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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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wo man es am wenigsten vermuthet hat, aufgetaucht ist. Ich meine die Berliner
Constituante. In Preußen war neben viel verdrehten Einrichtungen eine treffliche
Grundlage, auf die nur die höchste Spitze hinzugefügt werden mußte. Statt dessen
hat die Versammlung in dem Dünkel ihres constituirenden Berufs das Beste¬
hende ignorirt und ihre Thätigkeit ziemlich auf die Negative eingeschränkt, d. h.
sie hat den jedesmaligen Regierungen so viel Schwierigkeiten in den Weg gelegt,
daß sie dieselben eigentlich, wenigstens für den Augenblick, unmöglich machte.
Von der östreichischen Versammlung rede ich uicht, ihre Aufgabe ist an sich eine
Unmöglichkeit, weil sie ein Ganzes constituiren soll, was als solches nicht be¬
stehen kann. Indeß in Berlin, in Wien, in Frankfurt war kein anerkannter
Rechtszustand, er mußte also erst geschaffen werden, wenn aber die Demokraten
in Sachsen und andern Ländern, wo eine Verfassung bereits besteht, eine Con¬
stituante -- also eine gewaltsame Aushebung des Rechts -- verlangen, so ist
der Wahnsinn einer solchen Forderung nur ans dem Schwindel des Augenblicks
zu erklären. So haben wir nun wenigstens drei Constitnauten neben einander,
die alle einander gesetzlich ignoriren, die alle ans eine t-nul-l r""ir zu bauen glaub¬
ten und die alle der inhaltlosen Aufregung unaufhörliche Nahrung geben.

Der dritte Umstand war ungefährlich, wenn man Deutschland uicht als einen
formlosen Sandhaufen, sondern als einen gegliederten Organismus betrachtete, dem
nur die Spitze fehle; allein dieser Staat in ^urtibus iiilillolwm diente in der Regel
den Demagogen dazu, ein Hebel gegen das Bestehende zu sein, während sie
andrerseits -- wie Herr Blum und Schaffrath -- wo es die Umstände erlaubten,
den Particularismus recht wohl als einen Hebel gegen die Einheit gebrauchten,
sobald diese ihren demagogischen Bestrebungen lästig siel.

Aus dem Anblick dieser Verwirrung ergibt sich die relative Berechtigung
einer Reaction. Nicht uur die factische Anarchie, sondern auch die Schwindelei,
die Lüge, die Charlatanerie muß ein Ende haben, die aufgeregten Wogen der
Revolution müssen in die Bahn des Gesetzes gelenkt werde". Das ist die Reaction,
wie wir sie verstehen; aber es lauert dahinter eine andere Reaction, bei welcher
es einen Augenblick zweifelhaft bleiben kann, ob man sie dem Schreckniß der rothen
Republik vorziehen darf. Um dieses anschaulich zu machen, wenden wir unsere
Aufmerksamkeit noch einmal auf das entsetzliche Ereignis), das uns zu dieser Re¬
flexion veranlaßt hat



Wir lassen den amtliche" Bericht von der Ermordung Lichnowsky's folgen, weil diese
Unthat mit Flammenzügen in das Herz aller Deutschen eingegraben werden muß. "Herr
v. Bethmattn war in der Stadt. ES war 5 Uhr Rachmittags am 18. September. Dessen
Frau saß auf dem Balcon des .kaum 70 Schritte vor dem Stadtthore gelegenen Landhauses.
Fürst Lichnowsku und General v. Auerswald ritten vorbei und grüßten. Während dessen kam
Herr v. Bethmann aus der Stadt. Es zeigten sich einzelne Trupps vor dem Hause und rie¬
fen: "Dieser Hund, dieser Prcußenfrcund muß hängen, steckt ihm das Haus an -c." Da keine

wo man es am wenigsten vermuthet hat, aufgetaucht ist. Ich meine die Berliner
Constituante. In Preußen war neben viel verdrehten Einrichtungen eine treffliche
Grundlage, auf die nur die höchste Spitze hinzugefügt werden mußte. Statt dessen
hat die Versammlung in dem Dünkel ihres constituirenden Berufs das Beste¬
hende ignorirt und ihre Thätigkeit ziemlich auf die Negative eingeschränkt, d. h.
sie hat den jedesmaligen Regierungen so viel Schwierigkeiten in den Weg gelegt,
daß sie dieselben eigentlich, wenigstens für den Augenblick, unmöglich machte.
Von der östreichischen Versammlung rede ich uicht, ihre Aufgabe ist an sich eine
Unmöglichkeit, weil sie ein Ganzes constituiren soll, was als solches nicht be¬
stehen kann. Indeß in Berlin, in Wien, in Frankfurt war kein anerkannter
Rechtszustand, er mußte also erst geschaffen werden, wenn aber die Demokraten
in Sachsen und andern Ländern, wo eine Verfassung bereits besteht, eine Con¬
stituante — also eine gewaltsame Aushebung des Rechts — verlangen, so ist
der Wahnsinn einer solchen Forderung nur ans dem Schwindel des Augenblicks
zu erklären. So haben wir nun wenigstens drei Constitnauten neben einander,
die alle einander gesetzlich ignoriren, die alle ans eine t-nul-l r»«ir zu bauen glaub¬
ten und die alle der inhaltlosen Aufregung unaufhörliche Nahrung geben.

Der dritte Umstand war ungefährlich, wenn man Deutschland uicht als einen
formlosen Sandhaufen, sondern als einen gegliederten Organismus betrachtete, dem
nur die Spitze fehle; allein dieser Staat in ^urtibus iiilillolwm diente in der Regel
den Demagogen dazu, ein Hebel gegen das Bestehende zu sein, während sie
andrerseits — wie Herr Blum und Schaffrath — wo es die Umstände erlaubten,
den Particularismus recht wohl als einen Hebel gegen die Einheit gebrauchten,
sobald diese ihren demagogischen Bestrebungen lästig siel.

Aus dem Anblick dieser Verwirrung ergibt sich die relative Berechtigung
einer Reaction. Nicht uur die factische Anarchie, sondern auch die Schwindelei,
die Lüge, die Charlatanerie muß ein Ende haben, die aufgeregten Wogen der
Revolution müssen in die Bahn des Gesetzes gelenkt werde». Das ist die Reaction,
wie wir sie verstehen; aber es lauert dahinter eine andere Reaction, bei welcher
es einen Augenblick zweifelhaft bleiben kann, ob man sie dem Schreckniß der rothen
Republik vorziehen darf. Um dieses anschaulich zu machen, wenden wir unsere
Aufmerksamkeit noch einmal auf das entsetzliche Ereignis), das uns zu dieser Re¬
flexion veranlaßt hat



Wir lassen den amtliche» Bericht von der Ermordung Lichnowsky's folgen, weil diese
Unthat mit Flammenzügen in das Herz aller Deutschen eingegraben werden muß. „Herr
v. Bethmattn war in der Stadt. ES war 5 Uhr Rachmittags am 18. September. Dessen
Frau saß auf dem Balcon des .kaum 70 Schritte vor dem Stadtthore gelegenen Landhauses.
Fürst Lichnowsku und General v. Auerswald ritten vorbei und grüßten. Während dessen kam
Herr v. Bethmann aus der Stadt. Es zeigten sich einzelne Trupps vor dem Hause und rie¬
fen: „Dieser Hund, dieser Prcußenfrcund muß hängen, steckt ihm das Haus an -c." Da keine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/516>, abgerufen am 29.06.2024.