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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Der Charakter unserer Revolution hat sich wesentlich verändert. Es ist schon
möglich einen Rückblick ans ihren Gang zu werfen, weil ein Theil derselben bereits
einen Abschluß erhalten. Im ersten Stadium stehen sich Reaction und Revolution,
das alte System und die neue Zeit einfach gegenüber. Es gibt noch immer Men¬
schen , in deren Stimmung der Huß gegen das alte System den Grundton bildet.
Dieser Haß ist sehr ehrenwerth, aber ich wünschte diesen wackern Leuten soviel
Elasticität, um wahrzunehmen, daß ihr Haß keinen Gegenstand mehr hat. Das
alte System hat unerhört gesündigt, nicht durch Schandthaten -- wenn wir auf
ganz Deutschland sehen, die Bestreitung der Kosten des Metternich'schen Briefwech¬
sels ist nur ein östreichisches Factum -- sondern durch das, was es hemmte. Es
ist die wahre Sünde wider den heiligen Geist, den Schöpsnngsdrang eines großen
Volkes zurückzuhalten. Und warum geschah dieses Verbrechen? Aus Unfähigkeit,
den Geist der Zeit zu verstehn und aus -- Doktrin. Die Unzufriedenheit, die
Erbitterung war allgemein und doch wußte man die Fessel nicht zu brechen! Da¬
mals setzte Held einen Preis auf das Mittel, zu machen, daß der Gedanke, den
Alle zu verschiedenen Zeiten haben, in demselben Moment Alle ergreife und daß
dies von Allen gewußt werde. Er wußte recht gut, wo die Schwierigkeit lag.
Mag der Zündstoff noch so verbreitet sein, er will entzündet werden. Doch der
Moment mußte kommen, und er kam. Wie nun? Der Felsblock, der uns den
Weg versperrte, zu dessen Beseitigung wir übermenschlicher Kräfte zu bedürfen
glaubten, er wich vor einem Hauch. Vor uns liegt das weite Feld der Organi¬
sation. Sie entgegnen: also die Revolution wäre schon im März beendigt gewe¬
sen? Haben wir darum den bittern Haß der Tyrannei so lange mit unsern besten
Kräften genährt? Kann uns genügen, daß sie jetzt machtlos ist? Dürfen wir
ruhen, bis eine vollgenügend weite Rache sie ganz verschlang? Hören Sie.

Die Hinrichtung Ludwigs XVI. war die Strafe für den Frevel des I'"t"t
":'<?"t moi. Ans diesen Uebermuth braucht die Geschichte nur einmal zu antworten,
er lag im Jahr 1848 nicht vor. Es handelt sich 1848 nicht mehr darum, das
Prinzip der Freiheit durch blutige Symbole in die Herzen der Menschen zu pflan¬
zen , es handelt sich um die Organisation der Demokratie, deren Gedanke längst
das Eigenthum des Volks. Louis Philipp fiel nicht als der Träger eines feind¬
lichen Prinzips, sondern als das Haupt einer gemeinen Partei, als abschreckendes
Beispiel sür unermüdliche Intriguanten auf einem stets empfänglichen Boden. Die
Menschen, nicht die Prinzipien haben bis jetzt in Frankreich gewechselt. Die Prin¬
zipien der neuen Zeit, bei ihrer unreifen Gestalt, sind nach kurzer Zeit wieder in
der Opposition. Nur die Reform, nicht die Revolution kann sie ausführen. Es
ist Zeichen der höchsten Unreife, es ist Wahnsinn, sie auf revolutionärem Wege
verwirklichen zu wollen. Aber in Deutschland gebt der Demokratie Raum und
wir dürfen hoffen im Wege der anhaltenden Arbeit Alles zu erreichen. Mit dem
Königthum? Ja, mit dem Königthum. Hätte der Sturm des Unwillens im März


Der Charakter unserer Revolution hat sich wesentlich verändert. Es ist schon
möglich einen Rückblick ans ihren Gang zu werfen, weil ein Theil derselben bereits
einen Abschluß erhalten. Im ersten Stadium stehen sich Reaction und Revolution,
das alte System und die neue Zeit einfach gegenüber. Es gibt noch immer Men¬
schen , in deren Stimmung der Huß gegen das alte System den Grundton bildet.
Dieser Haß ist sehr ehrenwerth, aber ich wünschte diesen wackern Leuten soviel
Elasticität, um wahrzunehmen, daß ihr Haß keinen Gegenstand mehr hat. Das
alte System hat unerhört gesündigt, nicht durch Schandthaten — wenn wir auf
ganz Deutschland sehen, die Bestreitung der Kosten des Metternich'schen Briefwech¬
sels ist nur ein östreichisches Factum — sondern durch das, was es hemmte. Es
ist die wahre Sünde wider den heiligen Geist, den Schöpsnngsdrang eines großen
Volkes zurückzuhalten. Und warum geschah dieses Verbrechen? Aus Unfähigkeit,
den Geist der Zeit zu verstehn und aus — Doktrin. Die Unzufriedenheit, die
Erbitterung war allgemein und doch wußte man die Fessel nicht zu brechen! Da¬
mals setzte Held einen Preis auf das Mittel, zu machen, daß der Gedanke, den
Alle zu verschiedenen Zeiten haben, in demselben Moment Alle ergreife und daß
dies von Allen gewußt werde. Er wußte recht gut, wo die Schwierigkeit lag.
Mag der Zündstoff noch so verbreitet sein, er will entzündet werden. Doch der
Moment mußte kommen, und er kam. Wie nun? Der Felsblock, der uns den
Weg versperrte, zu dessen Beseitigung wir übermenschlicher Kräfte zu bedürfen
glaubten, er wich vor einem Hauch. Vor uns liegt das weite Feld der Organi¬
sation. Sie entgegnen: also die Revolution wäre schon im März beendigt gewe¬
sen? Haben wir darum den bittern Haß der Tyrannei so lange mit unsern besten
Kräften genährt? Kann uns genügen, daß sie jetzt machtlos ist? Dürfen wir
ruhen, bis eine vollgenügend weite Rache sie ganz verschlang? Hören Sie.

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er lag im Jahr 1848 nicht vor. Es handelt sich 1848 nicht mehr darum, das
Prinzip der Freiheit durch blutige Symbole in die Herzen der Menschen zu pflan¬
zen , es handelt sich um die Organisation der Demokratie, deren Gedanke längst
das Eigenthum des Volks. Louis Philipp fiel nicht als der Träger eines feind¬
lichen Prinzips, sondern als das Haupt einer gemeinen Partei, als abschreckendes
Beispiel sür unermüdliche Intriguanten auf einem stets empfänglichen Boden. Die
Menschen, nicht die Prinzipien haben bis jetzt in Frankreich gewechselt. Die Prin¬
zipien der neuen Zeit, bei ihrer unreifen Gestalt, sind nach kurzer Zeit wieder in
der Opposition. Nur die Reform, nicht die Revolution kann sie ausführen. Es
ist Zeichen der höchsten Unreife, es ist Wahnsinn, sie auf revolutionärem Wege
verwirklichen zu wollen. Aber in Deutschland gebt der Demokratie Raum und
wir dürfen hoffen im Wege der anhaltenden Arbeit Alles zu erreichen. Mit dem
Königthum? Ja, mit dem Königthum. Hätte der Sturm des Unwillens im März


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/470>, abgerufen am 29.06.2024.