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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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wollten sogleich abreisen; man kann nicht sagen, ob die Empörung größer war
oder die Niedergeschlagenheit.

Als in einem engen Kreise die Thronrede vorgelesen wurde und Alles außer
sich war über diese Demonstration, welche in die heiligsten Gefühle des Volks
einschnitt, blieb Jacoby in seiner gewöhnlichen Stille. "So hat noch nie ein
König zu seinem Volk gesprochen!" rief der eine. "Doch," sagte Jacoby, "Karl I."
Mich frappirte das: ist das ein Politiker, der eine ernsthafte Situation mit einem
Bonmot abmacht? denn ein Bonmot war es, nicht natürliche Empfindung.

Der liberale Adreßentwurf war Jacoby nicht scharf genug; es hieß, er wolle
im Verein mit einigen Ostpreußen von der entschiednen Richtung eine stärkere ent¬
werfen. Es wurde nichts daraus; im Gegentheil wußte Auerswald'S diplomatische
Schlauheit, um eine Majorität hervorzubringen, die Bestimmtheit der Opposition
mit einer Phrase zu überdecken, die eben so wenig logisch als männlich war. Der
"große Schritt" war verfehlt, wie es das Schicksal aller großen Schritte ans die¬
sem Landtag war, Jacoby blieb noch einige Zeit, seine Verstimmung zu nähren
und machte daun eine weitere Reise, wo er sich im Umgange, mit "entschiedenen"
süddeutschen Radikalen von dem schlechten Eindrucke, den seine La^idsleute ans ihn
gemacht haben, erholt haben mag.

Wir wollen doch nicht vergessen, daß diesem Landtag, so viel man mit Recht
an ihm auszusetzen hat, im Ganzen ein sehr wohlthätiger Einfluß auf die Ent¬
wickelung des liberalen Bewußtseins in Preußen nicht abzusprechen ist. Er hat
die Ideen populär gemacht, die früher nur den Eingeweihten zugänglich waren;
er hat sie legalisirt. Er hat ferner die Ohnmacht des absoluten Staates an den
Tag gelegt und dem Volte durch populäre, allgemein geachtete Namen einen Halt
seines Selbstgefühls gegeben. Man mag jetzt über Vincke hinaus sein s" weit
man will, an seinen Namen knüpft sich die erste Phase der preußischen freien
Politik.

Im Laufe dieses Landtages trennte sich die radikale -- außerhalb der politi¬
schen Institutionen steheude -- Ansicht entschieden von der liberalen; sie liebte es
damals, auf der einen Seite mit dem Socialismus, ans der andern mit dem Po-
lizeistaat zu coquettiren. Ich erinnere uur an die Zeitungshalle. Man fühlte,
oder man glaubte zu fühlen, daß der Unterschied uicht nur ein quantitativer sei,
daß er sich anch auf deu Inhalt erstrecke.

Es kam die Revolution. In Königsberg war es schon vor dem 1". März
zu Unruhen gekommen, sie waren aber erfolglos geblieben. Nun kam die Barri¬
kadennacht in Berlin; Berlin, die wegen ihres Servilismus und ihrer Blasirtheit
so verachtete Residenz, war dem gestnnnngstüchtigen Königsberg vorangegangen!
Man schämte sich, man fühlte den unbestimmten Drang, irgend etwas Bedeutendes
zu thun; aber was! -- Der Absolutismus in Preußen ist geschlagen, aber er
besteht noch in Rußland, Rußland ist mit dem König verschwägert, es besteht


wollten sogleich abreisen; man kann nicht sagen, ob die Empörung größer war
oder die Niedergeschlagenheit.

Als in einem engen Kreise die Thronrede vorgelesen wurde und Alles außer
sich war über diese Demonstration, welche in die heiligsten Gefühle des Volks
einschnitt, blieb Jacoby in seiner gewöhnlichen Stille. „So hat noch nie ein
König zu seinem Volk gesprochen!" rief der eine. „Doch," sagte Jacoby, „Karl I."
Mich frappirte das: ist das ein Politiker, der eine ernsthafte Situation mit einem
Bonmot abmacht? denn ein Bonmot war es, nicht natürliche Empfindung.

Der liberale Adreßentwurf war Jacoby nicht scharf genug; es hieß, er wolle
im Verein mit einigen Ostpreußen von der entschiednen Richtung eine stärkere ent¬
werfen. Es wurde nichts daraus; im Gegentheil wußte Auerswald'S diplomatische
Schlauheit, um eine Majorität hervorzubringen, die Bestimmtheit der Opposition
mit einer Phrase zu überdecken, die eben so wenig logisch als männlich war. Der
„große Schritt" war verfehlt, wie es das Schicksal aller großen Schritte ans die¬
sem Landtag war, Jacoby blieb noch einige Zeit, seine Verstimmung zu nähren
und machte daun eine weitere Reise, wo er sich im Umgange, mit „entschiedenen"
süddeutschen Radikalen von dem schlechten Eindrucke, den seine La^idsleute ans ihn
gemacht haben, erholt haben mag.

