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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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den bekannten Ausdruck beizubehalten, die Whigs, die Demokraten, die Radika¬
len; oder ein Ministerium Arnim, Beckerath, Rodbertus-Waldeck, Meder-Eichler
-- Gott verzeihe mir die Sünde.

Der Hauptfehler, an dem das alte System zu Grunde ging, war seine pie¬
tistisch - doctrinäre Richtung. Wenn man Kraft genug hat, ein Volk zu beherr¬
schen, so thut man es, ohne es ihm jeden Augenblick mit schulmeisterlicher suffi¬
sance in's Gesicht zu werfen. Alles erträgt ein Volk, nnr nicht die Forderung,
es solle selber aussprechen, daß seine Bevormundung eine logische Nothwendigkeit
sei. Die Doctrinärs jener Zeit mit ihrem Gefolge von lutherisch-katholisch-evan¬
gelischen Romantikern sind für immer unmöglich geworden. Sie haben aber auch
nie die Hauptstärke der Partei gebildet, welche wir als die eigentlich conser-
vative bezeichnen. Man nahm Eichhorn, Savigny, Thiele in den Kauf, weil
man gut roycilistisch gesinnt war und weil der König Geschmack an dergleichen
fand. Im Uebrigen waren unter den Ministern, wie im höhern Beamtenstande
überhaupt wenig Männer aus der eigentlichen Aristokratie, es waren in der Regel
arme Edelleute, die unbedingt von der Gnade des Königs abhingen. Männer,
wie Arnim und Alvensleben konnten sich auf die Dauer mit den Launen der ab¬
soluten Monarchie nicht stellen. Vielleicht war es ein Fehler von Seiten der to-
rystischen Aristokratie, in den Kämpfen, die der großen Revolution vorhergingen,
sich mit dem Absolutismus identificirt zu haben, sie kamen dadurch bei der neuen
Bewegung in eine höchst ungünstige Stellung. Die Aristokratie, wenn sie klug
ist, kann sich unter jeder Form der Verfassung finden; es liegt nicht blos an dem
Wahlmodus, es liegt auch an dem linkischer Auftreten der Aristokratie, daß sie,
die auf dem vereinigten Landtage bei weitem das Uebergewicht gehabt hatte, in
der Berliner Constituante gar nicht vertreten ist. Zur Aristokratie rechne ich den
Grundadel, die höhere Geistlichkeit und dann freilich die höhern Offiziere. Diese
stehen nun insgesammt in dem gegenwärtigen Augenblick außerhalb des eigentlichen
Staatslebens, ein Nachtheil für beide Seiten, denn sie werden dadurch auf den
anticonstitutionellen Weg hingedrängt. Wäre nicht das Frankfurter Nationalpar¬
lament anders zusammengesetzt, so hätten sie gar keinen Spielraum, sich auf ge¬
setzliche Weise geltend zu machen. Es wäre die Frage, ob ein Zweikammersystem
mit einer Pairskammer die angemessenste Form eines solchen gesetzlichen Kampfes
zwischen der Aristokratie und Demokratie zu nennen ist; anch die englische Ver¬
fassung kann mich davon nicht recht überzeugen. So viel ist aber klar, daß ein
so wichtiges Element des Staats in der Verfassung vertreten sein muß, weil sich
sonst die Entwickelung auf eine einseitige und eben darum gewaltsame und un¬
sichere Weise vollzieht. Für den Augenblick ist zwar unter einem großen Theil
des Grundadels eine resignirte Stimmung eingetreten, wie wir sie nur in der
französischen Revolution gesehen haben, aber ohne die Energie des Hasses, welche
tih französischen Emigrv's zu einem wesentlichen Moment der Cultur machte; sie


den bekannten Ausdruck beizubehalten, die Whigs, die Demokraten, die Radika¬
len; oder ein Ministerium Arnim, Beckerath, Rodbertus-Waldeck, Meder-Eichler
— Gott verzeihe mir die Sünde.

