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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Offene Briefe.
n.
Herrn B. F., Demokraten in Wien.

Lieber Freund? Sie sind noch von dem Taumel der Märztage berauscht,
mehr noch, wie es scheint, von der Wiener Demokratie. Seit dem April, wo
Sie Mitteldeutschland verließen, ist unsere Revolution in ein anderes Stadium
getreten. Sie haben diese Entwickelung versäumt, indem Sie unter dem Freiheits¬
jubel der Wiener, welcher den Rausch permanent macht, Deutschland aus den
Augen verloren. Sie waren bei Ihrer Wiederkehr in diesen Tagen erstaunt, uns
verändert zu finden, und ihr flüchtiger Aufenthalt erlaubte nicht, es Ihnen zu
erklären. Sie hoffen von den Wienern die Rettung Deutschlands, nachdem die
übrigen Deutschen sich dazu unfähig erwiesen. Sie wollen Italien und Polen im
Stich lassen, ohne unsere Grenzen zu sichern und ohne zu wissen, an wen die
Herrschaft übergeht. Sie wollen Ungarn mit seinen deutschen und slavischen Be¬
wohnern, mit den Deutschen Siebenbürgens, mit den slavischen Nebenländern ohne
Weiteres den Magyaren überantworten. Deutschöstreich soll in Deutschland auf¬
gehn, aber in einer deutschen Republik, die uns die Wiener bringen werden. Die
Frankfurter Centralgewalt verachteten Sie als einen ohnmächtigen Popanz, aber
der Zufall will, daß sie zu dem glorreichen Tage nach Frankfurt kommen, wo die
Centren mit der Linken sich geeinigt, einen Waffenstillstandsbruch zu beschließen,
und Sie sehen in diesem Factum eine Erhebung, schöpfen daraus bessere Hoffnung
auf die Centralgewalt und schwärmen für ein Ministerium der Linken! Das sind
viel Illusionen auf einmal. Die Leute mit solchen Ansichten sind jetzt unsere
Gegner. Mit diesen streiten wir nicht, denn diejenigen unter ihnen, welche einer
Einsicht fähig sind, kennen den Werth solcher Forderungen recht gut. Sie aber
möchte ich bekehren, zumal wenn sich Ihnen eine publicistische Laufbahn öffnet.
Bei Ihnen ist es der unschuldige Enthusiasmus der ersten Revolutionstage, der
sich überschlägt, weil in dem gemüthlichen Säbelgerassel der Wiener Demokratie
die übrige Welt ihm zu lange abhanden gekommen.


Grenzboten. III. ihl".
Offene Briefe.
n.
Herrn B. F., Demokraten in Wien.

Lieber Freund? Sie sind noch von dem Taumel der Märztage berauscht,
mehr noch, wie es scheint, von der Wiener Demokratie. Seit dem April, wo
Sie Mitteldeutschland verließen, ist unsere Revolution in ein anderes Stadium
getreten. Sie haben diese Entwickelung versäumt, indem Sie unter dem Freiheits¬
jubel der Wiener, welcher den Rausch permanent macht, Deutschland aus den
Augen verloren. Sie waren bei Ihrer Wiederkehr in diesen Tagen erstaunt, uns
verändert zu finden, und ihr flüchtiger Aufenthalt erlaubte nicht, es Ihnen zu
erklären. Sie hoffen von den Wienern die Rettung Deutschlands, nachdem die
übrigen Deutschen sich dazu unfähig erwiesen. Sie wollen Italien und Polen im
Stich lassen, ohne unsere Grenzen zu sichern und ohne zu wissen, an wen die
Herrschaft übergeht. Sie wollen Ungarn mit seinen deutschen und slavischen Be¬
wohnern, mit den Deutschen Siebenbürgens, mit den slavischen Nebenländern ohne
Weiteres den Magyaren überantworten. Deutschöstreich soll in Deutschland auf¬
gehn, aber in einer deutschen Republik, die uns die Wiener bringen werden. Die
Frankfurter Centralgewalt verachteten Sie als einen ohnmächtigen Popanz, aber
der Zufall will, daß sie zu dem glorreichen Tage nach Frankfurt kommen, wo die
Centren mit der Linken sich geeinigt, einen Waffenstillstandsbruch zu beschließen,
und Sie sehen in diesem Factum eine Erhebung, schöpfen daraus bessere Hoffnung
auf die Centralgewalt und schwärmen für ein Ministerium der Linken! Das sind
viel Illusionen auf einmal. Die Leute mit solchen Ansichten sind jetzt unsere
Gegner. Mit diesen streiten wir nicht, denn diejenigen unter ihnen, welche einer
Einsicht fähig sind, kennen den Werth solcher Forderungen recht gut. Sie aber
möchte ich bekehren, zumal wenn sich Ihnen eine publicistische Laufbahn öffnet.
Bei Ihnen ist es der unschuldige Enthusiasmus der ersten Revolutionstage, der
sich überschlägt, weil in dem gemüthlichen Säbelgerassel der Wiener Demokratie
die übrige Welt ihm zu lange abhanden gekommen.


Grenzboten. III. ihl».
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[0469] Offene Briefe. n. Herrn B. F., Demokraten in Wien. Lieber Freund? Sie sind noch von dem Taumel der Märztage berauscht, mehr noch, wie es scheint, von der Wiener Demokratie. Seit dem April, wo Sie Mitteldeutschland verließen, ist unsere Revolution in ein anderes Stadium getreten. Sie haben diese Entwickelung versäumt, indem Sie unter dem Freiheits¬ jubel der Wiener, welcher den Rausch permanent macht, Deutschland aus den Augen verloren. Sie waren bei Ihrer Wiederkehr in diesen Tagen erstaunt, uns verändert zu finden, und ihr flüchtiger Aufenthalt erlaubte nicht, es Ihnen zu erklären. Sie hoffen von den Wienern die Rettung Deutschlands, nachdem die übrigen Deutschen sich dazu unfähig erwiesen. Sie wollen Italien und Polen im Stich lassen, ohne unsere Grenzen zu sichern und ohne zu wissen, an wen die Herrschaft übergeht. Sie wollen Ungarn mit seinen deutschen und slavischen Be¬ wohnern, mit den Deutschen Siebenbürgens, mit den slavischen Nebenländern ohne Weiteres den Magyaren überantworten. Deutschöstreich soll in Deutschland auf¬ gehn, aber in einer deutschen Republik, die uns die Wiener bringen werden. Die Frankfurter Centralgewalt verachteten Sie als einen ohnmächtigen Popanz, aber der Zufall will, daß sie zu dem glorreichen Tage nach Frankfurt kommen, wo die Centren mit der Linken sich geeinigt, einen Waffenstillstandsbruch zu beschließen, und Sie sehen in diesem Factum eine Erhebung, schöpfen daraus bessere Hoffnung auf die Centralgewalt und schwärmen für ein Ministerium der Linken! Das sind viel Illusionen auf einmal. Die Leute mit solchen Ansichten sind jetzt unsere Gegner. Mit diesen streiten wir nicht, denn diejenigen unter ihnen, welche einer Einsicht fähig sind, kennen den Werth solcher Forderungen recht gut. Sie aber möchte ich bekehren, zumal wenn sich Ihnen eine publicistische Laufbahn öffnet. Bei Ihnen ist es der unschuldige Enthusiasmus der ersten Revolutionstage, der sich überschlägt, weil in dem gemüthlichen Säbelgerassel der Wiener Demokratie die übrige Welt ihm zu lange abhanden gekommen. Grenzboten. III. ihl».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/469>, abgerufen am 29.06.2024.