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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ger als alle Vorkenntniß ab. Man muß es ihnen daher einfach machen, matt
stellt ihnen Abstraktionen auf, z.B. alle müssen gleich, alle glücklich, alle frei sein;
nun ist das nicht der Fall, eS liegt also eine Verrätherei vor, wer ist der Ver¬
räther? zunächst die Könige, denn sie sind die fleischgewordne Ungleichheit, dann
ihre Räthe, dann die Kammern, die sie stützen n. s. w. und namentlich dieser
oder jeuer; wenn man diese Verräther fortjagt oder todtschlägt, so ist der Ver¬
rath aufgehoben und jene Menschenrechte -- Freiheit, Gleichheit, allgemeiner
Wohlstand -- gehn unmittelbar hervor. Das ist einfach und wird leicht begrif¬
fen; würde in einer solchen Versammlung Jemand auftrete" und nachweisen, daß
mau alle Könige und Minister aufhängen könnte, und damit uoch kein Paradies
hätte, so würde bei der erhitzten Stimmung sehr schnell ausgemacht sein: hier ha¬
ben wir gleich einen Verräther! prügelt ihn, so ist dem Leiden des Volks abge¬
holfen. Ich übertreibe nicht, ich selber war Augenzeuge, als in Leipzig in einer
Volksversammlung ein Antrag ans Absetzung der preußischen Minister gestellt
ward und Einer sich die unschuldige Bemerkung erlaubte, das sei doch eigentlich
Sache des preußischen Landtags, daß sofort das Geschrei erscholl: ein Jesuit!
ein Spion, der wieder die Inquisition einführen will! und daß nun das ganze
souveräne Volk auf den vermeintlichen Jesuiten losstürzte, um ihn zu prügeln.
Unglücklicher Weise hatte derselbe gute Fäuste, und richtete auf den souveränen
Nasen arge Verwüstungen an. Das war eine Zeit, wo die Stimmung im
Ganzen noch ruhig war im Verhältniß zu dem gegenwärtigen Angenblick.

Nichts erschlafft und depravirt die Masse so, als diese fortwährende Be¬
schäftigung mit Abstraktionen; sie flößt ihr Dünkel ein und nimmt ihr die Lust zur
Arbeit. Ich erinnere mich noch lebhaft an die erste Sitzung des hiesigen Vater-
landsvereins, die ich gemeinschaftlich mit Ludwig Feuerbach besuchte. Es
wurden theils in Prosa theils in Versen die üblichen Phrasen aufgetischt nud die
Menge klatschte an passenden wie an unpassenden Stellen Beifall. Wir Andern
amusirten uns höchlich an diesem wunderlichen Treiben, als plötzlich Feuerbach
entrüstet aufsprang und ausrief: das ist schändlich! das ist volksverderblich! Die"
ser ausgezeichnete Mann, der wahrhaft Ursache hatte, ein Feind des bestehenden
Staatsunwesens zu sei", erkannte schon damals klar, wohin es führen müsse, wenn
man die Massen, anstatt sie auf bestimmte Bedürfnisse zu leiten, in unbestimmte
Phrasen -- Republik u. s. w. einwiegte.

Wenn es keinen andern Schaden hätte, so wäre schon der hinreichend, daß
die segensreichen Wirkungen des Associatiousweseus, die nur in einer ruhigen
Entwickelung möglich sind, dadurch paralysirt werden. Lauge vor der Revolution
war in Berlin zur Hebung des Gescllenstandeö der Johannesverein eingerichtet,
das herrlichste Institut der Art. das mir vorgekommen ist. Hier wurde der in
traurigen Bedürfnissen und einseitiger Beschränkung verkümmerte Handwerkerstand
wahrhaft zur menschlichen Würde erhoben. So ein friedlicher Verein wird heut


ger als alle Vorkenntniß ab. Man muß es ihnen daher einfach machen, matt
stellt ihnen Abstraktionen auf, z.B. alle müssen gleich, alle glücklich, alle frei sein;
nun ist das nicht der Fall, eS liegt also eine Verrätherei vor, wer ist der Ver¬
räther? zunächst die Könige, denn sie sind die fleischgewordne Ungleichheit, dann
ihre Räthe, dann die Kammern, die sie stützen n. s. w. und namentlich dieser
oder jeuer; wenn man diese Verräther fortjagt oder todtschlägt, so ist der Ver¬
rath aufgehoben und jene Menschenrechte — Freiheit, Gleichheit, allgemeiner
Wohlstand — gehn unmittelbar hervor. Das ist einfach und wird leicht begrif¬
fen; würde in einer solchen Versammlung Jemand auftrete» und nachweisen, daß
mau alle Könige und Minister aufhängen könnte, und damit uoch kein Paradies
hätte, so würde bei der erhitzten Stimmung sehr schnell ausgemacht sein: hier ha¬
ben wir gleich einen Verräther! prügelt ihn, so ist dem Leiden des Volks abge¬
holfen. Ich übertreibe nicht, ich selber war Augenzeuge, als in Leipzig in einer
Volksversammlung ein Antrag ans Absetzung der preußischen Minister gestellt
ward und Einer sich die unschuldige Bemerkung erlaubte, das sei doch eigentlich
Sache des preußischen Landtags, daß sofort das Geschrei erscholl: ein Jesuit!
ein Spion, der wieder die Inquisition einführen will! und daß nun das ganze
souveräne Volk auf den vermeintlichen Jesuiten losstürzte, um ihn zu prügeln.
Unglücklicher Weise hatte derselbe gute Fäuste, und richtete auf den souveränen
Nasen arge Verwüstungen an. Das war eine Zeit, wo die Stimmung im
Ganzen noch ruhig war im Verhältniß zu dem gegenwärtigen Angenblick.

Nichts erschlafft und depravirt die Masse so, als diese fortwährende Be¬
schäftigung mit Abstraktionen; sie flößt ihr Dünkel ein und nimmt ihr die Lust zur
Arbeit. Ich erinnere mich noch lebhaft an die erste Sitzung des hiesigen Vater-
landsvereins, die ich gemeinschaftlich mit Ludwig Feuerbach besuchte. Es
wurden theils in Prosa theils in Versen die üblichen Phrasen aufgetischt nud die
Menge klatschte an passenden wie an unpassenden Stellen Beifall. Wir Andern
amusirten uns höchlich an diesem wunderlichen Treiben, als plötzlich Feuerbach
entrüstet aufsprang und ausrief: das ist schändlich! das ist volksverderblich! Die»
ser ausgezeichnete Mann, der wahrhaft Ursache hatte, ein Feind des bestehenden
Staatsunwesens zu sei», erkannte schon damals klar, wohin es führen müsse, wenn
man die Massen, anstatt sie auf bestimmte Bedürfnisse zu leiten, in unbestimmte
Phrasen — Republik u. s. w. einwiegte.

Wenn es keinen andern Schaden hätte, so wäre schon der hinreichend, daß
die segensreichen Wirkungen des Associatiousweseus, die nur in einer ruhigen
Entwickelung möglich sind, dadurch paralysirt werden. Lauge vor der Revolution
war in Berlin zur Hebung des Gescllenstandeö der Johannesverein eingerichtet,
das herrlichste Institut der Art. das mir vorgekommen ist. Hier wurde der in
traurigen Bedürfnissen und einseitiger Beschränkung verkümmerte Handwerkerstand
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/513>, abgerufen am 29.06.2024.