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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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dem Ministerium Camphausen aus einem Rechnungsfehler, den halb Deutschland
mit ihm gemacht, einen Vorwurf herleiten zu wollen.

Wodurch fiel dieses Ministerium? Lediglich durch die Schlechtigkeit seiner
Partei. Die lächerliche Frage über Anerkennung oder Nichtanerkennung der März-
revolution, in der sich Camphausen mit der gewohnten Würde, Ehrlichkeit und
-- Ungeschicklichkeit aussprach, wurde von Intriguanten benutzt, um gegen ihn zu
conspiriren. Camphausen that Recht daran, die Regierung aufzugeben, da er sie
mir mit einer schwankenden und unsichern Majorität führen konnte; aber Hanse¬
mann hatte ebenso recht, seine Stellung zu behalten, denn die Finanzwirthschaft
ist eine sehr ernsthafte Frage, und man kann sie nicht dem Ersten Besten überlassen.

Die neue Combination unterschied sich im Princip nicht von der vorigen.
Sowohl in ihrer Stellung zum souveränen Reich als zum souveränen preußischen
Volk und zu der souveränen Berliner Constituante blieb sie deu Ideen Camphan-
seuS treu. Sie warf dieser verschiednen Souveränität die Phrase von der Aner¬
kennung der Revolution als Köder vor, der sie nichts kostete; im Uebrigen war
sie noch weniger geneigt, nach den Gelüsten des souveränen Lindenklnbs zu regie¬
ren, als die vorige Verwaltung. Die "ehrenwerthen" Männer Berlins wurden
durch Constabler scaudalisirt, zu Gunsten der Radicalen, die nach Anstellung be¬
gierig waren, die alten Beamten wurden keineswegs fortgejagt, das Heer wurde
nicht aufgelöst. Im Ganzen machte das neue Ministerium einen schlechtem Ein¬
druck als das alte. Mit Ausnahme Kühlwetter's, dessen brüskes Wesen unnöthig
verletzte, trat keine Persönlichkeit hervor, an die sich irgend eine bestimmte Rich¬
tung, ein bestimmtes Vertrauen heftete; die Regierung hatte nirgend einen festen
Boden; sie hatte in sich selbst keinen festen Halt. Auf der eiuen Seite durch die
Demagogen, auf der andern dnrch die Ncactionärs unterminirt, brach ihre Herr¬
schaft bei dem ersten Conflict in sich selber zusammen. Ihr Abgang war nicht
ganz so aucrteunenswerth, als der Camphausens; sie hatte ihre Ansichten und
ihr Vorhaben nicht klar genug herausgestellt, und sie beging im letzten Augenblick
ihres Verscheidens einen Fehler, der ihre Ungeübtheit im gouvernementalen Metier
verrieth.

Wird bei der jetzigen Krise eine dritte Nuance derselben Partei ans Nuder
kommen? Wird es Beckerath, dem alten Bundesgenossen Camphausens und Auers-
walds, gelinge", eine neue Combination zu Stande zu bringen? Wir hätten
dann dies Princip der Whigherrschast zum drittenmale, mit der einzigen Abwei¬
chung, daß Beckerath, der schou einmal im Reich gewaltet hat, die formelle Hin¬
gebung an das Reich bestimmter aussprechen wird -- eine Hingebung, die unter
den obwaltenden Umständen eine unbedingte Nothwendigkeit genannt werden dürfte.

Es ist nickt zu leugnen, daß die Kapacitäten der alten Laudtagsopvofitiou
ziemlich verbraucht find. Wenn Beckerath vielleicht Mevissen und Aldcnhoven her¬
anzieht, so haben wir dann ziemlich alle Rheinländer von Gewicht in den Regie-


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dem Ministerium Camphausen aus einem Rechnungsfehler, den halb Deutschland
mit ihm gemacht, einen Vorwurf herleiten zu wollen.

Wodurch fiel dieses Ministerium? Lediglich durch die Schlechtigkeit seiner
Partei. Die lächerliche Frage über Anerkennung oder Nichtanerkennung der März-
revolution, in der sich Camphausen mit der gewohnten Würde, Ehrlichkeit und
— Ungeschicklichkeit aussprach, wurde von Intriguanten benutzt, um gegen ihn zu
conspiriren. Camphausen that Recht daran, die Regierung aufzugeben, da er sie
mir mit einer schwankenden und unsichern Majorität führen konnte; aber Hanse¬
mann hatte ebenso recht, seine Stellung zu behalten, denn die Finanzwirthschaft
ist eine sehr ernsthafte Frage, und man kann sie nicht dem Ersten Besten überlassen.

Die neue Combination unterschied sich im Princip nicht von der vorigen.
Sowohl in ihrer Stellung zum souveränen Reich als zum souveränen preußischen
Volk und zu der souveränen Berliner Constituante blieb sie deu Ideen Camphan-
seuS treu. Sie warf dieser verschiednen Souveränität die Phrase von der Aner¬
kennung der Revolution als Köder vor, der sie nichts kostete; im Uebrigen war
sie noch weniger geneigt, nach den Gelüsten des souveränen Lindenklnbs zu regie¬
ren, als die vorige Verwaltung. Die „ehrenwerthen" Männer Berlins wurden
durch Constabler scaudalisirt, zu Gunsten der Radicalen, die nach Anstellung be¬
gierig waren, die alten Beamten wurden keineswegs fortgejagt, das Heer wurde
nicht aufgelöst. Im Ganzen machte das neue Ministerium einen schlechtem Ein¬
druck als das alte. Mit Ausnahme Kühlwetter's, dessen brüskes Wesen unnöthig
verletzte, trat keine Persönlichkeit hervor, an die sich irgend eine bestimmte Rich¬
tung, ein bestimmtes Vertrauen heftete; die Regierung hatte nirgend einen festen
Boden; sie hatte in sich selbst keinen festen Halt. Auf der eiuen Seite durch die
Demagogen, auf der andern dnrch die Ncactionärs unterminirt, brach ihre Herr¬
schaft bei dem ersten Conflict in sich selber zusammen. Ihr Abgang war nicht
ganz so aucrteunenswerth, als der Camphausens; sie hatte ihre Ansichten und
ihr Vorhaben nicht klar genug herausgestellt, und sie beging im letzten Augenblick
ihres Verscheidens einen Fehler, der ihre Ungeübtheit im gouvernementalen Metier
verrieth.

