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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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die Throne Deutschlands umgeworfen -- Ich bin kein Doctrinär des Constitu-
tionalismus, der den Cultus des Systems auf die Namen und Symbole aus¬
dehnt. Aber es ist nicht geschehen, denn man hatte ein Verbrechen, aber keine
Verbrecher vor sich, höchstens unwissende Doctrinäre, deren Verranntheit bitter
genug gedemüthigt worden, und das Bewußtsein,, daß der Thron nicht der Zweck,
sondern ein Mittel des Staats, lebt längst im deutschen Volk. Der Sturz der
Throne war nicht nöthig und er hätte Deutschland im höchsten Grade bedroht,
nicht mit der Gefahr von Außen, sondern mit unnennbarer Verwirrung im Innern.
Dahlmann hat mit seinem Gerede von der alten Gewohnheit des Gehorsams das
deutsche Volk beleidigt, und doch bedingt das Ansehn der Regierungshandlungen
einen traditionellen Ausgangspunkt. Die Franzosen sind darin viel sclavischer,
wer die öffentlichen Gebäude von Paris hat, dem gehorcht Frankreich, mit einem
Handstreich ist alles abgemacht. Der Besitz Londons würde in dem unermeßlichen
brittischen Staate weder zu Lande noch zur See gegen die gesetzliche Regierung
etwas entscheiden. Aber was kann in Deutschland der Besitz einer Hauptstadt
entscheiden, als die Auflösung des bestehenden Organismus, den Bürgerkrieg und
Bruch der Interessen. Sie halten die Throne für den Sitz des Particularismus.
Eben schlendert man in Leipzig die infamsten und dümmsten Verdächtigungen ge¬
gen Preußen "im Interesse der deutschen Einheit" wegen der Zollerhöhung auf
Seidenwaaren, einer Maßregel, die Preußen auf das Drängen der zahlreichen
Schntzzollpartci in Sachsen, Frankfurt, Süddeutschland u. f. w. angeordnet hat.
Jetzt sagen die edeln Leipziger, Hansemann und Milde hätten den Zoll zum Nutzen
ihrer Privatgeschäfte erhöht, früher schrieen die Schutzzöllner, die preußischen
Minister seien von England bestochen. Der Conflict der materiellen Interessen
würde bei allgemeiner Anarchie nur ungebändigter hervorbrechen und die Particn-
lansativn ins Unendliche fortsetzen. Deutschland würde in Atome zersplittern. Es
gibt keinen Weg zur Einheit als friedliche Verständigung und Vereinigung dnrch
die uoch in Achtung bestehende" Organe. Es ist allerdings zeitraubend und un-
bequem, fortwährend mit den Leidenschaften zu kämpfen, die Anarchie würde sie
mit einem Male aufs Aeußerste treiben und dadurch erschöpfen. Aber wir wür¬
den diesen Zustand uicht überdauern.

Also das Volk ist im März vor den Thronen stehen geblieben, zufrieden,
daß es seinen Kräften Raum geschafft. Es war die Aufgabe seiner Führer, die>
selben zu organistren. Jetzt erst nach der Märzrevolution erschien die republika¬
nische Opposition und suchte die Aufregung künstlich zu nähren, um nachträglich
und unnatürlich bei den Haaren herbeizuziehen, wozu der große Jnstinct der Re¬
volution nicht gedrängt hatte. Es gibt in Deutschland wenig Republikaner von
gestern. Die Cvmmmnsten waren über alle Politik hinaus, das Pathos der
Dichter war negativ, unklarer Haß gegen die Tyrannei. Einige Theoretiker be¬
gnügten sich mit dem Bewußtsein, daß der durchgeführte Constitutionalismus schon
*


die Throne Deutschlands umgeworfen — Ich bin kein Doctrinär des Constitu-
tionalismus, der den Cultus des Systems auf die Namen und Symbole aus¬
dehnt. Aber es ist nicht geschehen, denn man hatte ein Verbrechen, aber keine
Verbrecher vor sich, höchstens unwissende Doctrinäre, deren Verranntheit bitter
genug gedemüthigt worden, und das Bewußtsein,, daß der Thron nicht der Zweck,
sondern ein Mittel des Staats, lebt längst im deutschen Volk. Der Sturz der
Throne war nicht nöthig und er hätte Deutschland im höchsten Grade bedroht,
nicht mit der Gefahr von Außen, sondern mit unnennbarer Verwirrung im Innern.
Dahlmann hat mit seinem Gerede von der alten Gewohnheit des Gehorsams das
deutsche Volk beleidigt, und doch bedingt das Ansehn der Regierungshandlungen
einen traditionellen Ausgangspunkt. Die Franzosen sind darin viel sclavischer,
wer die öffentlichen Gebäude von Paris hat, dem gehorcht Frankreich, mit einem
Handstreich ist alles abgemacht. Der Besitz Londons würde in dem unermeßlichen
brittischen Staate weder zu Lande noch zur See gegen die gesetzliche Regierung
etwas entscheiden. Aber was kann in Deutschland der Besitz einer Hauptstadt
entscheiden, als die Auflösung des bestehenden Organismus, den Bürgerkrieg und
Bruch der Interessen. Sie halten die Throne für den Sitz des Particularismus.
Eben schlendert man in Leipzig die infamsten und dümmsten Verdächtigungen ge¬
gen Preußen „im Interesse der deutschen Einheit" wegen der Zollerhöhung auf
Seidenwaaren, einer Maßregel, die Preußen auf das Drängen der zahlreichen
Schntzzollpartci in Sachsen, Frankfurt, Süddeutschland u. f. w. angeordnet hat.
Jetzt sagen die edeln Leipziger, Hansemann und Milde hätten den Zoll zum Nutzen
ihrer Privatgeschäfte erhöht, früher schrieen die Schutzzöllner, die preußischen
Minister seien von England bestochen. Der Conflict der materiellen Interessen
würde bei allgemeiner Anarchie nur ungebändigter hervorbrechen und die Particn-
lansativn ins Unendliche fortsetzen. Deutschland würde in Atome zersplittern. Es
gibt keinen Weg zur Einheit als friedliche Verständigung und Vereinigung dnrch
die uoch in Achtung bestehende» Organe. Es ist allerdings zeitraubend und un-
bequem, fortwährend mit den Leidenschaften zu kämpfen, die Anarchie würde sie
mit einem Male aufs Aeußerste treiben und dadurch erschöpfen. Aber wir wür¬
den diesen Zustand uicht überdauern.

