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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Möchten diesem Gomorrha entfliehn und suchen, um der republikanischen Gährung
zu entgehen, ein Asyl in einer bereits fertigen Republik, in den Urwäldern Ame¬
rikas, die sie sich nicht idyllisch genug vorstellen können. Die Armee trägt noch
immer den Grimm des 19. März in sich; sie möchte durch irgend einen großen
Act Ersatz finden für ihre damals gekränkte Ehre, für die Schmähungen, mit
denen man sie seitdem von allen Seiten überhäuft; sie sind unzufrieden über den
Ausgang der dänischen Sache, wo ihnen eben so wenig Genugthuung ward; sie
blicken aus den Prinzen von Preußen als den Vertreter ihres guten Rechts, ob¬
gleich sie sich keine klare Vorstellung machen, was sie eigentlich von ihm erwarten,
denn mau würde sehr irren, wenn man dem größern Theil selbst der Gardeoffiziere
ernsthaft reactionäre Pläne unterschiede. Dabei sieht man mit geheimem Bangen,
wie bei fortdauernder Krisis die Zuverlässigkeit des Militärs selber von Tage zu
Tage schwindet und wie auch dieser letzte Nothanker zu brechen droht.

Daß unsere sogenannte Constituante, oder die Vereinbarnngsversammlung,
in diesen Kreisen nicht viel anders angesehen wird, als ein Jacobinerclnb, wird
Ihnen nicht auffallen; wo man durch gar kein Organ vertreten ist, muthmaßt
man all zu leicht offene Feindseligkeit. Die rechte Seite dieser Versammlung ist
nichts weniger als Ausdruck der Aristokratie, es ist eine blos ministerielle Fraction,
die theils aus Fanatikern der Ruhe, theils aus alten Bureaukraten, theils aus
Anhängern der Opposition unsers alten Landtags besteht, also unserer Whigpartei.
Das verletzende Auftreten der Versammlung gegen den Deputaten von Wirsitz, ihr
beständiges Ankämpfen gegen das bestehende Heerwesen, der Ausschußantrag auf
Aufhebung des Adels -- obgleich man diese eigentlich mit Ruhe ansehen könnte,
die höhere Weltbildung wird sich überall geltend machen und die Meinung, von
der doch das Institut des Adels wesentlich getragen wurde, fragt nach keinem
Gesetz -- endlich aber und vor Allem die Eingriffe in den Geldbeutel des Grund-
besitzes haben die Aristokratie in einen prinzipiellen Gegensatz gegen das bisher
ausschließlich legitimirte Organ des Volkswillens gesetzt. Hier hat also die Ka¬
marilla einen sichern Boden und der von Bülow - Cuunnerow und Arnim-Boitzen-
burg angeregte Verein sür die Wahrung der Interessen des Grundbesitzes hat zum
ersten Mal entschieden die Fahne der tvrystischen Opposition aufgepflanzt, welche
die Preußenvereine und ihre Organe, z. B. die Neue Preußische Zeitung, so wie
das Blatt der militärischen Opposition, die Wehrzeitung, bisher immer versteckten.

Es ist die Frage, was diese Partei für eine Zukunft hat. Ihre Clubs scha¬
den der Sache mehr als sie nützen, denn sie sind unpopulär und reizen das Volk
zu immer heftigerer Opposition. Sie verdienen es zum Theil, denn sie gehen
nicht redlich zu Werke; wie die französischen Legitimisten erkennen sie halb den
neuen Zustand an, halb stellen sie ihn in Frage; sie suhlen nicht klar genug,
daß an eine wirkliche Reaction, d. h. an eine Schmälerung der wesentlichen Volks¬
rechte, nie und unter keinen Umständen zu denken ist. Sie erkennen zu wenig,


Möchten diesem Gomorrha entfliehn und suchen, um der republikanischen Gährung
zu entgehen, ein Asyl in einer bereits fertigen Republik, in den Urwäldern Ame¬
rikas, die sie sich nicht idyllisch genug vorstellen können. Die Armee trägt noch
immer den Grimm des 19. März in sich; sie möchte durch irgend einen großen
Act Ersatz finden für ihre damals gekränkte Ehre, für die Schmähungen, mit
denen man sie seitdem von allen Seiten überhäuft; sie sind unzufrieden über den
Ausgang der dänischen Sache, wo ihnen eben so wenig Genugthuung ward; sie
blicken aus den Prinzen von Preußen als den Vertreter ihres guten Rechts, ob¬
gleich sie sich keine klare Vorstellung machen, was sie eigentlich von ihm erwarten,
denn mau würde sehr irren, wenn man dem größern Theil selbst der Gardeoffiziere
ernsthaft reactionäre Pläne unterschiede. Dabei sieht man mit geheimem Bangen,
wie bei fortdauernder Krisis die Zuverlässigkeit des Militärs selber von Tage zu
Tage schwindet und wie auch dieser letzte Nothanker zu brechen droht.

