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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Staaten zu walten und seinen Unterthanen, den einzelnen Menschen, nur so
lange die süße Gewohnheit des Daseins zu lassen, als sei" du" pi-iisir es zuläßt,
so fährt es doch zusammen, wenn ihm das diamantne Schild vorgehalten wird
und sein eigenes, greulich entstelltes Angesicht ihm entgegentritt.

Der Mord jener beiden Männer -- es muß gesagt sein -- ist das Signal
zur Reaction. Jetzt thut es Noth, alle Kräfte aufzubieten, um in dem gerechten
Zorn über jene Unthat und über den Jesuitismus, der sie hervorgerufen, die
Besonnenheit nicht zu verlieren, um uicht, deu Knaben gleich, die Frucht ins
Feuer zu werfen, weil ihm die Schale bitter war.

Allein ehe wir unsere Waffe gegen die Gewalt wenden, die sich gegen die
Freiheit aufbäumt, müssen wir Gericht halten über diejenigen, die sie herauf-
beschworen.

Die neue Freiheit kam dem deutsche" Volke über Nacht; sie war da, ehe
mau die Augen aufmachen konnte, sie zu sehen. Der somnambule Zustand dieses
ersten Erwachens entschuldigt Vieles; aber fragen müssen wir: was haben wir
gethan, um die durch gute Götter geschenkte Freiheit zu verdienen, sie zu be¬
festigen?

Die erste Frucht der neuen Erhebung war die freie Presse. Sie hat bisher
mehr Böses ausgerichtet als Gutes. Die einzigen Blätter, welche mit Konsequenz
einen Plan verfolgten, waren die radikalen -- die Zeitungshalle, die Reform,
die Neue Rheinische, die Mannheimer Abendzeitung und alle die kleinen Winkel¬
blätter, die in Haupt- und Provinzialstädten ans die neue legitime Volkssouve-
ränität speculirten, ziemlich ohne Ausnahme. Diese Zeitungen schienen die ein¬
zige Ausgabe zu habe", die unnatürlich überreizte Gährung zu erhalten, theils
durch Lügen und verdreht zusammengestellte Thatsachen, theils durch einfache inhalt¬
lose Schmähung der bestehenden Gewalten, die aber um so kräftiger auf den Pö¬
bel wirkte, je niedriger mau ihm schmeichelte, je erhabner man seinen Standpunkt
dem der Negierung, der Stände, kurz aller Gebildeten gegenüberstellte; theils durch
jene Sophistik, die deu Aberglaube" an ganz unbestimmte, hohle Phrasen --
Volkssouveränität u. tgi. --, bei denen sich Jeder denken kauu, was er Lust hat,
zu einem rohen Idealismus verarbeitet, der durch den Ungestüm seiner Wünsche
und Anforderungen die weniger bequeme und-weniger wohlfeile Arbeit der Frei¬
heit ersetzt. Ueber die Nichtswürdigkeit dieser Blätter ein Wort zu reden, ist über¬
flüssig; aber wie roh mußte die Bildung sein, die durch solche Kräfte in Fluß
gesetzt werden konnte! wie haltlos die Sittlichkeit, die nicht wenigstens instinct-
mäßig solche Gemeinheiten von sich wies! Eine solche Bildung, eine solche Sitt¬
lichkeit waren die natürlichen Resultate jener alten Polizeiherrschaft, die das Volk
entmannte, seine bessern Gefühle unterhöhlte, seiner Einsicht alle Thore verschlossen
hielt. Wenn nun die Gegner der freien Presse mit geheimer Schadenfreude auf
solche Erfolge hinweisen, so wird man sie fragen müssen, was habt ihr denn ge-


Staaten zu walten und seinen Unterthanen, den einzelnen Menschen, nur so
lange die süße Gewohnheit des Daseins zu lassen, als sei» du» pi-iisir es zuläßt,
so fährt es doch zusammen, wenn ihm das diamantne Schild vorgehalten wird
und sein eigenes, greulich entstelltes Angesicht ihm entgegentritt.

Der Mord jener beiden Männer — es muß gesagt sein — ist das Signal
zur Reaction. Jetzt thut es Noth, alle Kräfte aufzubieten, um in dem gerechten
Zorn über jene Unthat und über den Jesuitismus, der sie hervorgerufen, die
Besonnenheit nicht zu verlieren, um uicht, deu Knaben gleich, die Frucht ins
Feuer zu werfen, weil ihm die Schale bitter war.

Allein ehe wir unsere Waffe gegen die Gewalt wenden, die sich gegen die
Freiheit aufbäumt, müssen wir Gericht halten über diejenigen, die sie herauf-
beschworen.

Die neue Freiheit kam dem deutsche» Volke über Nacht; sie war da, ehe
mau die Augen aufmachen konnte, sie zu sehen. Der somnambule Zustand dieses
ersten Erwachens entschuldigt Vieles; aber fragen müssen wir: was haben wir
gethan, um die durch gute Götter geschenkte Freiheit zu verdienen, sie zu be¬
festigen?

