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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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seitdem wesentlich modificirt. Früher gebrauchte die Linke selbst den fatalen Reichs¬
verweser als Mauerbrecher gegen die Negierung, weil ihr jede Waffe recht war;
seitdem aber in Frankfurt die gemäßigte Partei so entschieden das Uebergewicht
erlangt hat, will man vom Reich nichts mehr wissen. Herr Nodbertus hat sich
in diesem Sinn auf die Eventualität eines von ihm zu bildenden Ministeriums
hin weniger Deutsch ausgesprochen, als sein Nebenbuhler Beckerath, ja er scheint
sich mit der Partei der Grundbesitzer in Rapport gesetzt zu haben und die Hanse-
mann'sche Finanzoperation wollen fallen lassen. Auch ist er entschlossen, mit der
Kammer nur bis zu einer gewissen Grenzlinie zu gehen, sie aber aufzulösen, im
Falle sie diese überschreitet. Es wäre also an sich kein Grund vorhanden, daß
die conservative Partei sich einem Ministerium Nodbertus widersetzte; es sind in
dieser Partei Männer, die sich doch schon in den höhern Kreisen des Staatslebens
bewegt haben, die Waldeck, Temme, Kirchmann, Unruh -- ick hoffe, daß man
den geistreichen aber unnützen und haltlosen Nandalcur Herrn von Berg nicht in
diese Combination ziehen wird -- es liegen indeß andere Gründe vor, über eine
solche Entscheidung Bedenken hervorzurufen. Es ist die Frage, ob Herr Nod¬
bertus Garantien geben könnte, von seiner Partei, der Linken, unabhängig zu
sein von der Linken, d. h. von den Polen, die als Preußens Feinde für jeden
unvernünftigen Vorschlag stimmen, der in der Kammer vorgebracht wird und denen
zu Liebe man gern einen Nomantikus, wie Willisen, ins Kriegsministerium
einschmuggeln möchte; vou den Schwindlern, welche die Kraft jeder Regierung
schwächen möchten, um die Revolution permanent zu machen; von den Ehrgeizigen, die
gewaltsam alle bedeutende Posten leeren mochten, um an die Reihe zu kommen;
von den Intriguanten, die das Heer auflösen möchten und zugleich nach Krieg
schreien. Diese Lücke hat ja mit Robert Blum frateruisirt, dem Feinde Preußens.
Sie reicht auch deu Ultramontanen die Hand, weil sie anch ein oppositionelles
Moment sind; sie coquettirt unter Umständen mit dem Kommunismus, sie spricht
in öffentlicher Rede zum "Volk" wie. ein Ledru Nollin, sie paralysirt die Thätig¬
keit der Bürgerwehr, sie droht -- bei dem Stein'schen Antrag hat sie es offen
gethan -- mit offnem Aufstand. Am bedenklichsten sieht es mit den Finanzen ans;
es wäre doch gar zu gefährlich, hier ein Experiment zu wagen.

Die eben eintreffenden Frankfurter Nachrichten werden der ganzen Lage
eine neue Wendung geben, in meinem nächsten Briefe mehr davon. Zum Schluß
eine Combination der Linken vom reinsten Wasser:

Aeußeres: Reichenbach, als Graf; Inneres: Jung, wegen seiner Ueber¬
zeugung vou der Weisheit und Unfehlbarkeit der gemeinen Leute; Handel: Brill;
Finanzen: Eichler, wegen seiner ausdauernden Arbeit im Schuldenmachen; Cul¬
tus: Wiß, aus der bekannten Hippel'schen Kneipe; Justiz: Edgar Ban er,
wegen seiner genauen Bekanntschaft mit Zuchthaussträflingen und seine Theilnahme
für dieselben; öffentliche Arbeiten: der Commis Ottcnsvsser; Krieg: Fleischer


seitdem wesentlich modificirt. Früher gebrauchte die Linke selbst den fatalen Reichs¬
verweser als Mauerbrecher gegen die Negierung, weil ihr jede Waffe recht war;
seitdem aber in Frankfurt die gemäßigte Partei so entschieden das Uebergewicht
erlangt hat, will man vom Reich nichts mehr wissen. Herr Nodbertus hat sich
in diesem Sinn auf die Eventualität eines von ihm zu bildenden Ministeriums
hin weniger Deutsch ausgesprochen, als sein Nebenbuhler Beckerath, ja er scheint
sich mit der Partei der Grundbesitzer in Rapport gesetzt zu haben und die Hanse-
mann'sche Finanzoperation wollen fallen lassen. Auch ist er entschlossen, mit der
Kammer nur bis zu einer gewissen Grenzlinie zu gehen, sie aber aufzulösen, im
Falle sie diese überschreitet. Es wäre also an sich kein Grund vorhanden, daß
die conservative Partei sich einem Ministerium Nodbertus widersetzte; es sind in
dieser Partei Männer, die sich doch schon in den höhern Kreisen des Staatslebens
bewegt haben, die Waldeck, Temme, Kirchmann, Unruh — ick hoffe, daß man
den geistreichen aber unnützen und haltlosen Nandalcur Herrn von Berg nicht in
diese Combination ziehen wird -- es liegen indeß andere Gründe vor, über eine
solche Entscheidung Bedenken hervorzurufen. Es ist die Frage, ob Herr Nod¬
bertus Garantien geben könnte, von seiner Partei, der Linken, unabhängig zu
sein von der Linken, d. h. von den Polen, die als Preußens Feinde für jeden
unvernünftigen Vorschlag stimmen, der in der Kammer vorgebracht wird und denen
zu Liebe man gern einen Nomantikus, wie Willisen, ins Kriegsministerium
einschmuggeln möchte; vou den Schwindlern, welche die Kraft jeder Regierung
schwächen möchten, um die Revolution permanent zu machen; von den Ehrgeizigen, die
gewaltsam alle bedeutende Posten leeren mochten, um an die Reihe zu kommen;
von den Intriguanten, die das Heer auflösen möchten und zugleich nach Krieg
schreien. Diese Lücke hat ja mit Robert Blum frateruisirt, dem Feinde Preußens.
Sie reicht auch deu Ultramontanen die Hand, weil sie anch ein oppositionelles
Moment sind; sie coquettirt unter Umständen mit dem Kommunismus, sie spricht
in öffentlicher Rede zum „Volk" wie. ein Ledru Nollin, sie paralysirt die Thätig¬
keit der Bürgerwehr, sie droht — bei dem Stein'schen Antrag hat sie es offen
gethan — mit offnem Aufstand. Am bedenklichsten sieht es mit den Finanzen ans;
es wäre doch gar zu gefährlich, hier ein Experiment zu wagen.

Die eben eintreffenden Frankfurter Nachrichten werden der ganzen Lage
eine neue Wendung geben, in meinem nächsten Briefe mehr davon. Zum Schluß
eine Combination der Linken vom reinsten Wasser:

Aeußeres: Reichenbach, als Graf; Inneres: Jung, wegen seiner Ueber¬
zeugung vou der Weisheit und Unfehlbarkeit der gemeinen Leute; Handel: Brill;
Finanzen: Eichler, wegen seiner ausdauernden Arbeit im Schuldenmachen; Cul¬
tus: Wiß, aus der bekannten Hippel'schen Kneipe; Justiz: Edgar Ban er,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/489>, abgerufen am 28.09.2024.