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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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heilen, thut es aber in sehr plumper Weise. Eines der ersten Negierungsorgane
ist die "neue Münchner Zeitung", deren Hauptarbeiter Seuffert ist und leider
nur zu oft die undankbare Aufgabe hat, unerklärlichen Schritten der Negierung
die beste Seite abzugewinnen und zu beweisen, daß dieselben nicht reaktionär sind,
so sehr auch der Anschein dafür spricht. Ein andres Blatt mit ähnliche" Tenden¬
zen ist der "Reichsbote", dessen niedrige Speichelleckerei und jedem Fortschritt feind¬
liche Gesinnung den Leser zwingt, sich den traurigen Gedanken hinzugeben, daß
auch jetzt von der Negierung das Versprochene nicht gehalten wird, wenn man
es ihr nicht abtrotzt; denn diese beiden angeführten Blätter, besonders das letztere,
sind es, welche von den Ministerien den verschiednen Aemtern, ja sogar den Sol¬
daten empfohlen, d. h. befohlen sind und ans Regiekosten gehalten werden müssen.
Das Volk muß also noch die Steuern zahlen, um sich systematisch verdummen zu
lassen. Glücklicher Weise sind der Leser dieser Blätter nur sehr wenige, während
das Journal "Vorwärts" mit rein demokratischen Prinzipien und meist von Stu¬
denten geschrieben, täglich ein größeres Publikum gewinnt. In ähnlicher Weise
wirken die "Leuchtkugeln", welche mit beißendem Spott dein alten Zopfe zu Leibe
gehn und jeden Hemmschuh der neuen Zeit mit dem grellsten Lichte beleuchten.
Das einzige, was diesen Blättern fehlt und gewiß auch ihre größere Verbreitung
hindert, ist Gemüth, die Grundlage des ächten Humors. Kaustische Satire be¬
schäftigt wohl deu Verstand, das Herz geht aber leer aus, man wird nicht auf¬
geheitert, sondern erbittert. In dieser Hinsicht zeigen die "fliegenden Blätter"
einen richtigeren Takt. Sie sind seit Aufhebung der Censur eher milder in ihren
Darstellungen geworden, behielten die harmlose Grundlage und werfen nur hie und
da einen Blitzstrahl auf die Schattenseiten unserer Politik. Das Publikum dankt
es ihnen auch gewiß, denn müde gehetzt von der Tagesliteratur findet es hier
einen heitern Ruhepunkt, begegnet in jeder Zeichnung der fertigen Hand eines
andern Künstlers und oft wahren Meisterstücken der Xylographie, was bei den
Leuchtkugeln, wo die meisten Illustrationen von Einer Hand und über den näm¬
lichen Leisten geschlagen sind, nicht so der Fall ist. Im Ganzen aber liegt der li¬
terarische Verkehr, der freilich hier nie sehr bedeutend war, nebst dein Buchhan¬
del ganz darnieder, mit Ausnahme der Kreuzerliteratur, die sich noch ans den Bei¬
nen (der Colporteurs) hält.

Unserer Regierung sind diese fliegenden Buchläden wohl ebenso ein Dorn im
Auge wie jener in Berlin, und es wird nicht mehr lange dauern, so werden auch
sie, eine der letzten Errungenschaften des März, die noch übrig siud, verschwinden.
Hat man doch die Landwehr mit dein entehrenden Namen Polizeigardisten bedient,
damit sie sich freiwillig auflöst, hat man doch systematisch fast in ganz Deutsch¬
land die demokratischen Vereine aufgehoben und verpönt, so daß selbst 0r. Eisen¬
mann endlich an Reaktion glaubt, warum nicht auch die Censur wieder einfüh¬
ren? (!) Zwar hat in Nördlingen eine Verbrüderung der constitutionell-monar-


heilen, thut es aber in sehr plumper Weise. Eines der ersten Negierungsorgane
ist die „neue Münchner Zeitung", deren Hauptarbeiter Seuffert ist und leider
nur zu oft die undankbare Aufgabe hat, unerklärlichen Schritten der Negierung
die beste Seite abzugewinnen und zu beweisen, daß dieselben nicht reaktionär sind,
so sehr auch der Anschein dafür spricht. Ein andres Blatt mit ähnliche» Tenden¬
zen ist der „Reichsbote", dessen niedrige Speichelleckerei und jedem Fortschritt feind¬
liche Gesinnung den Leser zwingt, sich den traurigen Gedanken hinzugeben, daß
auch jetzt von der Negierung das Versprochene nicht gehalten wird, wenn man
es ihr nicht abtrotzt; denn diese beiden angeführten Blätter, besonders das letztere,
sind es, welche von den Ministerien den verschiednen Aemtern, ja sogar den Sol¬
daten empfohlen, d. h. befohlen sind und ans Regiekosten gehalten werden müssen.
Das Volk muß also noch die Steuern zahlen, um sich systematisch verdummen zu
lassen. Glücklicher Weise sind der Leser dieser Blätter nur sehr wenige, während
das Journal „Vorwärts" mit rein demokratischen Prinzipien und meist von Stu¬
denten geschrieben, täglich ein größeres Publikum gewinnt. In ähnlicher Weise
wirken die „Leuchtkugeln", welche mit beißendem Spott dein alten Zopfe zu Leibe
gehn und jeden Hemmschuh der neuen Zeit mit dem grellsten Lichte beleuchten.
Das einzige, was diesen Blättern fehlt und gewiß auch ihre größere Verbreitung
hindert, ist Gemüth, die Grundlage des ächten Humors. Kaustische Satire be¬
schäftigt wohl deu Verstand, das Herz geht aber leer aus, man wird nicht auf¬
geheitert, sondern erbittert. In dieser Hinsicht zeigen die „fliegenden Blätter"
einen richtigeren Takt. Sie sind seit Aufhebung der Censur eher milder in ihren
Darstellungen geworden, behielten die harmlose Grundlage und werfen nur hie und
da einen Blitzstrahl auf die Schattenseiten unserer Politik. Das Publikum dankt
es ihnen auch gewiß, denn müde gehetzt von der Tagesliteratur findet es hier
einen heitern Ruhepunkt, begegnet in jeder Zeichnung der fertigen Hand eines
andern Künstlers und oft wahren Meisterstücken der Xylographie, was bei den
Leuchtkugeln, wo die meisten Illustrationen von Einer Hand und über den näm¬
lichen Leisten geschlagen sind, nicht so der Fall ist. Im Ganzen aber liegt der li¬
terarische Verkehr, der freilich hier nie sehr bedeutend war, nebst dein Buchhan¬
del ganz darnieder, mit Ausnahme der Kreuzerliteratur, die sich noch ans den Bei¬
nen (der Colporteurs) hält.

Unserer Regierung sind diese fliegenden Buchläden wohl ebenso ein Dorn im
Auge wie jener in Berlin, und es wird nicht mehr lange dauern, so werden auch
sie, eine der letzten Errungenschaften des März, die noch übrig siud, verschwinden.
Hat man doch die Landwehr mit dein entehrenden Namen Polizeigardisten bedient,
damit sie sich freiwillig auflöst, hat man doch systematisch fast in ganz Deutsch¬
land die demokratischen Vereine aufgehoben und verpönt, so daß selbst 0r. Eisen¬
mann endlich an Reaktion glaubt, warum nicht auch die Censur wieder einfüh¬
ren? (!) Zwar hat in Nördlingen eine Verbrüderung der constitutionell-monar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/491>, abgerufen am 29.06.2024.