Die erste Frucht der neuen Erhebung war die freie Presse. Sie hat bisher
mehr Böses ausgerichtet als Gutes. Die einzigen Blätter, welche mit Konsequenz
einen Plan verfolgten, waren die radikalen — die Zeitungshalle, die Reform,
die Neue Rheinische, die Mannheimer Abendzeitung und alle die kleinen Winkel¬
blätter, die in Haupt- und Provinzialstädten ans die neue legitime Volkssouve-
ränität speculirten, ziemlich ohne Ausnahme. Diese Zeitungen schienen die ein¬
zige Ausgabe zu habe», die unnatürlich überreizte Gährung zu erhalten, theils
durch Lügen und verdreht zusammengestellte Thatsachen, theils durch einfache inhalt¬
lose Schmähung der bestehenden Gewalten, die aber um so kräftiger auf den Pö¬
bel wirkte, je niedriger mau ihm schmeichelte, je erhabner man seinen Standpunkt
dem der Negierung, der Stände, kurz aller Gebildeten gegenüberstellte; theils durch
jene Sophistik, die deu Aberglaube» an ganz unbestimmte, hohle Phrasen —
Volkssouveränität u. tgi. —, bei denen sich Jeder denken kauu, was er Lust hat,
zu einem rohen Idealismus verarbeitet, der durch den Ungestüm seiner Wünsche
und Anforderungen die weniger bequeme und-weniger wohlfeile Arbeit der Frei¬
heit ersetzt. Ueber die Nichtswürdigkeit dieser Blätter ein Wort zu reden, ist über¬
flüssig; aber wie roh mußte die Bildung sein, die durch solche Kräfte in Fluß
gesetzt werden konnte! wie haltlos die Sittlichkeit, die nicht wenigstens instinct-
mäßig solche Gemeinheiten von sich wies! Eine solche Bildung, eine solche Sitt¬
lichkeit waren die natürlichen Resultate jener alten Polizeiherrschaft, die das Volk
entmannte, seine bessern Gefühle unterhöhlte, seiner Einsicht alle Thore verschlossen
hielt. Wenn nun die Gegner der freien Presse mit geheimer Schadenfreude auf
solche Erfolge hinweisen, so wird man sie fragen müssen, was habt ihr denn ge-


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[0510] Staaten zu walten und seinen Unterthanen, den einzelnen Menschen, nur so lange die süße Gewohnheit des Daseins zu lassen, als sei» du» pi-iisir es zuläßt, so fährt es doch zusammen, wenn ihm das diamantne Schild vorgehalten wird und sein eigenes, greulich entstelltes Angesicht ihm entgegentritt. Der Mord jener beiden Männer — es muß gesagt sein — ist das Signal zur Reaction. Jetzt thut es Noth, alle Kräfte aufzubieten, um in dem gerechten Zorn über jene Unthat und über den Jesuitismus, der sie hervorgerufen, die Besonnenheit nicht zu verlieren, um uicht, deu Knaben gleich, die Frucht ins Feuer zu werfen, weil ihm die Schale bitter war. Allein ehe wir unsere Waffe gegen die Gewalt wenden, die sich gegen die Freiheit aufbäumt, müssen wir Gericht halten über diejenigen, die sie herauf- beschworen. Die neue Freiheit kam dem deutsche» Volke über Nacht; sie war da, ehe mau die Augen aufmachen konnte, sie zu sehen. Der somnambule Zustand dieses ersten Erwachens entschuldigt Vieles; aber fragen müssen wir: was haben wir gethan, um die durch gute Götter geschenkte Freiheit zu verdienen, sie zu be¬ festigen? Die erste Frucht der neuen Erhebung war die freie Presse. Sie hat bisher mehr Böses ausgerichtet als Gutes. Die einzigen Blätter, welche mit Konsequenz einen Plan verfolgten, waren die radikalen — die Zeitungshalle, die Reform, die Neue Rheinische, die Mannheimer Abendzeitung und alle die kleinen Winkel¬ blätter, die in Haupt- und Provinzialstädten ans die neue legitime Volkssouve- ränität speculirten, ziemlich ohne Ausnahme. Diese Zeitungen schienen die ein¬ zige Ausgabe zu habe», die unnatürlich überreizte Gährung zu erhalten, theils durch Lügen und verdreht zusammengestellte Thatsachen, theils durch einfache inhalt¬ lose Schmähung der bestehenden Gewalten, die aber um so kräftiger auf den Pö¬ bel wirkte, je niedriger mau ihm schmeichelte, je erhabner man seinen Standpunkt dem der Negierung, der Stände, kurz aller Gebildeten gegenüberstellte; theils durch jene Sophistik, die deu Aberglaube» an ganz unbestimmte, hohle Phrasen — Volkssouveränität u. tgi. —, bei denen sich Jeder denken kauu, was er Lust hat, zu einem rohen Idealismus verarbeitet, der durch den Ungestüm seiner Wünsche und Anforderungen die weniger bequeme und-weniger wohlfeile Arbeit der Frei¬ heit ersetzt. Ueber die Nichtswürdigkeit dieser Blätter ein Wort zu reden, ist über¬ flüssig; aber wie roh mußte die Bildung sein, die durch solche Kräfte in Fluß gesetzt werden konnte! wie haltlos die Sittlichkeit, die nicht wenigstens instinct- mäßig solche Gemeinheiten von sich wies! Eine solche Bildung, eine solche Sitt¬ lichkeit waren die natürlichen Resultate jener alten Polizeiherrschaft, die das Volk entmannte, seine bessern Gefühle unterhöhlte, seiner Einsicht alle Thore verschlossen hielt. Wenn nun die Gegner der freien Presse mit geheimer Schadenfreude auf solche Erfolge hinweisen, so wird man sie fragen müssen, was habt ihr denn ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/510>, abgerufen am 29.06.2024.