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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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than, dem Uebel abzuhelfen? Wir gehören nicht zu denen, die für alle Preßver-
brcchen Straflosigkeit verlangen; wir glauben nicht, daß dnrch die Druckerschwärze
gerechtfertigt wird, was sonst ins Gefängniß führt: aber wo haben die Regierungen
sich die Möglichkeit verschafft, gesetzlich gegen die Ausschweifung der Presse ein¬
zuschreiten , da sie noch nirgends den einzigen cvnipetentcn Gerichtshof organisirt
haben, der darüber entscheiden kann -- Geschworne! denn mit dem alten Codex
die rechtlichen Ansprüche der Zeit niederschlagen zu wollen, ist theils an sich ab¬
surd und nnrechtlich, theils ist es unausführbar, weil nach jenem Gesetze bald die
gesammte Schriststcllerwclt auf der Anklagebank sitzen würde.

Die "schlechte Presse" wirkte darum, weil ihr keine gute entgegenstand. Ein
Paar reaktionäre Blätter waren allerdings da, aber diese machten das Uebel nur
ärger, denu sie gingen ans ihre Art ebenso zu Werke, als ihre Gegner, die Radi¬
kalen; die "gute Presse" selber war haltlos; sie buhlte mit dem Hauch der
Volksgunst, sie adoptirte blind die unsinnigen Glaubensartikel ihrer Gegner und
wußte dann freilich ihren Zorn gegen dieselben nicht recht zu motiviren, wenn sie
die Consequenzen ihrer Grundsätze zogen. Mit wenigen ehrenvollen Ausnahmen
-- ich meine z. B. die Kölnische -- gab es anch unter den besten Blättern we¬
der Organe der liberalen Partei, noch objektive, kritische Blätter; es war der
Schlendrian der allen Klatschschwcstern, nnr mit aller suffisance des modernen
Bewußtseins ausstaffirt. Die wahrhaft guten Zeitungen, wie die Deutsche, wu߬
ten den volkstümlichen Ton nicht zu treffen und blieben darum ohne erhebliche
Wirkung.

Die zweite "Errungenschaft" der Freiheit war das Recht der Association.
Verständig aufgefaßt, sagt dasselbe weiter nichts, als das Recht, gemeinsame In¬
teressen dnrch Vereinigung von Kräften ans gesetzliche Weise zu realisiren. Es ist
eins der wichtigsten Rechte der Staatsbürger und enthält, mit Consegnenz durch¬
gebildet, die vollständige Lösung anch der socialen Frage in sich. Aber keines kann
anch ans so gefährliche Weise zum Bösen verkehrt werden, Man hat es mitunter
so verstanden, als lege der Staat überhaupt alle Mittel aus der Hand, gefährli¬
chen Verbindungen in den Weg zu treten. Wenn also eine Räuberbande sich bil¬
det, so steht es ihm zwar frei, einzelne Verbrechen derselben zu strafen, sie aber
aufzulösen, soll er nicht das RecP haben. Die Absurdität dieses Grundsatzes springt
in die Augen, und doch wagt man es nicht, ihm offen entgegenzutreten. In der
Frage über das Verhältniß der Kirche zum Staate, wie sie in der Paulskirche
verhandelt wurde, vereinigten sich die Ultramontanen mit den Demokraten, ihn
anfrechtznhalten. Beide sind in gleicher Schuld; weder kann der Staat einer Je-
suiten-Verbindung, die von fremden Oberen geleitet wird, die in wesentlichen Be¬
stimmungen den Ideen der Sittlichkeit widerspricht, ein freies Walten ohne alle
Controlle zugestehn, noch kann er dein über ganz Deutschland ausgebreiteten Ja-
cobmernetz, das nicht nur einen Staat im Staate zu bilden beansprucht, sondern


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than, dem Uebel abzuhelfen? Wir gehören nicht zu denen, die für alle Preßver-
brcchen Straflosigkeit verlangen; wir glauben nicht, daß dnrch die Druckerschwärze
gerechtfertigt wird, was sonst ins Gefängniß führt: aber wo haben die Regierungen
sich die Möglichkeit verschafft, gesetzlich gegen die Ausschweifung der Presse ein¬
zuschreiten , da sie noch nirgends den einzigen cvnipetentcn Gerichtshof organisirt
haben, der darüber entscheiden kann — Geschworne! denn mit dem alten Codex
die rechtlichen Ansprüche der Zeit niederschlagen zu wollen, ist theils an sich ab¬
surd und nnrechtlich, theils ist es unausführbar, weil nach jenem Gesetze bald die
gesammte Schriststcllerwclt auf der Anklagebank sitzen würde.

Die „schlechte Presse" wirkte darum, weil ihr keine gute entgegenstand. Ein
Paar reaktionäre Blätter waren allerdings da, aber diese machten das Uebel nur
ärger, denu sie gingen ans ihre Art ebenso zu Werke, als ihre Gegner, die Radi¬
kalen; die „gute Presse" selber war haltlos; sie buhlte mit dem Hauch der
Volksgunst, sie adoptirte blind die unsinnigen Glaubensartikel ihrer Gegner und
wußte dann freilich ihren Zorn gegen dieselben nicht recht zu motiviren, wenn sie
die Consequenzen ihrer Grundsätze zogen. Mit wenigen ehrenvollen Ausnahmen
— ich meine z. B. die Kölnische — gab es anch unter den besten Blättern we¬
der Organe der liberalen Partei, noch objektive, kritische Blätter; es war der
Schlendrian der allen Klatschschwcstern, nnr mit aller suffisance des modernen
Bewußtseins ausstaffirt. Die wahrhaft guten Zeitungen, wie die Deutsche, wu߬
ten den volkstümlichen Ton nicht zu treffen und blieben darum ohne erhebliche
Wirkung.

Die zweite „Errungenschaft" der Freiheit war das Recht der Association.
Verständig aufgefaßt, sagt dasselbe weiter nichts, als das Recht, gemeinsame In¬
teressen dnrch Vereinigung von Kräften ans gesetzliche Weise zu realisiren. Es ist
eins der wichtigsten Rechte der Staatsbürger und enthält, mit Consegnenz durch¬
gebildet, die vollständige Lösung anch der socialen Frage in sich. Aber keines kann
anch ans so gefährliche Weise zum Bösen verkehrt werden, Man hat es mitunter
so verstanden, als lege der Staat überhaupt alle Mittel aus der Hand, gefährli¬
chen Verbindungen in den Weg zu treten. Wenn also eine Räuberbande sich bil¬
det, so steht es ihm zwar frei, einzelne Verbrechen derselben zu strafen, sie aber
aufzulösen, soll er nicht das RecP haben. Die Absurdität dieses Grundsatzes springt
in die Augen, und doch wagt man es nicht, ihm offen entgegenzutreten. In der
Frage über das Verhältniß der Kirche zum Staate, wie sie in der Paulskirche
verhandelt wurde, vereinigten sich die Ultramontanen mit den Demokraten, ihn
anfrechtznhalten. Beide sind in gleicher Schuld; weder kann der Staat einer Je-
suiten-Verbindung, die von fremden Oberen geleitet wird, die in wesentlichen Be¬
stimmungen den Ideen der Sittlichkeit widerspricht, ein freies Walten ohne alle
Controlle zugestehn, noch kann er dein über ganz Deutschland ausgebreiteten Ja-
cobmernetz, das nicht nur einen Staat im Staate zu bilden beansprucht, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/511>, abgerufen am 29.06.2024.