Daß unsere sogenannte Constituante, oder die Vereinbarnngsversammlung,
in diesen Kreisen nicht viel anders angesehen wird, als ein Jacobinerclnb, wird
Ihnen nicht auffallen; wo man durch gar kein Organ vertreten ist, muthmaßt
man all zu leicht offene Feindseligkeit. Die rechte Seite dieser Versammlung ist
nichts weniger als Ausdruck der Aristokratie, es ist eine blos ministerielle Fraction,
die theils aus Fanatikern der Ruhe, theils aus alten Bureaukraten, theils aus
Anhängern der Opposition unsers alten Landtags besteht, also unserer Whigpartei.
Das verletzende Auftreten der Versammlung gegen den Deputaten von Wirsitz, ihr
beständiges Ankämpfen gegen das bestehende Heerwesen, der Ausschußantrag auf
Aufhebung des Adels — obgleich man diese eigentlich mit Ruhe ansehen könnte,
die höhere Weltbildung wird sich überall geltend machen und die Meinung, von
der doch das Institut des Adels wesentlich getragen wurde, fragt nach keinem
Gesetz — endlich aber und vor Allem die Eingriffe in den Geldbeutel des Grund-
besitzes haben die Aristokratie in einen prinzipiellen Gegensatz gegen das bisher
ausschließlich legitimirte Organ des Volkswillens gesetzt. Hier hat also die Ka¬
marilla einen sichern Boden und der von Bülow - Cuunnerow und Arnim-Boitzen-
burg angeregte Verein sür die Wahrung der Interessen des Grundbesitzes hat zum
ersten Mal entschieden die Fahne der tvrystischen Opposition aufgepflanzt, welche
die Preußenvereine und ihre Organe, z. B. die Neue Preußische Zeitung, so wie
das Blatt der militärischen Opposition, die Wehrzeitung, bisher immer versteckten.

Es ist die Frage, was diese Partei für eine Zukunft hat. Ihre Clubs scha¬
den der Sache mehr als sie nützen, denn sie sind unpopulär und reizen das Volk
zu immer heftigerer Opposition. Sie verdienen es zum Theil, denn sie gehen
nicht redlich zu Werke; wie die französischen Legitimisten erkennen sie halb den
neuen Zustand an, halb stellen sie ihn in Frage; sie suhlen nicht klar genug,
daß an eine wirkliche Reaction, d. h. an eine Schmälerung der wesentlichen Volks¬
rechte, nie und unter keinen Umständen zu denken ist. Sie erkennen zu wenig,


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[0482] Möchten diesem Gomorrha entfliehn und suchen, um der republikanischen Gährung zu entgehen, ein Asyl in einer bereits fertigen Republik, in den Urwäldern Ame¬ rikas, die sie sich nicht idyllisch genug vorstellen können. Die Armee trägt noch immer den Grimm des 19. März in sich; sie möchte durch irgend einen großen Act Ersatz finden für ihre damals gekränkte Ehre, für die Schmähungen, mit denen man sie seitdem von allen Seiten überhäuft; sie sind unzufrieden über den Ausgang der dänischen Sache, wo ihnen eben so wenig Genugthuung ward; sie blicken aus den Prinzen von Preußen als den Vertreter ihres guten Rechts, ob¬ gleich sie sich keine klare Vorstellung machen, was sie eigentlich von ihm erwarten, denn mau würde sehr irren, wenn man dem größern Theil selbst der Gardeoffiziere ernsthaft reactionäre Pläne unterschiede. Dabei sieht man mit geheimem Bangen, wie bei fortdauernder Krisis die Zuverlässigkeit des Militärs selber von Tage zu Tage schwindet und wie auch dieser letzte Nothanker zu brechen droht. Daß unsere sogenannte Constituante, oder die Vereinbarnngsversammlung, in diesen Kreisen nicht viel anders angesehen wird, als ein Jacobinerclnb, wird Ihnen nicht auffallen; wo man durch gar kein Organ vertreten ist, muthmaßt man all zu leicht offene Feindseligkeit. Die rechte Seite dieser Versammlung ist nichts weniger als Ausdruck der Aristokratie, es ist eine blos ministerielle Fraction, die theils aus Fanatikern der Ruhe, theils aus alten Bureaukraten, theils aus Anhängern der Opposition unsers alten Landtags besteht, also unserer Whigpartei. Das verletzende Auftreten der Versammlung gegen den Deputaten von Wirsitz, ihr beständiges Ankämpfen gegen das bestehende Heerwesen, der Ausschußantrag auf Aufhebung des Adels — obgleich man diese eigentlich mit Ruhe ansehen könnte, die höhere Weltbildung wird sich überall geltend machen und die Meinung, von der doch das Institut des Adels wesentlich getragen wurde, fragt nach keinem Gesetz — endlich aber und vor Allem die Eingriffe in den Geldbeutel des Grund- besitzes haben die Aristokratie in einen prinzipiellen Gegensatz gegen das bisher ausschließlich legitimirte Organ des Volkswillens gesetzt. Hier hat also die Ka¬ marilla einen sichern Boden und der von Bülow - Cuunnerow und Arnim-Boitzen- burg angeregte Verein sür die Wahrung der Interessen des Grundbesitzes hat zum ersten Mal entschieden die Fahne der tvrystischen Opposition aufgepflanzt, welche die Preußenvereine und ihre Organe, z. B. die Neue Preußische Zeitung, so wie das Blatt der militärischen Opposition, die Wehrzeitung, bisher immer versteckten. Es ist die Frage, was diese Partei für eine Zukunft hat. Ihre Clubs scha¬ den der Sache mehr als sie nützen, denn sie sind unpopulär und reizen das Volk zu immer heftigerer Opposition. Sie verdienen es zum Theil, denn sie gehen nicht redlich zu Werke; wie die französischen Legitimisten erkennen sie halb den neuen Zustand an, halb stellen sie ihn in Frage; sie suhlen nicht klar genug, daß an eine wirkliche Reaction, d. h. an eine Schmälerung der wesentlichen Volks¬ rechte, nie und unter keinen Umständen zu denken ist. Sie erkennen zu wenig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/482>, abgerufen am 28.09.2024.