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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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im , dann kann das verständig berechnete Interesse entscheiden, das an der Selbst-
ständigkeit der andern Kreise seine Schranke hat. Erst die Durcharbeitung des
Einzelnen gibt das Recht, an das Ganze Forderungen zu stellen und sie gibt anch
die Discretion, nicht das Blaue vom Himmel zu fordern. Die größte Roheit
und Aufhebung der Freiheit ist eine Staatsform, in der Nichts geschieden ist, son¬
dern gegen jede Einzelheit der Bestimmung unmittelbar das Ganze sich bewegt,
am rohesten in der Demokratie und der vollkommne Widersinn in einem großen
Staate. Die Freiheit besteht darin, daß der einzelne Theil als ein untergeord¬
netes System des ganzen Organismus in seiner Bestimmtheit selbstthätig ist.
Jene Weise ist aber das jetzige Regiment unserer Volksversammlungen, wo jede
über die allgemeinen Fragen ans frivole Weise entscheidet, indem der unverstän¬
dige Egoismus und das leere Pathos den Ausschlag geben. Die Stockung des
Verkehrs, die fortwährende fruchtlose Aufregung steigern das Fieber immer mehr.
Es wird eine Erschlaffung eintreten und von der ruhigen Ausdauer der verstän¬
digen Leute wird es abhängen, daß diese uns nicht um die Frucht des Kampfes
bringt. Denken Sie sich aber aus jenen Elementen einen Eclat, eine republika-
"ische Erhebung hervorgehend. Abgesehn, daß die Feinde der Anarchie stark ge¬
nug siud, es zum Bürgerkrieg kommen zu lassen, so würden die Sieger einen
gleich greifbaren Lohn, unmittelbare Erlösung von allen Leiden verlangen. Sie
würden dem am längsten folgen, der sie am spätesten enttäuschte. Das Reich der
unwissenden Menge, der Demagogen und Sophisten würde uns in den verrückte¬
sten Experimenten um den Erwerb unserer ganzen Bildung bringen.

Die Anhänger der Republik unter dem Volk, auf die sich die Demagogen
berufen, sind theils Unzufriedene aller Art, die unmittelbare Befreiung von Al¬
lem hoffen, was ihnen unbequem ist. So kannte ich einen Mann, der mit sei¬
ner Fran schlecht lebt. Er hofft, daß in der Republik "keiner was zu sagen
hat," daß es keine Gerichte und Pfaffen gibt. Unter Civilehen dachte er
sich, "daß alle Arten Menschen zusammen leben können" ze. Dann aber ist
anch die alte Rauflust und Tobsucht nach langer Lethargie wieder einmal in den
Deutschen erwacht. Die Incroyables der Dörfer und kleinen Städte knallen
den ganzen Tag mit der Büchse, tragen Hcckerhüte und grüne Blousen. Das ist
die Leibgarde unserer Demagogen. Denken Sie sich nnn einen Sieg dieser Par¬
tei! Vielen ist die Verwirrung jetzt schon so groß, daß sie irgend ein Genie, einen
Dictator, wenn es sein muß, einen Tyrannen wünschen, der Ordnung schafft.
Das ist die Ungeduld der schwächliche" Subjectivität, ti? eine solche bequeme und
äußerliche Lösung wünscht. Es ist ein Glück, daß das Volk sich selbst überlassen,
durch eignen Schaden klug werden muß. Bis die Masse durch sittliche Organisa¬
tion und Erziehung aus ihrer jetzigen Roheit gerissen, ist die vernünftige Ent¬
wicklung in die Hände des Mittelstandes gelegt. Denken Sie sich aber die Rr-
vplntjon bis zur völligen Zertrümmerung des bestehenden Organismus getrieben -


im , dann kann das verständig berechnete Interesse entscheiden, das an der Selbst-
ständigkeit der andern Kreise seine Schranke hat. Erst die Durcharbeitung des
Einzelnen gibt das Recht, an das Ganze Forderungen zu stellen und sie gibt anch
die Discretion, nicht das Blaue vom Himmel zu fordern. Die größte Roheit
und Aufhebung der Freiheit ist eine Staatsform, in der Nichts geschieden ist, son¬
dern gegen jede Einzelheit der Bestimmung unmittelbar das Ganze sich bewegt,
am rohesten in der Demokratie und der vollkommne Widersinn in einem großen
Staate. Die Freiheit besteht darin, daß der einzelne Theil als ein untergeord¬
netes System des ganzen Organismus in seiner Bestimmtheit selbstthätig ist.
Jene Weise ist aber das jetzige Regiment unserer Volksversammlungen, wo jede
über die allgemeinen Fragen ans frivole Weise entscheidet, indem der unverstän¬
dige Egoismus und das leere Pathos den Ausschlag geben. Die Stockung des
Verkehrs, die fortwährende fruchtlose Aufregung steigern das Fieber immer mehr.
Es wird eine Erschlaffung eintreten und von der ruhigen Ausdauer der verstän¬
digen Leute wird es abhängen, daß diese uns nicht um die Frucht des Kampfes
bringt. Denken Sie sich aber aus jenen Elementen einen Eclat, eine republika-
«ische Erhebung hervorgehend. Abgesehn, daß die Feinde der Anarchie stark ge¬
nug siud, es zum Bürgerkrieg kommen zu lassen, so würden die Sieger einen
gleich greifbaren Lohn, unmittelbare Erlösung von allen Leiden verlangen. Sie
würden dem am längsten folgen, der sie am spätesten enttäuschte. Das Reich der
unwissenden Menge, der Demagogen und Sophisten würde uns in den verrückte¬
sten Experimenten um den Erwerb unserer ganzen Bildung bringen.

Die Anhänger der Republik unter dem Volk, auf die sich die Demagogen
berufen, sind theils Unzufriedene aller Art, die unmittelbare Befreiung von Al¬
lem hoffen, was ihnen unbequem ist. So kannte ich einen Mann, der mit sei¬
ner Fran schlecht lebt. Er hofft, daß in der Republik „keiner was zu sagen
hat," daß es keine Gerichte und Pfaffen gibt. Unter Civilehen dachte er
sich, „daß alle Arten Menschen zusammen leben können" ze. Dann aber ist
anch die alte Rauflust und Tobsucht nach langer Lethargie wieder einmal in den
Deutschen erwacht. Die Incroyables der Dörfer und kleinen Städte knallen
den ganzen Tag mit der Büchse, tragen Hcckerhüte und grüne Blousen. Das ist
die Leibgarde unserer Demagogen. Denken Sie sich nnn einen Sieg dieser Par¬
tei! Vielen ist die Verwirrung jetzt schon so groß, daß sie irgend ein Genie, einen
Dictator, wenn es sein muß, einen Tyrannen wünschen, der Ordnung schafft.
Das ist die Ungeduld der schwächliche» Subjectivität, ti? eine solche bequeme und
äußerliche Lösung wünscht. Es ist ein Glück, daß das Volk sich selbst überlassen,
durch eignen Schaden klug werden muß. Bis die Masse durch sittliche Organisa¬
tion und Erziehung aus ihrer jetzigen Roheit gerissen, ist die vernünftige Ent¬
wicklung in die Hände des Mittelstandes gelegt. Denken Sie sich aber die Rr-
vplntjon bis zur völligen Zertrümmerung des bestehenden Organismus getrieben -


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/474>, abgerufen am 29.06.2024.