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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Sprache und Gewohnheit deutsch, aber es weiß nichts mehr von der deutschen
Geschichte und die großen, erhebenden Abschnitte derselben sind ans seiner Erin¬
nerung verschwunden. Es weiß nichts von dem in die Sage verflochtenen Kaiser
Rothbart und der symbolischen Bedeutung dieser Gestalt für die Aufrechthaltung
des deutschen Reichs. Aber gehen Sie einmal hin an einem Winterabende in die
kleinste Strohhütte, wo der Großvater beim spärlichen Lichte des Kienspahnes den
Seinen erzählt von der preußischen Geschichte, da werden Sie sehen, wie den Jungen
das Auge leuchtet und das Herz aufgeht, wenn er von dem großen Manne erzählt, der
als eine hellleuchtende Gestalt dasteht in jener Periode der tiefsten Erniedrigung und
Schmach Deutschlands, von jenem großen Kurfürsten, der zum ersten Mal die Augen der
ganzen Welt auf Preußen lenkte; wenn er ihnen erzählt von dem alten Fritz, der
die Erde erfüllte mit dem Ruhm des preußischen Volks. Da werden Sie finden,
wie innig man dort die Erinnerungen der particulären, aber ohne Gleichen großen
Geschichte Preußens festhält. Und glauben Sie nicht, daß solche Erinnerungen
so auf einmal vergessen werdet können. Und ich gestehe es offen ein, wer die¬
sen Particularismus ganz und gar aus seinem Herzen zu reißen vermag, von
dem hege ich deswegen nicht eine bessere Meinung. -- Noch Niemand in Preußen,
auch der Geringste nicht, hat es vergessen , daß Preußen, als es noch viel kleiner
war, ganz allein einer Welt in Waffen siegreich gegenüberzustehen vermochte. Und
können Sie sich wundern, daß es sich eine gleiche Kraft noch heute zutraut?
Wollen Sie daher dem preußischen Volke verdenken, wenn es sich noch nicht so¬
gleich darein finden kann, einen Theil dieses Bewußtseins, dieser Selbstständigkeit
aufzugeben! Glauben Sie nicht, daß ich diese Gesinnung, wo sie zur Eitelkeit,
zum Eigensinn wird, vertheidigen will. Aber ich bitte Sie, haben Sie, wenn es
zu weit geht, Nachsicht mit einem Volke,, welches nicht so schnell zu dem neuen
Gedanken der Nichtselbstständigkeit überzugehen vermag. -- Preußen w?rd nichts
thun, wenn Sie es zurückstoßen, als mit Schmerz so lange sich zurückziehen und
allein stehen, bis Sie es wieder werden haben wollen; aber Sie können es glau¬
ben, daß, wenn irgend ein Feind von Außen es wagen sollte, Deutschland anzu¬
tasten, Preußen zuerst das Schwert aus der Scheide reißen wird."

Der Freiherr v. Vincke sagte in derselben Frage: "Ich will vorausschicken,
daß man Preußen mehrfach in diesem Hause aus eine verletzende Weise angegriffen
hat. Wir haben das, mit Ausnahme eines einzigen Falles, wo auch uns endlich
die Geduld ausging, mit Ruhe und Geduld angehört. Sie werden mir aber
gewiß das Zeugniß nicht versagen, daß es Keinem von uns jemals eingefallen
ist, in irgend einer Weise Oestreich oder einen Theil der übrigen deutschen Staa¬
ten anzugreifen. -- -- Man hat hier mit Recht gesagt, daß wir Preußen sehr
Vieles, was wir für Deutschland in den Grundrechten erst erlangen wollen, be¬
reits besitzen. Ich will die Sache einmal scharf scheiden: die Rechte für den
denkenden und handelnden, für den gebildeten Theil des Vol-


Sprache und Gewohnheit deutsch, aber es weiß nichts mehr von der deutschen
Geschichte und die großen, erhebenden Abschnitte derselben sind ans seiner Erin¬
nerung verschwunden. Es weiß nichts von dem in die Sage verflochtenen Kaiser
Rothbart und der symbolischen Bedeutung dieser Gestalt für die Aufrechthaltung
des deutschen Reichs. Aber gehen Sie einmal hin an einem Winterabende in die
kleinste Strohhütte, wo der Großvater beim spärlichen Lichte des Kienspahnes den
Seinen erzählt von der preußischen Geschichte, da werden Sie sehen, wie den Jungen
das Auge leuchtet und das Herz aufgeht, wenn er von dem großen Manne erzählt, der
als eine hellleuchtende Gestalt dasteht in jener Periode der tiefsten Erniedrigung und
Schmach Deutschlands, von jenem großen Kurfürsten, der zum ersten Mal die Augen der
ganzen Welt auf Preußen lenkte; wenn er ihnen erzählt von dem alten Fritz, der
die Erde erfüllte mit dem Ruhm des preußischen Volks. Da werden Sie finden,
wie innig man dort die Erinnerungen der particulären, aber ohne Gleichen großen
Geschichte Preußens festhält. Und glauben Sie nicht, daß solche Erinnerungen
so auf einmal vergessen werdet können. Und ich gestehe es offen ein, wer die¬
sen Particularismus ganz und gar aus seinem Herzen zu reißen vermag, von
dem hege ich deswegen nicht eine bessere Meinung. — Noch Niemand in Preußen,
auch der Geringste nicht, hat es vergessen , daß Preußen, als es noch viel kleiner
war, ganz allein einer Welt in Waffen siegreich gegenüberzustehen vermochte. Und
können Sie sich wundern, daß es sich eine gleiche Kraft noch heute zutraut?
Wollen Sie daher dem preußischen Volke verdenken, wenn es sich noch nicht so¬
gleich darein finden kann, einen Theil dieses Bewußtseins, dieser Selbstständigkeit
aufzugeben! Glauben Sie nicht, daß ich diese Gesinnung, wo sie zur Eitelkeit,
zum Eigensinn wird, vertheidigen will. Aber ich bitte Sie, haben Sie, wenn es
zu weit geht, Nachsicht mit einem Volke,, welches nicht so schnell zu dem neuen
Gedanken der Nichtselbstständigkeit überzugehen vermag. — Preußen w?rd nichts
thun, wenn Sie es zurückstoßen, als mit Schmerz so lange sich zurückziehen und
allein stehen, bis Sie es wieder werden haben wollen; aber Sie können es glau¬
ben, daß, wenn irgend ein Feind von Außen es wagen sollte, Deutschland anzu¬
tasten, Preußen zuerst das Schwert aus der Scheide reißen wird."

Der Freiherr v. Vincke sagte in derselben Frage: „Ich will vorausschicken,
daß man Preußen mehrfach in diesem Hause aus eine verletzende Weise angegriffen
hat. Wir haben das, mit Ausnahme eines einzigen Falles, wo auch uns endlich
die Geduld ausging, mit Ruhe und Geduld angehört. Sie werden mir aber
gewiß das Zeugniß nicht versagen, daß es Keinem von uns jemals eingefallen
ist, in irgend einer Weise Oestreich oder einen Theil der übrigen deutschen Staa¬
ten anzugreifen. — — Man hat hier mit Recht gesagt, daß wir Preußen sehr
Vieles, was wir für Deutschland in den Grundrechten erst erlangen wollen, be¬
reits besitzen. Ich will die Sache einmal scharf scheiden: die Rechte für den
denkenden und handelnden, für den gebildeten Theil des Vol-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/520>, abgerufen am 29.06.2024.