Also das Volk ist im März vor den Thronen stehen geblieben, zufrieden,
daß es seinen Kräften Raum geschafft. Es war die Aufgabe seiner Führer, die>
selben zu organistren. Jetzt erst nach der Märzrevolution erschien die republika¬
nische Opposition und suchte die Aufregung künstlich zu nähren, um nachträglich
und unnatürlich bei den Haaren herbeizuziehen, wozu der große Jnstinct der Re¬
volution nicht gedrängt hatte. Es gibt in Deutschland wenig Republikaner von
gestern. Die Cvmmmnsten waren über alle Politik hinaus, das Pathos der
Dichter war negativ, unklarer Haß gegen die Tyrannei. Einige Theoretiker be¬
gnügten sich mit dem Bewußtsein, daß der durchgeführte Constitutionalismus schon
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[0471] die Throne Deutschlands umgeworfen — Ich bin kein Doctrinär des Constitu- tionalismus, der den Cultus des Systems auf die Namen und Symbole aus¬ dehnt. Aber es ist nicht geschehen, denn man hatte ein Verbrechen, aber keine Verbrecher vor sich, höchstens unwissende Doctrinäre, deren Verranntheit bitter genug gedemüthigt worden, und das Bewußtsein,, daß der Thron nicht der Zweck, sondern ein Mittel des Staats, lebt längst im deutschen Volk. Der Sturz der Throne war nicht nöthig und er hätte Deutschland im höchsten Grade bedroht, nicht mit der Gefahr von Außen, sondern mit unnennbarer Verwirrung im Innern. Dahlmann hat mit seinem Gerede von der alten Gewohnheit des Gehorsams das deutsche Volk beleidigt, und doch bedingt das Ansehn der Regierungshandlungen einen traditionellen Ausgangspunkt. Die Franzosen sind darin viel sclavischer, wer die öffentlichen Gebäude von Paris hat, dem gehorcht Frankreich, mit einem Handstreich ist alles abgemacht. Der Besitz Londons würde in dem unermeßlichen brittischen Staate weder zu Lande noch zur See gegen die gesetzliche Regierung etwas entscheiden. Aber was kann in Deutschland der Besitz einer Hauptstadt entscheiden, als die Auflösung des bestehenden Organismus, den Bürgerkrieg und Bruch der Interessen. Sie halten die Throne für den Sitz des Particularismus. Eben schlendert man in Leipzig die infamsten und dümmsten Verdächtigungen ge¬ gen Preußen „im Interesse der deutschen Einheit" wegen der Zollerhöhung auf Seidenwaaren, einer Maßregel, die Preußen auf das Drängen der zahlreichen Schntzzollpartci in Sachsen, Frankfurt, Süddeutschland u. f. w. angeordnet hat. Jetzt sagen die edeln Leipziger, Hansemann und Milde hätten den Zoll zum Nutzen ihrer Privatgeschäfte erhöht, früher schrieen die Schutzzöllner, die preußischen Minister seien von England bestochen. Der Conflict der materiellen Interessen würde bei allgemeiner Anarchie nur ungebändigter hervorbrechen und die Particn- lansativn ins Unendliche fortsetzen. Deutschland würde in Atome zersplittern. Es gibt keinen Weg zur Einheit als friedliche Verständigung und Vereinigung dnrch die uoch in Achtung bestehende» Organe. Es ist allerdings zeitraubend und un- bequem, fortwährend mit den Leidenschaften zu kämpfen, die Anarchie würde sie mit einem Male aufs Aeußerste treiben und dadurch erschöpfen. Aber wir wür¬ den diesen Zustand uicht überdauern. Also das Volk ist im März vor den Thronen stehen geblieben, zufrieden, daß es seinen Kräften Raum geschafft. Es war die Aufgabe seiner Führer, die> selben zu organistren. Jetzt erst nach der Märzrevolution erschien die republika¬ nische Opposition und suchte die Aufregung künstlich zu nähren, um nachträglich und unnatürlich bei den Haaren herbeizuziehen, wozu der große Jnstinct der Re¬ volution nicht gedrängt hatte. Es gibt in Deutschland wenig Republikaner von gestern. Die Cvmmmnsten waren über alle Politik hinaus, das Pathos der Dichter war negativ, unklarer Haß gegen die Tyrannei. Einige Theoretiker be¬ gnügten sich mit dem Bewußtsein, daß der durchgeführte Constitutionalismus schon * Sö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/471>, abgerufen am 28.09.2024.