlagen, um zu begreife", daß uus endlich die
Geduld reißen mußte. Wir wiesen diesen Prenßensressern die Zähne: waren wir
darum undeutsch? Ich erinnere an ein bekanntes Beispiel. Als Arnold Rüge in
den deutsch-französischen Jahrbüchern, in denen er die Ideen des Humanismus
vertreten wollte, den deutschen Namen mit dem Prädicat "niederträchtig" in Ver¬
bindung setzte, erhoben sich von Seiten der Deutschen die lebhaftesten Reclamationen.
Wollte man damit die Principien des Humanismus verleugnen, wenn man sich
jenen Ausdruck verbat? Rüge faßte es freilich so auf, aber er hatte ebenso un¬
recht, als die Süddeutsche", die es für eine undeutsche Gesinnung ausgeben, wenn
man persönliche Injurien gegen Preußen zurückweist. --

Ich habe diese Bemerkungen an Ranke's neuestes Werk, das nun vollendet
vor uns liegt, angeknüpft, weil jede historische Schrift, die ein Leben in der Li¬
teratur haben soll, eine bestimmte Beziehung auf die Zeit haben muß, der es
angehört. Die Idee von dem welthistorischen Beruf des preußischen Staates ist
diese leitende Idee. Ranke schildert das Unwesen der Politik im 18. Jahrhun¬
dert. ""Unter diesen Umständen," setzt er hinzu, "muß es als ein Glück ange¬
sehen werden, daß es wenigstens Einen Staat gab, der wenn gleich einseitig doch
eine eigne Sache verfocht, über unvergleichliche Streitkräfte gebot, und nnr von
sich selber Rath nahm. Denn wie unentbehrlich auch die geordneten Formen einer
allgemeinen Verfassung für eine große Nation sind, so beruht doch ihr Heil noch
mehr auf dem lebendigen und kraftvolle" Geiste, der die Mittel der Macht zu fin¬
den und glücklich zu gebrauchen versteht." Und dann am Schluß: "Der conti-
nentale Protestantismus hatte einen Versuch gemacht, sich tu Schweden zu einer


wir hielten es für besser, von Unten anzufangen, erst Preußen nach der Idee der
Demokratie zu reorganisiren, um dann, wenn alle einzelnen deutschen Staaten
gleich frei wären, sie zu einem Bruderbunde zu vereinigen. Die Geschichte hat
es anders gemacht. Niemand, kann größere Ehrfurcht haben als ich vor dem
Geiste der deutschen Nation, wie er sich in ihrem ersten Reichstag ausspricht; aber
man kann auch nicht leugnen, daß trotz dieses schönen Anfangs vorläufig der
deutsche Staat noch immer erst in der Idee besteht, daß man nicht einmal über
seine Grenzen eine feste Vorstellung hat. So lange wäre es wohl bedenklich,
wenn Preußen die Hände in den Schooß legte, in der Erwartung, daß übers
Jahr Einer kommen würde, seine Rolle besser zu spielen. Der zweite Grund ist
wesentlicher. In ganz Süddentschland ergossen sich die unsinnigsten Schmähungen
über Preußen, noch dazu in einer Zeit, wo wir doch das Unsrige auch für die
Freiheit gethan zu haben glaubten — nach dem 19. März. Wenn ich Süddentsch¬
land sage, so nehme ich Oestreich aus; zwischen Oestreich und Preußen besteht
zwar die natürliche Rivalität, die in der ganzen Geschichte begründet ist, aber der
Oestreicher weiß, daß er einem großen Staatsleben angehört, und sein Gefühl
gegen Preußen hat nichts kleinliches. Man darf aber nur ein beliebiges Blatt
z, B. der Mainzer Zeitung aufschlagen, um zu begreife», daß uus endlich die
Geduld reißen mußte. Wir wiesen diesen Prenßensressern die Zähne: waren wir
darum undeutsch? Ich erinnere an ein bekanntes Beispiel. Als Arnold Rüge in
den deutsch-französischen Jahrbüchern, in denen er die Ideen des Humanismus
vertreten wollte, den deutschen Namen mit dem Prädicat „niederträchtig" in Ver¬
bindung setzte, erhoben sich von Seiten der Deutschen die lebhaftesten Reclamationen.
Wollte man damit die Principien des Humanismus verleugnen, wenn man sich
jenen Ausdruck verbat? Rüge faßte es freilich so auf, aber er hatte ebenso un¬
recht, als die Süddeutsche», die es für eine undeutsche Gesinnung ausgeben, wenn
man persönliche Injurien gegen Preußen zurückweist. —

Ich habe diese Bemerkungen an Ranke's neuestes Werk, das nun vollendet
vor uns liegt, angeknüpft, weil jede historische Schrift, die ein Leben in der Li¬
teratur haben soll, eine bestimmte Beziehung auf die Zeit haben muß, der es
angehört. Die Idee von dem welthistorischen Beruf des preußischen Staates ist
diese leitende Idee. Ranke schildert das Unwesen der Politik im 18. Jahrhun¬
dert. «„Unter diesen Umständen," setzt er hinzu, „muß es als ein Glück ange¬
sehen werden, daß es wenigstens Einen Staat gab, der wenn gleich einseitig doch
eine eigne Sache verfocht, über unvergleichliche Streitkräfte gebot, und nnr von
sich selber Rath nahm. Denn wie unentbehrlich auch die geordneten Formen einer
allgemeinen Verfassung für eine große Nation sind, so beruht doch ihr Heil noch
mehr auf dem lebendigen und kraftvolle» Geiste, der die Mittel der Macht zu fin¬
den und glücklich zu gebrauchen versteht." Und dann am Schluß: „Der conti-
nentale Protestantismus hatte einen Versuch gemacht, sich tu Schweden zu einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/522>, abgerufen am 28.09.2024.