Der Hauptfehler, an dem das alte System zu Grunde ging, war seine pie¬
tistisch - doctrinäre Richtung. Wenn man Kraft genug hat, ein Volk zu beherr¬
schen, so thut man es, ohne es ihm jeden Augenblick mit schulmeisterlicher suffi¬
sance in's Gesicht zu werfen. Alles erträgt ein Volk, nnr nicht die Forderung,
es solle selber aussprechen, daß seine Bevormundung eine logische Nothwendigkeit
sei. Die Doctrinärs jener Zeit mit ihrem Gefolge von lutherisch-katholisch-evan¬
gelischen Romantikern sind für immer unmöglich geworden. Sie haben aber auch
nie die Hauptstärke der Partei gebildet, welche wir als die eigentlich conser-
vative bezeichnen. Man nahm Eichhorn, Savigny, Thiele in den Kauf, weil
man gut roycilistisch gesinnt war und weil der König Geschmack an dergleichen
fand. Im Uebrigen waren unter den Ministern, wie im höhern Beamtenstande
überhaupt wenig Männer aus der eigentlichen Aristokratie, es waren in der Regel
arme Edelleute, die unbedingt von der Gnade des Königs abhingen. Männer,
wie Arnim und Alvensleben konnten sich auf die Dauer mit den Launen der ab¬
soluten Monarchie nicht stellen. Vielleicht war es ein Fehler von Seiten der to-
rystischen Aristokratie, in den Kämpfen, die der großen Revolution vorhergingen,
sich mit dem Absolutismus identificirt zu haben, sie kamen dadurch bei der neuen
Bewegung in eine höchst ungünstige Stellung. Die Aristokratie, wenn sie klug
ist, kann sich unter jeder Form der Verfassung finden; es liegt nicht blos an dem
Wahlmodus, es liegt auch an dem linkischer Auftreten der Aristokratie, daß sie,
die auf dem vereinigten Landtage bei weitem das Uebergewicht gehabt hatte, in
der Berliner Constituante gar nicht vertreten ist. Zur Aristokratie rechne ich den
Grundadel, die höhere Geistlichkeit und dann freilich die höhern Offiziere. Diese
stehen nun insgesammt in dem gegenwärtigen Augenblick außerhalb des eigentlichen
Staatslebens, ein Nachtheil für beide Seiten, denn sie werden dadurch auf den
anticonstitutionellen Weg hingedrängt. Wäre nicht das Frankfurter Nationalpar¬
lament anders zusammengesetzt, so hätten sie gar keinen Spielraum, sich auf ge¬
setzliche Weise geltend zu machen. Es wäre die Frage, ob ein Zweikammersystem
mit einer Pairskammer die angemessenste Form eines solchen gesetzlichen Kampfes
zwischen der Aristokratie und Demokratie zu nennen ist; anch die englische Ver¬
fassung kann mich davon nicht recht überzeugen. So viel ist aber klar, daß ein
so wichtiges Element des Staats in der Verfassung vertreten sein muß, weil sich
sonst die Entwickelung auf eine einseitige und eben darum gewaltsame und un¬
sichere Weise vollzieht. Für den Augenblick ist zwar unter einem großen Theil
des Grundadels eine resignirte Stimmung eingetreten, wie wir sie nur in der
französischen Revolution gesehen haben, aber ohne die Energie des Hasses, welche
tih französischen Emigrv's zu einem wesentlichen Moment der Cultur machte; sie


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[0481] den bekannten Ausdruck beizubehalten, die Whigs, die Demokraten, die Radika¬ len; oder ein Ministerium Arnim, Beckerath, Rodbertus-Waldeck, Meder-Eichler — Gott verzeihe mir die Sünde. Der Hauptfehler, an dem das alte System zu Grunde ging, war seine pie¬ tistisch - doctrinäre Richtung. Wenn man Kraft genug hat, ein Volk zu beherr¬ schen, so thut man es, ohne es ihm jeden Augenblick mit schulmeisterlicher suffi¬ sance in's Gesicht zu werfen. Alles erträgt ein Volk, nnr nicht die Forderung, es solle selber aussprechen, daß seine Bevormundung eine logische Nothwendigkeit sei. Die Doctrinärs jener Zeit mit ihrem Gefolge von lutherisch-katholisch-evan¬ gelischen Romantikern sind für immer unmöglich geworden. Sie haben aber auch nie die Hauptstärke der Partei gebildet, welche wir als die eigentlich conser- vative bezeichnen. Man nahm Eichhorn, Savigny, Thiele in den Kauf, weil man gut roycilistisch gesinnt war und weil der König Geschmack an dergleichen fand. Im Uebrigen waren unter den Ministern, wie im höhern Beamtenstande überhaupt wenig Männer aus der eigentlichen Aristokratie, es waren in der Regel arme Edelleute, die unbedingt von der Gnade des Königs abhingen. Männer, wie Arnim und Alvensleben konnten sich auf die Dauer mit den Launen der ab¬ soluten Monarchie nicht stellen. Vielleicht war es ein Fehler von Seiten der to- rystischen Aristokratie, in den Kämpfen, die der großen Revolution vorhergingen, sich mit dem Absolutismus identificirt zu haben, sie kamen dadurch bei der neuen Bewegung in eine höchst ungünstige Stellung. Die Aristokratie, wenn sie klug ist, kann sich unter jeder Form der Verfassung finden; es liegt nicht blos an dem Wahlmodus, es liegt auch an dem linkischer Auftreten der Aristokratie, daß sie, die auf dem vereinigten Landtage bei weitem das Uebergewicht gehabt hatte, in der Berliner Constituante gar nicht vertreten ist. Zur Aristokratie rechne ich den Grundadel, die höhere Geistlichkeit und dann freilich die höhern Offiziere. Diese stehen nun insgesammt in dem gegenwärtigen Augenblick außerhalb des eigentlichen Staatslebens, ein Nachtheil für beide Seiten, denn sie werden dadurch auf den anticonstitutionellen Weg hingedrängt. Wäre nicht das Frankfurter Nationalpar¬ lament anders zusammengesetzt, so hätten sie gar keinen Spielraum, sich auf ge¬ setzliche Weise geltend zu machen. Es wäre die Frage, ob ein Zweikammersystem mit einer Pairskammer die angemessenste Form eines solchen gesetzlichen Kampfes zwischen der Aristokratie und Demokratie zu nennen ist; anch die englische Ver¬ fassung kann mich davon nicht recht überzeugen. So viel ist aber klar, daß ein so wichtiges Element des Staats in der Verfassung vertreten sein muß, weil sich sonst die Entwickelung auf eine einseitige und eben darum gewaltsame und un¬ sichere Weise vollzieht. Für den Augenblick ist zwar unter einem großen Theil des Grundadels eine resignirte Stimmung eingetreten, wie wir sie nur in der französischen Revolution gesehen haben, aber ohne die Energie des Hasses, welche tih französischen Emigrv's zu einem wesentlichen Moment der Cultur machte; sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/481>, abgerufen am 29.06.2024.