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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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in England der Sache nach Republik sei. Fassen wir die heutigen republikani¬
schen Elemente ins Auge. Der geistige Kampf, der unserer Revolution voraus¬
ging, begann mit einem lyrischen Geschrei. Diese Lyrik war nicht das Vorzeichen
der neuen Revolution, sondern der Nachklang der alten. Es handelte sich um
einen Ruck und dann um eine große positive Arbeit. Unsere Dichter predigten einen
Kreuzzug gegen die Tyrannei, sie rüsteten sich auf einen weitaussehenden Krieg :
"drum auf und wohlan bis frei die Welt, sei der Himmel ein einig Kriegerzelt."
Es kam der Tag der Entscheidung und die Poeten waren unglücklicherweise im
Auslande. Soll die Poesie des Kampfes so bald vorüber sein, schon wieder die
Prosa der Alltagsarbeit beginnen? Man hatte so lange geträumt von der Rolle
des Berges, die man zu übernehmen gedachte, von Revolntionstribunalen, Wohl¬
fahrtsausschüssen, Guillotinen, man wollte bis an die Knie im Blut waten.
Nun soll das Alles in ein paar Wochen abgemacht sein? Das Reich der Phan¬
tasten schon vorüber, die Herrschaft des Verstandes, der nachhaltigen Kraft so
schnell an der Reihe? Die Dichter sangen und unreife Studenten declamirten
ihnen nach: "Das ist die Freiheit lang' noch nicht!" Was war denn auch geän¬
dert? Neue Minister, neue Volksvertreter, Reichsversammlung, Preßfreiheit, Asso¬
ciationsrecht, alle möglichen wohlthätigen Gesetze und eine Reichsverfassung in
Aussicht. Lumperei! Die Könige sind noch da, Ordnung herrscht noch, Diplo¬
maten, Generäle, Gerichte, Examina u. s. w. Das ist nnr ein Anflug von Re¬
volution gewesen!

Ein zweites Element der republikanischen Opposition sind die Communisten.
Ihre Faseleien von der Unbrauchbarkeit aller Politik waren angesichts dieser Bewe¬
gung lächerlich geworden. Der deutsche Kommunismus ist nichts als die Nega¬
tion ins Blaue, die Sophistik auf dem ethischen Gebiet. Um noch eine Rolle spie¬
len zu können, müßten die Kommunisten sich an die radikalste politische Partei
anschließen. Sie wußten sich schnell zu sassen. Früher hieß es: "Der Staat ist
ein Institut zur Beherrschung des Volks durch eine bevorrechtete Klasse." Jetzt sagt
man: "Das Königthum ist das Mittel zur Herrschaft der bevorrechteten Klasse. Ein
Staat, wo es keine solche gibt, kann keinen König haben" und was tgi. Blödsinn
mehr. Ihnen schließen sich alle diejenigen an, die einer sittlichen Ausdauer un¬
fähig sind, die statt einer gründlichen Bearbeitung des Detail dem Staat durch
sympathetische Mittel, durch Taschenspielerkünste und durch Pferdekuren helfen wol¬
len, deren Kopf so beschränkt ist, von einem Schlagwort das Heil der Welt zu
erwarten, die wüsten Naturen, die sich in abstraktem Haß befriedigen. Zu die¬
sem Element gehört auch zum Theil der alte Bierbankradikalismus, der in ge¬
wöhnlichen Zeiten seinen Weg trottet und sich begnügt, gegen die Kette zu beißen,
wenn die Polizei oder sein Oberer es nicht hört und dem jetzt es Niemand recht
machen kann. Gefährlicher sind die Ehrgeizigen, die in der allgemeinen Verwir¬
rung eine Rolle zu spielen hoffen, weil sie Verwegenheit und zuweilen Talent be-


in England der Sache nach Republik sei. Fassen wir die heutigen republikani¬
schen Elemente ins Auge. Der geistige Kampf, der unserer Revolution voraus¬
ging, begann mit einem lyrischen Geschrei. Diese Lyrik war nicht das Vorzeichen
der neuen Revolution, sondern der Nachklang der alten. Es handelte sich um
einen Ruck und dann um eine große positive Arbeit. Unsere Dichter predigten einen
Kreuzzug gegen die Tyrannei, sie rüsteten sich auf einen weitaussehenden Krieg :
„drum auf und wohlan bis frei die Welt, sei der Himmel ein einig Kriegerzelt."
Es kam der Tag der Entscheidung und die Poeten waren unglücklicherweise im
Auslande. Soll die Poesie des Kampfes so bald vorüber sein, schon wieder die
Prosa der Alltagsarbeit beginnen? Man hatte so lange geträumt von der Rolle
des Berges, die man zu übernehmen gedachte, von Revolntionstribunalen, Wohl¬
fahrtsausschüssen, Guillotinen, man wollte bis an die Knie im Blut waten.
Nun soll das Alles in ein paar Wochen abgemacht sein? Das Reich der Phan¬
tasten schon vorüber, die Herrschaft des Verstandes, der nachhaltigen Kraft so
schnell an der Reihe? Die Dichter sangen und unreife Studenten declamirten
ihnen nach: „Das ist die Freiheit lang' noch nicht!" Was war denn auch geän¬
dert? Neue Minister, neue Volksvertreter, Reichsversammlung, Preßfreiheit, Asso¬
ciationsrecht, alle möglichen wohlthätigen Gesetze und eine Reichsverfassung in
Aussicht. Lumperei! Die Könige sind noch da, Ordnung herrscht noch, Diplo¬
maten, Generäle, Gerichte, Examina u. s. w. Das ist nnr ein Anflug von Re¬
volution gewesen!