Wird bei der jetzigen Krise eine dritte Nuance derselben Partei ans Nuder
kommen? Wird es Beckerath, dem alten Bundesgenossen Camphausens und Auers-
walds, gelinge», eine neue Combination zu Stande zu bringen? Wir hätten
dann dies Princip der Whigherrschast zum drittenmale, mit der einzigen Abwei¬
chung, daß Beckerath, der schou einmal im Reich gewaltet hat, die formelle Hin¬
gebung an das Reich bestimmter aussprechen wird — eine Hingebung, die unter
den obwaltenden Umständen eine unbedingte Nothwendigkeit genannt werden dürfte.

Es ist nickt zu leugnen, daß die Kapacitäten der alten Laudtagsopvofitiou
ziemlich verbraucht find. Wenn Beckerath vielleicht Mevissen und Aldcnhoven her¬
anzieht, so haben wir dann ziemlich alle Rheinländer von Gewicht in den Regie-


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[0487] dem Ministerium Camphausen aus einem Rechnungsfehler, den halb Deutschland mit ihm gemacht, einen Vorwurf herleiten zu wollen. Wodurch fiel dieses Ministerium? Lediglich durch die Schlechtigkeit seiner Partei. Die lächerliche Frage über Anerkennung oder Nichtanerkennung der März- revolution, in der sich Camphausen mit der gewohnten Würde, Ehrlichkeit und — Ungeschicklichkeit aussprach, wurde von Intriguanten benutzt, um gegen ihn zu conspiriren. Camphausen that Recht daran, die Regierung aufzugeben, da er sie mir mit einer schwankenden und unsichern Majorität führen konnte; aber Hanse¬ mann hatte ebenso recht, seine Stellung zu behalten, denn die Finanzwirthschaft ist eine sehr ernsthafte Frage, und man kann sie nicht dem Ersten Besten überlassen. Die neue Combination unterschied sich im Princip nicht von der vorigen. Sowohl in ihrer Stellung zum souveränen Reich als zum souveränen preußischen Volk und zu der souveränen Berliner Constituante blieb sie deu Ideen Camphan- seuS treu. Sie warf dieser verschiednen Souveränität die Phrase von der Aner¬ kennung der Revolution als Köder vor, der sie nichts kostete; im Uebrigen war sie noch weniger geneigt, nach den Gelüsten des souveränen Lindenklnbs zu regie¬ ren, als die vorige Verwaltung. Die „ehrenwerthen" Männer Berlins wurden durch Constabler scaudalisirt, zu Gunsten der Radicalen, die nach Anstellung be¬ gierig waren, die alten Beamten wurden keineswegs fortgejagt, das Heer wurde nicht aufgelöst. Im Ganzen machte das neue Ministerium einen schlechtem Ein¬ druck als das alte. Mit Ausnahme Kühlwetter's, dessen brüskes Wesen unnöthig verletzte, trat keine Persönlichkeit hervor, an die sich irgend eine bestimmte Rich¬ tung, ein bestimmtes Vertrauen heftete; die Regierung hatte nirgend einen festen Boden; sie hatte in sich selbst keinen festen Halt. Auf der eiuen Seite durch die Demagogen, auf der andern dnrch die Ncactionärs unterminirt, brach ihre Herr¬ schaft bei dem ersten Conflict in sich selber zusammen. Ihr Abgang war nicht ganz so aucrteunenswerth, als der Camphausens; sie hatte ihre Ansichten und ihr Vorhaben nicht klar genug herausgestellt, und sie beging im letzten Augenblick ihres Verscheidens einen Fehler, der ihre Ungeübtheit im gouvernementalen Metier verrieth. Wird bei der jetzigen Krise eine dritte Nuance derselben Partei ans Nuder kommen? Wird es Beckerath, dem alten Bundesgenossen Camphausens und Auers- walds, gelinge», eine neue Combination zu Stande zu bringen? Wir hätten dann dies Princip der Whigherrschast zum drittenmale, mit der einzigen Abwei¬ chung, daß Beckerath, der schou einmal im Reich gewaltet hat, die formelle Hin¬ gebung an das Reich bestimmter aussprechen wird — eine Hingebung, die unter den obwaltenden Umständen eine unbedingte Nothwendigkeit genannt werden dürfte. Es ist nickt zu leugnen, daß die Kapacitäten der alten Laudtagsopvofitiou ziemlich verbraucht find. Wenn Beckerath vielleicht Mevissen und Aldcnhoven her¬ anzieht, so haben wir dann ziemlich alle Rheinländer von Gewicht in den Regie- 61"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/487>, abgerufen am 29.06.2024.