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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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zu Tage für reaktionär gelten, seit die Menschenwürde sich auf die Lunge und
auf die Faust zurückgezogen hat. Es siud seit der neuen Associativnsfrciheit wenig
Vereine von einem gleich edlen Charakter entstanden -- Dresden macht eine rühm¬
liche Ausnahme -- die bestehenden sind zum Theil von ihrem natürliche" Lauf
in gefährliche Richtungen eingelenkt.

Könnte man nur sagen, daß diejenigen Vereine, die sich als Gegengewicht
gegen diese radikalen Schwindeleien bildeten, wesentlich besser wären! Von den
reaktionären Clubs rede ich gar nicht, sie sind ebenso schädlich als die demokra¬
tischen, denn sie hemmen die natürliche Entwickelung und rufen dadurch deu ge¬
waltsamen Bruch hervor. Aber was haben die liberalen Vereine denn eigent¬
lich für Nutzen gestiftet! Meist aus Männern der gebildeten Classe zusammenge¬
setzt, hielten sie sich in aristokratischer Abgeschlossenheit, auf das Volk hatten sie
keine Einwirkung, eben darum wurden sie in den Wahlen überall geschlagen, und
da sie sonst keinen bestimmten Zweck vor sich sahen, so nutzten sie ihre Thätigkeit
in ziemlich überflüssigen Adressen ab. Ihre Geschäftigkeit war eine leere; uicht
weil es an guten Kräften gefehlt hätte, sondern weil sie sich kein eigentliches Ziel
gesetzt hatten. Sie schienen nur dazu da zu sein, um von den Aatcrlandsvereinen
angegriffen zu werden, denen sie keine rechten Waffen entgegenzusetzen wußten,
weil sie die Stichwörter derselben: Volkssouveränität, breiteste demokratische Grund"
läge u. s. w. adoptirteu, ohne hinzuzusetzen, daß sie etwas ganz anderes darun¬
ter verstünden.

Neben dem Vereinsrecht war von der Revolution als drittes unveräußerliches
StaatSbm gerrecht proclamirt, Waffen zu tragen. Waffen haben an sich keinen
Sinn; sie können nur den Zweck haben, gegen Jemand gebraucht zu werden.
Entweder ist die Bürgerwehr eine populäre Ergänzung des Heeres, eine Uebung
für die Eventualität eines Kriegs, und dann fällt sie mit der preußischen Land¬
wehr zusammen, oder sie ist zur Aufrechthaltung der Ordnung bestimmt, also eine
Art von polizeilichem Institut, wie die sächsische Communalgarde. Die neuen
Demagogen finden aber eiuen andern Zweck heraus, und Herrn Jacobo in Berlin
blieb es vorbehalten, denselben im preußischen Parlament offen auszusprechen:
Bewaffnung des Volks gegen die Negierung. Das ist nichts anders als, wie ich
vorhin sagte, die Permanenzerklärung des Bürgerkriegs und hebt durch die sinn¬
lose Trennung von Negierung und Volk deu Begriff des Staats vollständig ans.
Es ging mit diesem Begriff der Volksbewaffnung wie mit dem der Volkssouverä-
nität; mau fing mit einer sehr berechtigten Negation an und hörte mit einer sehr
sinnlosen Position ans. Der absolute König hatte gesagt: ich bin Souverän, d. h.
ich kann thun, wozu ich Lust habe. Das ist absurd und man hatte Recht, eine
solche Anmaßung zu negiren. Nun sagte man aber: daß Volk ist souverän, d. h.
es kaun thun, was ihm beliebt, und das ist noch absurder, denn der König
hat wenigstens einen Willen, wenn dieser auch ein verkehrter und schlechter sein


zu Tage für reaktionär gelten, seit die Menschenwürde sich auf die Lunge und
auf die Faust zurückgezogen hat. Es siud seit der neuen Associativnsfrciheit wenig
Vereine von einem gleich edlen Charakter entstanden — Dresden macht eine rühm¬
liche Ausnahme — die bestehenden sind zum Theil von ihrem natürliche» Lauf
in gefährliche Richtungen eingelenkt.

Könnte man nur sagen, daß diejenigen Vereine, die sich als Gegengewicht
gegen diese radikalen Schwindeleien bildeten, wesentlich besser wären! Von den
reaktionären Clubs rede ich gar nicht, sie sind ebenso schädlich als die demokra¬
tischen, denn sie hemmen die natürliche Entwickelung und rufen dadurch deu ge¬
waltsamen Bruch hervor. Aber was haben die liberalen Vereine denn eigent¬
lich für Nutzen gestiftet! Meist aus Männern der gebildeten Classe zusammenge¬
setzt, hielten sie sich in aristokratischer Abgeschlossenheit, auf das Volk hatten sie
keine Einwirkung, eben darum wurden sie in den Wahlen überall geschlagen, und
da sie sonst keinen bestimmten Zweck vor sich sahen, so nutzten sie ihre Thätigkeit
in ziemlich überflüssigen Adressen ab. Ihre Geschäftigkeit war eine leere; uicht
weil es an guten Kräften gefehlt hätte, sondern weil sie sich kein eigentliches Ziel
gesetzt hatten. Sie schienen nur dazu da zu sein, um von den Aatcrlandsvereinen
angegriffen zu werden, denen sie keine rechten Waffen entgegenzusetzen wußten,
weil sie die Stichwörter derselben: Volkssouveränität, breiteste demokratische Grund»
läge u. s. w. adoptirteu, ohne hinzuzusetzen, daß sie etwas ganz anderes darun¬
ter verstünden.

Neben dem Vereinsrecht war von der Revolution als drittes unveräußerliches
StaatSbm gerrecht proclamirt, Waffen zu tragen. Waffen haben an sich keinen
Sinn; sie können nur den Zweck haben, gegen Jemand gebraucht zu werden.
Entweder ist die Bürgerwehr eine populäre Ergänzung des Heeres, eine Uebung
für die Eventualität eines Kriegs, und dann fällt sie mit der preußischen Land¬
wehr zusammen, oder sie ist zur Aufrechthaltung der Ordnung bestimmt, also eine
Art von polizeilichem Institut, wie die sächsische Communalgarde. Die neuen
Demagogen finden aber eiuen andern Zweck heraus, und Herrn Jacobo in Berlin
blieb es vorbehalten, denselben im preußischen Parlament offen auszusprechen:
Bewaffnung des Volks gegen die Negierung. Das ist nichts anders als, wie ich
vorhin sagte, die Permanenzerklärung des Bürgerkriegs und hebt durch die sinn¬
lose Trennung von Negierung und Volk deu Begriff des Staats vollständig ans.
Es ging mit diesem Begriff der Volksbewaffnung wie mit dem der Volkssouverä-
nität; mau fing mit einer sehr berechtigten Negation an und hörte mit einer sehr
sinnlosen Position ans. Der absolute König hatte gesagt: ich bin Souverän, d. h.
ich kann thun, wozu ich Lust habe. Das ist absurd und man hatte Recht, eine
solche Anmaßung zu negiren. Nun sagte man aber: daß Volk ist souverän, d. h.
es kaun thun, was ihm beliebt, und das ist noch absurder, denn der König
hat wenigstens einen Willen, wenn dieser auch ein verkehrter und schlechter sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/514>, abgerufen am 29.06.2024.