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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sitzen, weniger gefährlich die Blastrten, die eine starke Aufregung wünschen, die Im¬
potenten mit ihren Schwangerschaftsgelüsten nach unerhörten Dingen, grausamen
Scenen u. s. w. die Conspirateur's von Professton, die sich zu uns aus dem
Ausland verirren, endlich die Spitzbuben, die auf die Anarchie speculiren. L-ave
,jm neue und i^res no8 Jo klein^,- ist das geheime Losungswort vieler unserer Re¬
publikaner. Sie sehen, gegen die Republik kämpfen, das heißt jetzt nicht gegen eine
Idee kämpfen, das heißt dafür kämpfen, daß die sittlichen Principien unserer Revo¬
lution nicht ruinirt, sondern ihre Durcharbeitung in einem großen Culturprvceß mög¬
lich werde, es heißt gegen die Desorganisation, gegen die Sophistik, gegen die
Korruption der öffentlichen Moral kämpfen, ja gegen die Verwesung, die Bar¬
barei, die Entfesselung der wüsten'verdorbenen Elemente, welche die lange Hem¬
mung der gesunden Lebenssäfte erzeugt hat. Es gibt uur ein ehrenwerthes Mo¬
ment in unserer republikanischen Opposition, das sind die doctrinären Republika¬
ner. Von diesen nur ein Wort. Doch Sie können Ihren Demokraten nicht län¬
ger bemeistern, Sie fallen mir erzürnt in's Wort: "Wie können Sie meinen rei¬
nen Enthusiasmus mit diesen unreinen Elementen in Verbindung bringen und wie
können Sie von diesen Elementen, selbst bei einer allgemeinen republikanischen Er¬
hebung, Gefahr erwarten?" Mein Freund! Sie sind mehr als Sanguiniker,
wenn Sie diese Gefahr nicht sehen. Sie liegt in dem Zustand unsers ganzen
Volks, in der Unreife der Massen und in der Charakterlosigkeit der gebildeten
Stände.

Man kann nicht sagen, daß die Aufregung erst nach den Märztagen allgemein
geworden. Die Vereine, die Volksversammlungen, Bürgerwehr sind erst seitdem
ins Leben getreten und erhalten das Volk in fortwährender Unrnhe. Es ist jetzt
Sitte unter den Demokraten, die Masse für den Sitz aller Weisheit und Tugend
zu halten. Ich glaube auch, daß ein tüchtiger Fond vorhanden. Bringt man aber
Gegenstände vor das Volk, die gänzlich außerhalb seiner Anschauung und Empfin¬
dung, außerhalb seiner unmittelbaren Interessen liegen, so kann die Entscheidung
nur eine unwissende und frivole sein. Das Volk ist die Beute des Demagogen
der am lautesten schreit, am meisten abstraktes Pathos und Gesinnung in der zotti¬
gen Hochbrust trägt, oder schlimmer noch, der gemeinen Verführung. Das Volk
jauchzt dem Communisten zu, der ihm goldene Berge ohne Mühe und Arbeit ver¬
spricht und doch würde die Abschaffung des Eigenthums den hartnäckigsten Wider¬
stand bei dem Bürger und Bauer bis tief in die dienende Klasse hinein finden.
Nur der Lump ohne Ehrgefühl kann auch nur den Gedanken aushalten, von der
Arbeit anderer zu leben. Die Demokratie kann erst ihre wohlthätige Macht ent¬
wickeln , wenn alle Kreise zur Selbstverwaltung organisirt sein werden, wenn man
nicht mehr von allgemeinen Schlagworten Hilfe erwartet, sondern von der Abstel¬
lung bestimmter Uebelstände in dem einzelnen Kreis, wo jedem lebendige Kennt¬
niß und Erfahrung zu Gebote steht. Dann wird das gesunde Urtheil nicht seh-


sitzen, weniger gefährlich die Blastrten, die eine starke Aufregung wünschen, die Im¬
potenten mit ihren Schwangerschaftsgelüsten nach unerhörten Dingen, grausamen
Scenen u. s. w. die Conspirateur's von Professton, die sich zu uns aus dem
Ausland verirren, endlich die Spitzbuben, die auf die Anarchie speculiren. L-ave
,jm neue und i^res no8 Jo klein^,- ist das geheime Losungswort vieler unserer Re¬
publikaner. Sie sehen, gegen die Republik kämpfen, das heißt jetzt nicht gegen eine
Idee kämpfen, das heißt dafür kämpfen, daß die sittlichen Principien unserer Revo¬
lution nicht ruinirt, sondern ihre Durcharbeitung in einem großen Culturprvceß mög¬
lich werde, es heißt gegen die Desorganisation, gegen die Sophistik, gegen die
Korruption der öffentlichen Moral kämpfen, ja gegen die Verwesung, die Bar¬
barei, die Entfesselung der wüsten'verdorbenen Elemente, welche die lange Hem¬
mung der gesunden Lebenssäfte erzeugt hat. Es gibt uur ein ehrenwerthes Mo¬
ment in unserer republikanischen Opposition, das sind die doctrinären Republika¬
ner. Von diesen nur ein Wort. Doch Sie können Ihren Demokraten nicht län¬
ger bemeistern, Sie fallen mir erzürnt in's Wort: „Wie können Sie meinen rei¬
nen Enthusiasmus mit diesen unreinen Elementen in Verbindung bringen und wie
können Sie von diesen Elementen, selbst bei einer allgemeinen republikanischen Er¬
hebung, Gefahr erwarten?" Mein Freund! Sie sind mehr als Sanguiniker,
wenn Sie diese Gefahr nicht sehen. Sie liegt in dem Zustand unsers ganzen
Volks, in der Unreife der Massen und in der Charakterlosigkeit der gebildeten
Stände.

Man kann nicht sagen, daß die Aufregung erst nach den Märztagen allgemein
geworden. Die Vereine, die Volksversammlungen, Bürgerwehr sind erst seitdem
ins Leben getreten und erhalten das Volk in fortwährender Unrnhe. Es ist jetzt
Sitte unter den Demokraten, die Masse für den Sitz aller Weisheit und Tugend
zu halten. Ich glaube auch, daß ein tüchtiger Fond vorhanden. Bringt man aber
Gegenstände vor das Volk, die gänzlich außerhalb seiner Anschauung und Empfin¬
dung, außerhalb seiner unmittelbaren Interessen liegen, so kann die Entscheidung
nur eine unwissende und frivole sein. Das Volk ist die Beute des Demagogen
der am lautesten schreit, am meisten abstraktes Pathos und Gesinnung in der zotti¬
gen Hochbrust trägt, oder schlimmer noch, der gemeinen Verführung. Das Volk
jauchzt dem Communisten zu, der ihm goldene Berge ohne Mühe und Arbeit ver¬
spricht und doch würde die Abschaffung des Eigenthums den hartnäckigsten Wider¬
stand bei dem Bürger und Bauer bis tief in die dienende Klasse hinein finden.
Nur der Lump ohne Ehrgefühl kann auch nur den Gedanken aushalten, von der
Arbeit anderer zu leben. Die Demokratie kann erst ihre wohlthätige Macht ent¬
wickeln , wenn alle Kreise zur Selbstverwaltung organisirt sein werden, wenn man
nicht mehr von allgemeinen Schlagworten Hilfe erwartet, sondern von der Abstel¬
lung bestimmter Uebelstände in dem einzelnen Kreis, wo jedem lebendige Kennt¬
niß und Erfahrung zu Gebote steht. Dann wird das gesunde Urtheil nicht seh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/473>, abgerufen am 29.06.2024.