Ein zweites Element der republikanischen Opposition sind die Communisten.
Ihre Faseleien von der Unbrauchbarkeit aller Politik waren angesichts dieser Bewe¬
gung lächerlich geworden. Der deutsche Kommunismus ist nichts als die Nega¬
tion ins Blaue, die Sophistik auf dem ethischen Gebiet. Um noch eine Rolle spie¬
len zu können, müßten die Kommunisten sich an die radikalste politische Partei
anschließen. Sie wußten sich schnell zu sassen. Früher hieß es: „Der Staat ist
ein Institut zur Beherrschung des Volks durch eine bevorrechtete Klasse." Jetzt sagt
man: „Das Königthum ist das Mittel zur Herrschaft der bevorrechteten Klasse. Ein
Staat, wo es keine solche gibt, kann keinen König haben" und was tgi. Blödsinn
mehr. Ihnen schließen sich alle diejenigen an, die einer sittlichen Ausdauer un¬
fähig sind, die statt einer gründlichen Bearbeitung des Detail dem Staat durch
sympathetische Mittel, durch Taschenspielerkünste und durch Pferdekuren helfen wol¬
len, deren Kopf so beschränkt ist, von einem Schlagwort das Heil der Welt zu
erwarten, die wüsten Naturen, die sich in abstraktem Haß befriedigen. Zu die¬
sem Element gehört auch zum Theil der alte Bierbankradikalismus, der in ge¬
wöhnlichen Zeiten seinen Weg trottet und sich begnügt, gegen die Kette zu beißen,
wenn die Polizei oder sein Oberer es nicht hört und dem jetzt es Niemand recht
machen kann. Gefährlicher sind die Ehrgeizigen, die in der allgemeinen Verwir¬
rung eine Rolle zu spielen hoffen, weil sie Verwegenheit und zuweilen Talent be-


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[0472] in England der Sache nach Republik sei. Fassen wir die heutigen republikani¬ schen Elemente ins Auge. Der geistige Kampf, der unserer Revolution voraus¬ ging, begann mit einem lyrischen Geschrei. Diese Lyrik war nicht das Vorzeichen der neuen Revolution, sondern der Nachklang der alten. Es handelte sich um einen Ruck und dann um eine große positive Arbeit. Unsere Dichter predigten einen Kreuzzug gegen die Tyrannei, sie rüsteten sich auf einen weitaussehenden Krieg : „drum auf und wohlan bis frei die Welt, sei der Himmel ein einig Kriegerzelt." Es kam der Tag der Entscheidung und die Poeten waren unglücklicherweise im Auslande. Soll die Poesie des Kampfes so bald vorüber sein, schon wieder die Prosa der Alltagsarbeit beginnen? Man hatte so lange geträumt von der Rolle des Berges, die man zu übernehmen gedachte, von Revolntionstribunalen, Wohl¬ fahrtsausschüssen, Guillotinen, man wollte bis an die Knie im Blut waten. Nun soll das Alles in ein paar Wochen abgemacht sein? Das Reich der Phan¬ tasten schon vorüber, die Herrschaft des Verstandes, der nachhaltigen Kraft so schnell an der Reihe? Die Dichter sangen und unreife Studenten declamirten ihnen nach: „Das ist die Freiheit lang' noch nicht!" Was war denn auch geän¬ dert? Neue Minister, neue Volksvertreter, Reichsversammlung, Preßfreiheit, Asso¬ ciationsrecht, alle möglichen wohlthätigen Gesetze und eine Reichsverfassung in Aussicht. Lumperei! Die Könige sind noch da, Ordnung herrscht noch, Diplo¬ maten, Generäle, Gerichte, Examina u. s. w. Das ist nnr ein Anflug von Re¬ volution gewesen! Ein zweites Element der republikanischen Opposition sind die Communisten. Ihre Faseleien von der Unbrauchbarkeit aller Politik waren angesichts dieser Bewe¬ gung lächerlich geworden. Der deutsche Kommunismus ist nichts als die Nega¬ tion ins Blaue, die Sophistik auf dem ethischen Gebiet. Um noch eine Rolle spie¬ len zu können, müßten die Kommunisten sich an die radikalste politische Partei anschließen. Sie wußten sich schnell zu sassen. Früher hieß es: „Der Staat ist ein Institut zur Beherrschung des Volks durch eine bevorrechtete Klasse." Jetzt sagt man: „Das Königthum ist das Mittel zur Herrschaft der bevorrechteten Klasse. Ein Staat, wo es keine solche gibt, kann keinen König haben" und was tgi. Blödsinn mehr. Ihnen schließen sich alle diejenigen an, die einer sittlichen Ausdauer un¬ fähig sind, die statt einer gründlichen Bearbeitung des Detail dem Staat durch sympathetische Mittel, durch Taschenspielerkünste und durch Pferdekuren helfen wol¬ len, deren Kopf so beschränkt ist, von einem Schlagwort das Heil der Welt zu erwarten, die wüsten Naturen, die sich in abstraktem Haß befriedigen. Zu die¬ sem Element gehört auch zum Theil der alte Bierbankradikalismus, der in ge¬ wöhnlichen Zeiten seinen Weg trottet und sich begnügt, gegen die Kette zu beißen, wenn die Polizei oder sein Oberer es nicht hört und dem jetzt es Niemand recht machen kann. Gefährlicher sind die Ehrgeizigen, die in der allgemeinen Verwir¬ rung eine Rolle zu spielen hoffen, weil sie Verwegenheit und zuweilen Talent be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/472>, abgerufen am 29.06.2024.