Wir wollen doch nicht vergessen, daß diesem Landtag, so viel man mit Recht
an ihm auszusetzen hat, im Ganzen ein sehr wohlthätiger Einfluß auf die Ent¬
wickelung des liberalen Bewußtseins in Preußen nicht abzusprechen ist. Er hat
die Ideen populär gemacht, die früher nur den Eingeweihten zugänglich waren;
er hat sie legalisirt. Er hat ferner die Ohnmacht des absoluten Staates an den
Tag gelegt und dem Volte durch populäre, allgemein geachtete Namen einen Halt
seines Selbstgefühls gegeben. Man mag jetzt über Vincke hinaus sein s» weit
man will, an seinen Namen knüpft sich die erste Phase der preußischen freien
Politik.

Im Laufe dieses Landtages trennte sich die radikale — außerhalb der politi¬
schen Institutionen steheude — Ansicht entschieden von der liberalen; sie liebte es
damals, auf der einen Seite mit dem Socialismus, ans der andern mit dem Po-
lizeistaat zu coquettiren. Ich erinnere uur an die Zeitungshalle. Man fühlte,
oder man glaubte zu fühlen, daß der Unterschied uicht nur ein quantitativer sei,
daß er sich anch auf deu Inhalt erstrecke.

Es kam die Revolution. In Königsberg war es schon vor dem 1». März
zu Unruhen gekommen, sie waren aber erfolglos geblieben. Nun kam die Barri¬
kadennacht in Berlin; Berlin, die wegen ihres Servilismus und ihrer Blasirtheit
so verachtete Residenz, war dem gestnnnngstüchtigen Königsberg vorangegangen!
Man schämte sich, man fühlte den unbestimmten Drang, irgend etwas Bedeutendes
zu thun; aber was! — Der Absolutismus in Preußen ist geschlagen, aber er
besteht noch in Rußland, Rußland ist mit dem König verschwägert, es besteht


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[0456] wollten sogleich abreisen; man kann nicht sagen, ob die Empörung größer war oder die Niedergeschlagenheit. Als in einem engen Kreise die Thronrede vorgelesen wurde und Alles außer sich war über diese Demonstration, welche in die heiligsten Gefühle des Volks einschnitt, blieb Jacoby in seiner gewöhnlichen Stille. „So hat noch nie ein König zu seinem Volk gesprochen!" rief der eine. „Doch," sagte Jacoby, „Karl I." Mich frappirte das: ist das ein Politiker, der eine ernsthafte Situation mit einem Bonmot abmacht? denn ein Bonmot war es, nicht natürliche Empfindung. Der liberale Adreßentwurf war Jacoby nicht scharf genug; es hieß, er wolle im Verein mit einigen Ostpreußen von der entschiednen Richtung eine stärkere ent¬ werfen. Es wurde nichts daraus; im Gegentheil wußte Auerswald'S diplomatische Schlauheit, um eine Majorität hervorzubringen, die Bestimmtheit der Opposition mit einer Phrase zu überdecken, die eben so wenig logisch als männlich war. Der „große Schritt" war verfehlt, wie es das Schicksal aller großen Schritte ans die¬ sem Landtag war, Jacoby blieb noch einige Zeit, seine Verstimmung zu nähren und machte daun eine weitere Reise, wo er sich im Umgange, mit „entschiedenen" süddeutschen Radikalen von dem schlechten Eindrucke, den seine La^idsleute ans ihn gemacht haben, erholt haben mag. Wir wollen doch nicht vergessen, daß diesem Landtag, so viel man mit Recht an ihm auszusetzen hat, im Ganzen ein sehr wohlthätiger Einfluß auf die Ent¬ wickelung des liberalen Bewußtseins in Preußen nicht abzusprechen ist. Er hat die Ideen populär gemacht, die früher nur den Eingeweihten zugänglich waren; er hat sie legalisirt. Er hat ferner die Ohnmacht des absoluten Staates an den Tag gelegt und dem Volte durch populäre, allgemein geachtete Namen einen Halt seines Selbstgefühls gegeben. Man mag jetzt über Vincke hinaus sein s» weit man will, an seinen Namen knüpft sich die erste Phase der preußischen freien Politik. Im Laufe dieses Landtages trennte sich die radikale — außerhalb der politi¬ schen Institutionen steheude — Ansicht entschieden von der liberalen; sie liebte es damals, auf der einen Seite mit dem Socialismus, ans der andern mit dem Po- lizeistaat zu coquettiren. Ich erinnere uur an die Zeitungshalle. Man fühlte, oder man glaubte zu fühlen, daß der Unterschied uicht nur ein quantitativer sei, daß er sich anch auf deu Inhalt erstrecke. Es kam die Revolution. In Königsberg war es schon vor dem 1». März zu Unruhen gekommen, sie waren aber erfolglos geblieben. Nun kam die Barri¬ kadennacht in Berlin; Berlin, die wegen ihres Servilismus und ihrer Blasirtheit so verachtete Residenz, war dem gestnnnngstüchtigen Königsberg vorangegangen! Man schämte sich, man fühlte den unbestimmten Drang, irgend etwas Bedeutendes zu thun; aber was! — Der Absolutismus in Preußen ist geschlagen, aber er besteht noch in Rußland, Rußland ist mit dem König verschwägert, es besteht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/456>, abgerufen am 29.06.2024.