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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Wenn diese Familien aussterben, so können wir überall die lebenslängliche Wahl
des Staatsoberhaupts aus qualificirten Personen haben, aber einen prinzipiellen
Unterschied begründet dies nicht.

Kein Mensch kann vernünftiger Weise läugnen, daß factisch der öffentliche
Wille in Deutschland herrscht. Oder liegt der Schwerpunkt unserer Schicksale
in den Höfen und nicht in den Versammlungen zu Frankfurt, Berlin, Wien?
Warum also aus blos theoretischem Eigensinn uns der unendlichen Gefahr
einer neuen Revolution preisgeben? Gefährlich, weil sie nicht ein natürlicher Aus¬
bruch des allgemeinen Gefühls, sondern willkürlich gemacht, bei den Haaren her¬
beigezogen wäre, weil sie unsere Kräfte überstiege und allen unreinen Elementen
den vollsten Spielraum öffnete. Oder glauben Sie, daß die Gefahr absolutisti¬
scher Reaktion von den Thronen her größer ist, als von glücklichen Usurpatoren
bei Anarchie und allgemeiner Erschöpfung?-- Das ist die Theilung und der Um¬
schwung der öffentlichen Stimmung in Deutschland seit der Revolution. Im An¬
fang steht Alles gegen den Despotismus. Nachdem der Volkskraft freier Raum
geschafft, kämpfen wir für positive Schöpfungen der Freiheit gegen die zwecklose
Fortsetzung der Revolution.


Konstantin Nsszser.


Preußens gegenwärtige Lage.



Sie wollen meine Ansicht hören über die Lage, in welche uns die Abstim^
mung vom 7. September versetzt hat. Ich muß Ihnen im Voraus bemerken, daß
Berlin, so munter es in den letzten Tagen herging, keineswegs der Ort ist, in
welchem die Geschicke des preußischen Staats in letzter Instanz entschieden werden.
Potsdam noch weniger; vou der Paulskirche gar nicht zu reden. Selbst was an
der Eider geschieht, obgleich es tausendmal mehr Gewicht in die Wagschale wirft,
als alle die wohlmeinenden Unterredungen in der Singakademie, im demokratischen
oder constitutionellen Club, ist nicht von dem Einfluß aus die Monarchie Friedrich
des Großen, als -- die Heerzüge der Ranzen und Kroaten. -- Gelingt es den
Magyaren, vielleicht mit dem demokratischen Verein in Wien, den alten Kaiserstaat
auseinander zu reißen, findet für die östreichischen Erdtaube diejenige Centralisation
statt, welche die Deutschgesinnten für die Aufrechthaltung ihrer Nationalität als noth¬
wendig ansehen und in Folge dessen der innige Anschluß an Frankfurt, den man bisher
in Wien nur sehr theoretisch, ganz im Allgemeinen faßt, ohne sich über die nähern
Umstände eines so wichtigen Schrittes irgendwie Rechenschaft zu geben -- dann


"renM-n. til. Is4S.

Wenn diese Familien aussterben, so können wir überall die lebenslängliche Wahl
des Staatsoberhaupts aus qualificirten Personen haben, aber einen prinzipiellen
Unterschied begründet dies nicht.

Kein Mensch kann vernünftiger Weise läugnen, daß factisch der öffentliche
Wille in Deutschland herrscht. Oder liegt der Schwerpunkt unserer Schicksale
in den Höfen und nicht in den Versammlungen zu Frankfurt, Berlin, Wien?
Warum also aus blos theoretischem Eigensinn uns der unendlichen Gefahr
einer neuen Revolution preisgeben? Gefährlich, weil sie nicht ein natürlicher Aus¬
bruch des allgemeinen Gefühls, sondern willkürlich gemacht, bei den Haaren her¬
beigezogen wäre, weil sie unsere Kräfte überstiege und allen unreinen Elementen
den vollsten Spielraum öffnete. Oder glauben Sie, daß die Gefahr absolutisti¬
scher Reaktion von den Thronen her größer ist, als von glücklichen Usurpatoren
bei Anarchie und allgemeiner Erschöpfung?— Das ist die Theilung und der Um¬
schwung der öffentlichen Stimmung in Deutschland seit der Revolution. Im An¬
fang steht Alles gegen den Despotismus. Nachdem der Volkskraft freier Raum
geschafft, kämpfen wir für positive Schöpfungen der Freiheit gegen die zwecklose
Fortsetzung der Revolution.


Konstantin Nsszser.


Preußens gegenwärtige Lage.



Sie wollen meine Ansicht hören über die Lage, in welche uns die Abstim^
mung vom 7. September versetzt hat. Ich muß Ihnen im Voraus bemerken, daß
Berlin, so munter es in den letzten Tagen herging, keineswegs der Ort ist, in
welchem die Geschicke des preußischen Staats in letzter Instanz entschieden werden.
Potsdam noch weniger; vou der Paulskirche gar nicht zu reden. Selbst was an
der Eider geschieht, obgleich es tausendmal mehr Gewicht in die Wagschale wirft,
als alle die wohlmeinenden Unterredungen in der Singakademie, im demokratischen
oder constitutionellen Club, ist nicht von dem Einfluß aus die Monarchie Friedrich
des Großen, als — die Heerzüge der Ranzen und Kroaten. — Gelingt es den
Magyaren, vielleicht mit dem demokratischen Verein in Wien, den alten Kaiserstaat
auseinander zu reißen, findet für die östreichischen Erdtaube diejenige Centralisation
statt, welche die Deutschgesinnten für die Aufrechthaltung ihrer Nationalität als noth¬
wendig ansehen und in Folge dessen der innige Anschluß an Frankfurt, den man bisher
in Wien nur sehr theoretisch, ganz im Allgemeinen faßt, ohne sich über die nähern
Umstände eines so wichtigen Schrittes irgendwie Rechenschaft zu geben — dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/477>, abgerufen am 28.09.2024.