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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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rungeu gehabt. Eine Verstärkung aus deu Reihen der Bureaukratie würde doch
nicht zu vermeiden sein -- es ist beiläufig zu bedauern, daß der allgemein geachtete
Justizminister Märker mit in den Fall des vorigen Ministeriums verwickelt wurde.

Die Hilfsmittel dieser Partei sind leicht zu übersehen. Am entschiedensten
dürste sie die Rheinische Bourgeoisie für sich haben, die eine Trennung der Rhein-
lande von Preußen nicht wünscht, weil sie weder in die Hände der Ultramontanen
uoch in die der Demokraten fallen möchte. In der preußischen Presse hat sie fast
gar keine Unterstützung; ein sehr großer Theil der Grundbesitzer ist ihr, abgesehen
von seiner politischen Meinung, ihrer finanziellen Maßregeln wegen abhold; die
sogenannten konstitutionellen Clubs sind in ihrer suffisance und Halbheit mehr
als erbärmlich, sie sind nicht einmal unbedeutend genug, um unschädlich zu sein;
die Bürgerwehr ist sehr schlecht organisirt, in ihren Ansichten schwankend und hat
auch von ihrem Muth noch keine Probe gegeben. Auf das Heer können die
Whigs nicht unbedingt rechnen und werden auch wohl zögern, es anzuwenden.

Am kräftigsten ist ihr Einfluß noch immer im Frankfurter Parlament. Dieses
hat bisher eine ziemlich theoretische Aufgabe gehabt und war daher für Doctrinärs
ein angemessener Schauplatz. Den doctrinären rhetorischen Anstrich konnte die
ganze Partei nicht verleugnen, Beckerath am wenigsten.

Wenden wir uns nun zur zweiten Eventualität, dem linken Centrum, einem
Ministerium Rodbertus-Waldeck. Das linke Centrum, zum großen Theil
aus "neuen Menschen" bestehend, ist bekanntlich liberaler, als die reine Whig¬
partei, doch würde es schwer sein, genau anzugeben, worin der höhere Grad dieses
Liberalismus eigentlich besteht. Die Abneigung gegen die Constabler nud die ver¬
schiedene Ansicht über polizeiliche Maßregeln werden es doch allein nicht ausmachen.
Der von Waldeck ausgearbeitete Verfassungsentwurf stimmt im Wesentlichen mit
den Ansichten des letzten Cabinets überein; er enthält ein Zweikammersystem, ver¬
wirft aber, wie billig, das von Camphausen vorgeschlagene Oberhaus von Geld¬
notabilitäten. Die erste Kammer soll aus Bezirkswahlcn hervorgehen; es wäre
nun freilich die Hauptsache, wie diese Bezirke organisirt sind. Der von der Linken
eingebrachte Entwurf einer Gemeindeordnung ist völlig unpractisch. Es kommt
darauf an, daß jene Bezirkswahlen eine gewisse politische Bildung bedingen, um
im erforderlichen Fall die aus Unkenntniß hervorgegangen": Leidenschaftlichkeit der
zweiten Kammer zu mäßigen.

Herr Nodbertns hat schon einige Tage im Ministerium gesessen; er hat es
damals der Kammer gegenüber an der erforderlichen Energie nicht fehlen lassen.
Sein Austritt wurde damals durch eine verschiedene Auffassung der Stellung Preu¬
ßens zu Deutschland motivirt, indeß bin ich überzeugt, daß diese Differenz nur
das Aushängeschild war; daß Nodbertus vielmehr vou der Unhaltbarkeit der
damaligen Regierung sich überzeugt und sich für alle Fälle möglich habe erhalten
wollen. Die Ansichten der Linken über das Verhältniß zum Reich haben sich


rungeu gehabt. Eine Verstärkung aus deu Reihen der Bureaukratie würde doch
nicht zu vermeiden sein — es ist beiläufig zu bedauern, daß der allgemein geachtete
Justizminister Märker mit in den Fall des vorigen Ministeriums verwickelt wurde.

Die Hilfsmittel dieser Partei sind leicht zu übersehen. Am entschiedensten
dürste sie die Rheinische Bourgeoisie für sich haben, die eine Trennung der Rhein-
lande von Preußen nicht wünscht, weil sie weder in die Hände der Ultramontanen
uoch in die der Demokraten fallen möchte. In der preußischen Presse hat sie fast
gar keine Unterstützung; ein sehr großer Theil der Grundbesitzer ist ihr, abgesehen
von seiner politischen Meinung, ihrer finanziellen Maßregeln wegen abhold; die
sogenannten konstitutionellen Clubs sind in ihrer suffisance und Halbheit mehr
als erbärmlich, sie sind nicht einmal unbedeutend genug, um unschädlich zu sein;
die Bürgerwehr ist sehr schlecht organisirt, in ihren Ansichten schwankend und hat
auch von ihrem Muth noch keine Probe gegeben. Auf das Heer können die
Whigs nicht unbedingt rechnen und werden auch wohl zögern, es anzuwenden.

Am kräftigsten ist ihr Einfluß noch immer im Frankfurter Parlament. Dieses
hat bisher eine ziemlich theoretische Aufgabe gehabt und war daher für Doctrinärs
ein angemessener Schauplatz. Den doctrinären rhetorischen Anstrich konnte die
ganze Partei nicht verleugnen, Beckerath am wenigsten.

Wenden wir uns nun zur zweiten Eventualität, dem linken Centrum, einem
Ministerium Rodbertus-Waldeck. Das linke Centrum, zum großen Theil
aus „neuen Menschen" bestehend, ist bekanntlich liberaler, als die reine Whig¬
partei, doch würde es schwer sein, genau anzugeben, worin der höhere Grad dieses
Liberalismus eigentlich besteht. Die Abneigung gegen die Constabler nud die ver¬
schiedene Ansicht über polizeiliche Maßregeln werden es doch allein nicht ausmachen.
Der von Waldeck ausgearbeitete Verfassungsentwurf stimmt im Wesentlichen mit
den Ansichten des letzten Cabinets überein; er enthält ein Zweikammersystem, ver¬
wirft aber, wie billig, das von Camphausen vorgeschlagene Oberhaus von Geld¬
notabilitäten. Die erste Kammer soll aus Bezirkswahlcn hervorgehen; es wäre
nun freilich die Hauptsache, wie diese Bezirke organisirt sind. Der von der Linken
eingebrachte Entwurf einer Gemeindeordnung ist völlig unpractisch. Es kommt
darauf an, daß jene Bezirkswahlen eine gewisse politische Bildung bedingen, um
im erforderlichen Fall die aus Unkenntniß hervorgegangen«: Leidenschaftlichkeit der
zweiten Kammer zu mäßigen.

Herr Nodbertns hat schon einige Tage im Ministerium gesessen; er hat es
damals der Kammer gegenüber an der erforderlichen Energie nicht fehlen lassen.
Sein Austritt wurde damals durch eine verschiedene Auffassung der Stellung Preu¬
ßens zu Deutschland motivirt, indeß bin ich überzeugt, daß diese Differenz nur
das Aushängeschild war; daß Nodbertus vielmehr vou der Unhaltbarkeit der
damaligen Regierung sich überzeugt und sich für alle Fälle möglich habe erhalten
wollen. Die Ansichten der Linken über das Verhältniß zum Reich haben sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/488>, abgerufen am 28.09.2024.